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Prinzensturz in Phnom Penh

Kambodscha 15 Jahre nach dem Pariser Frieden – ein "normales" Entwicklungsland

Von Michael Lenz, Phnom Penh *

Kambodschas Ministerpräsident Hen Sun sieht das südostasiatische Königreich 15 Jahre nach Abschluss des Pariser Abkommens, das mehr als zwei Jahrzehnte Terror, Krieg und Bürgerkrieg im Lande der Khmer beenden sollte, auf dem besten Weg zu Wohlstand, Demokratie, Wirtschaftswachstum und sozialer Gerechtigkeit.

»Ich werde Kambodscha auch weiterhin auf dem Weg zu Wohlstand und Wachstum halten«, versprach Hun Sen in seiner Rede vor dem »Offenen Akademischen Forum« am Wochenende in Phnom Penh. Anlass des Forums war der 15. Jahrestag der Unterzeichnung des Pariser Abkommens zwischen den kambodschanischen Bürgerkriegs-parteien am 23. Oktober 1991. Ausländische Diplomaten sagten nach der Rede: »Hun Sen hat die politische Rhetorik drauf, die in der Öffentlichkeit gut ankommt.«

Mit durchschnittlichen Wachstumsraten von sieben Prozent in den letzten zehn Jahren und satten 13 Prozent im vergangenen Jahr scheint Kambodscha wirtschaftlich tatsächlich nicht schlecht dazustehen. In spätestens fünf Jahren wird nach Expertenmeinung die Förderung von Öl und Gas vor der Küste beginnen und dem Land reiche Einkommen bescheren.

Benny Widyono, ehemaliger Repräsentant des UN-Generalsekretärs in Kambodscha, zog in seiner Rede indes eine andere 15-Jahres-Bilanz: »Kambodscha wird rapide ein ›normales‹ Entwicklungsland mit den ›normalen‹ Problemen in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie, Kampf gegen Armut, Krankheit und Bildung.«

Auch Christian Hauswedell, ehemaliger Generaldirektor für asiatisch-pazifische Angelegenheiten im Auswärtigen Amt in Berlin, sieht »noch einige Probleme«. Als Beispiel führte er das schwierige Verhältnis des Ministerpräsidenten und seiner Kambodschanischen Volkspartei zum demokratischen Konzept von Opposition an. »Eine fähige und loyale Opposition sollte als notwendiges Element im Spiel von Kontrolle der und Gegengewicht zu einer demokratischen Regierung akzeptiert werden«, betonte Hauswedell.

Allerdings haben Machtteilung und friedlicher Regierungswechsel in Kambodscha keinerlei Tradition: Dem französischen Kolonialismus folgte zwar die relativ friedliche Herrschaft Norodom Sihanouks, zunächst als König, dann als Staatschef, doch nach Sihanouks Sturz 1970 brachen Lon Nols Militärdiktatur, der US-amerikanische Bombenkrieg und ab 1975 der Terror Pol Pots und seiner Gefolgsleute über das Volk der Khmer herein. Und weil Kambodscha von dieser Schreckensherrschaft 1979 durch die Armee Vietnams – in den Augen des Westens also durch »die Falschen« – befreit wurde, dauerte der von außen geschürte Bürgerkrieg bis zum Friedensabkommen von 1991, dem die bis dahin teuerste UNO-Mission folgte. Noch jede Wahl seither war von erbittertem Streit um die Macht begleitet, den König Sihanouk – der sich inzwichen aufs Altenteil zurückgezogen hat – nur mit Mühe schlichten konnte.

So wird Kambodscha seit Jahren von einer Koalition der Rivalen regiert: der Kambodschanischen Volkspartei von Ministerpräsident Hun Sen und der royalistischen FUNCINPEC, deren Vorsitzender »auf Lebenszeit« seit 1993 der Sihanouk-Sohn Prinz Norodom Ranariddh war. Beide Männer versuchten einander in der Vergangenheit mehrfach zu verdrängen. In der vergangenen Woche durfte Hun Sen triumphieren: Die Partei des Prinzen stürzte ihren Chef, der im März bereits sein Amt als Parlamentspräsident hingeschmissen hatte und seither in Paris residierte. Auf einem Sonderparteitag wurde Ranariddh vorgeworfen, durch ständige Konfrontation mit der Volkspartei die Entwicklung der FUNCINPEC zu stören. Zu seinem Nachfolger wurde Keo Puth Rasmey gewählt, bisher Botschafter in Deutschland, ein Schwiegersohn Sihanouks und damit Schwager Ranariddhs. Der Prinz akzeptiert den »Putsch« freilich nicht, klagt auf Wiedereinsetzung und bereitet zugleich die Gründung einer eigenen Partei vor.

In der Volkspartei ist man indes höchst zufrieden. Nun könne sich die Regierung wieder den wirklichen Problemen zuwenden, freute sich der Parteivorsitzende Chea Sim. Auch der greise Exkönig Sihanouk trat seinem Sohn nicht zur Seite: Er unterstütze keine der FUNCINPECFraktionen, ließ er aus Peking wissen, wo er die meiste Zeit des Jahres verbringt.

Der Machtkampf scheint damit vorerst entschieden zu sein. Die nächsten Parlamentswahlen finden erst 2008 statt. Wichtig wird aber vor allem die Frage sein, ob die künftigen Ölmilliarden zum Nutzen des Volkes verwendet werden oder einige wenige Khmer noch reicher machen. Auch Korruption ist nämlich ein Merkmal eines »normalen« Entwicklungslandes und in Kambodscha weit verbreitet.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Oktober 2006


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