Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kambodscha braucht Brückenbauer

Streit um Ergebnisse der Parlamentswahl spitzt sich zu

Von Detlef D. Pries *

Erst Mitte August sollen die amtlichen Ergebnisse der Parlamentswahlen in Kambodscha bekannt gegeben werden. Doch der Streit um Sieger und Verlierer war schon wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am 28. Juli ausgebrochen.

In der Gerüchteküche brodelte es: Ministerpräsident Hun Sen, der starke Mann der Kambodschanischen Volkspartei, sei seines Postens enthoben worden und habe bereits das Land verlassen. Hieß es in der vergangenen Woche. Tatsächlich hatte Hun Sen, Regierungschef seit 28 Jahren, ganz gegen seine Gewohnheit nach den Wahlen zwei Tage lang geschwiegen. Indessen tobte schon der Streit ums Wahlergebnis.

Kaum dreieinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale hatte die oppositionelle Kambodschanische Partei der Nationalen Rettung in einer E-Mail den »historischen Tag« gepriesen und ihren Sieg verkündet. Das war voreilig, denn das später verlautbarte vorläufige Ergebnis sah die regierende Volkspartei vorn, wenn auch mit empfindlichen Verlusten. Von 123 Mandaten in der Nationalversammlung sollte die Volkspartei nicht mehr 90, sondern nur noch 68 erobert haben. Der Rettungspartei dagegen, die erst im vergangenen Jahr durch eine Parteienhochzeit entstanden war, deren Partner zuvor 29 Sitze belegten, wurden 55 Mandate zugeschrieben. Alle anderen Parteien, darunter die einst starke königstreue FUNCINPEC (Nationale Einheitsfront für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha), gingen leer aus.

Einbußen der Volkspartei waren erwartet worden: Von 14 Millionen Kambodschanern ist ein Großteil jünger als 30 Jahre und hat weder Pol-Pot-Herrschaft noch Bürgerkrieg bewusst erlebt, deren Beendigung sich die Volkspartei als Verdienst anrechnet. Der Wunsch nach sozialem Aufstieg ohne übermächtige Bürokratie und Korruption ist in der Jugend stärker als der nach »Stabilität«. Die Rettungspartei und ihr charismatischer Chef Sam Rainsy versprechen den von vielen erhofften Wandel – und wollen das Wahlergebnis keinesfalls hinnehmen.

Nach eigenen Berechnungen, sagte Sam Rainsy, habe seine Partei mit 63 Sitzen die Mehrheit erobert. Und das ungeachtet zahlloser Manipulationen. Mehr als eine Million Bürger seien nicht registriert gewesen und hätten deshalb nicht wählen können, während andere mehrfach oder unberechtigt abgestimmt hätten, darunter viele illegal im Lande lebende Vietnamesen. Vietnamfeindliche, nationalistische Äußerungen gehören ohnehin zu seinem ständigen Repertoire. Berücksichtige man jedenfalls die Unregelmäßigkeiten, stünden der Rettungspartei sogar 80 bis 90 der 123 Mandate zu. Deshalb fordert Sam Rainsy eine Untersuchung unter Beteiligung von UNO-Experten.

Erst am dritten Tag nach der Wahl zerstreute Hun Sen die Gerüchte über seine Flucht und gab sich versöhnungsbereit: Am Sieg seiner Volkspartei ließ der Regierungschef keinen Zweifel, aber eine gemeinsame Untersuchungskommission und Gespräche mit den Konkurrenten hieß er gut. Die Rettungspartei ließ indes wissen, an Verhandlungen über eine »Machtteilung« sei man nicht interessiert. Ein erstes Gespräch von Vertretern beider Parteien und der Wahlkommission fand zwar statt, aber schon die zweite Runde wurde von der Oppositionspartei boykottiert: Sie besteht auf der Einladung von UN-Vertretern als »Schiedsrichter«, während die Nationale Wahlkommission auf ihre verfassungsmäßige Funktion pocht und lediglich Beobachter zulassen will.

Tim Page, Kriegsfotograf und Indochinakenner, der die Wahlen beobachtete, bezeichnete sie in einem »Time«-Interview als »unglaublich friedlich« im Vergleich zu früheren Abstimmungen in Kambodscha. Das Resultat sei »sehr fair«. Sicher habe es Probleme gegeben, die untersucht werden müssten, aber um mehr als einen Sitz dürfte sich da nichts verschieben. »Wenn die UNO hier ermittelt, müsste sie auch untersuchen, was in Florida (bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahre 2000 – d. A.) geschah.«

Schon vor den Wahlen hatten Abgeordnete des USA-Kongresses gedroht, Hilfszahlungen an Kambodscha einzustellen, wenn die Abstimmung nicht »glaubhaft und fair« verlaufe. Sam Rainsy traf sich denn auch zuerst mit dem USA-Botschafter, um Beschwerden anzumelden. Hun Sen dagegen tönte, die USA sollten ihre Zahlungen ruhig kürzen, Leidtragende wären lediglich die Nutznießer USA-gesponserter Gesundheitsprogramme, im Übrigen würde China – Kambodschas größter Zahler – sicherlich gerne einspringen. Aus Peking erhielt der Regierungschef in der Tat einen der ersten Glückwünsche zum Wahlsieg.

Inzwischen aber verschärfen sich die Drohungen. Bei Eröffnung des Parlaments 60 Tage nach den Wahlen müssen laut Verfassung 120 Abgeordnete anwesend sein. Die Rettungspartei könnte die Nationalversammlung boykottieren und damit die Bildung der neuen Regierung verhindern. Das wäre nicht neu in Kambodschas jüngerer Geschichte. Nach den Wahlen 2003 dauerte es elf Monate, bis eine Regierung vereidigt wurde, die damals noch einer Zweidrittelmehrheit bedurfte. Danach wurde die Verfassung geändert, die einfache Mehrheit reicht seither zur Regierungsbildung – wenn das Parlament sich vorher konstituiert hat.

Hun Sen drohte zuletzt, seine Partei werde die Mandate der Rettungspartei übernehmen, falls die Opposition der Einladung des Königs zur Parlamentseröffnung nicht folgt. Worauf Sam Rainsy die »größten Massendemonstrationen in der Geschichte« ankündigte. Noch allerdings sind die offiziellen Wahlergebnisse gar nicht verkündet. Noch ist also Zeit für Verhandlungen und Kompromisse – obwohl sie sich nicht andeuten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 6. August, 2013


Zurück zur Kambodscha-Seite

Zurück zur Homepage