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Der mit dem Teufel tanzte

Zum Tod von Kambodschas langjährigem Staatsoberhaupt Norodom Sihanouk

Von Thomas Berger *

Kambodschas langjähriges Staatsoberhaupt Prinz Norodom Sihanouk, der am Montag in der chinesischen Hauptstadt Peking 89jährig einem Herzversagen erlag, hat sein Land mehr als ein halbes Jahrhundert nachhaltig geprägt. Nie wollte der Monarch sich mit dem Amt eines repräsentativen Herrschers begnügen. Immer wieder griff er aktiv in die Politik ein. Auf diese Weise war es ihm mit zu verdanken, daß die frühere französische Kolonie in Indochina bereits 1953 ihre Unabhängigkeit von Paris erlangte. Später diente Sihanouk sich den Roten Khmer an, die von 1975 bis 1979 ihre Diktatur in dem südostasiatischen Land etablierten, der mit schätzungsweise zwei Millionen Menschen beinahe ein Viertel der damaligen Bevölkerung zum Opfer fiel.

Wer Sihanouk, dessen Bildnis noch heute viele Haushalte landesweit schmückt, mit wenigen Worten beschreiben will, kommt nicht weit. Zu oft hat dieser Mann seine Haltung gewechselt, eine jähe Kehrtwende vollzogen. Die Franzosen dachten seinerzeit, leichtes Spiel mit ihm zu haben, als sie ihn 1941 als blutjungen Monarchen auf den Thron setzten. Doch der 19jährige war alles andere als die willfährige Marionette, die er hätte spielen sollen, und die elf Jahre später errungene Eigenstaatlichkeit sollte der größte Triumph seines Lebens sein. Später verzichtete er sogar auf den Thron, um sich an der Spitze einer von ihm gegründeten sozialdemokratischen Partei in die Politik zu begeben. Das Gesellschaftsmodell, das dem Vertreter der Norodom-Dynastie vorschwebte, war in etwa das gleiche, das seinem indischen Freund Jawaharlal Nehru und anderen asiatischen Führern jener Ära vorschwebt – eine Art »dritter Weg« jenseits der engen Bindungen an die USA oder die UdSSR, wohl aber mit starken progressiven, teils gar sozialistischen Tendenzen. Dies paßte vor allem den Amerikanern nicht, die nach dem benachbarten Vietnam nun auch für Kambodscha eine »kommunistische Gefahr« heraufziehen sahen und sich entsprechend in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen begannen. Je kritischer sich Sihanouk gegenüber den USA öffentlich gab, desto mehr wurde nach personellen Alternativen zu ihm gesucht – und schließlich, als der Monarch zur medizinischen Behandlung außer Landes weilte, der Putsch von Premierminister Lon Nol, einem Getreuen Washingtons, initiiert.

Der exilierte Sihanouk wiederum setzte auf den Pakt mit einem anderen Teufel, verbündete sich mit der Gruppe um Saloth Sar alias Pol Pot, die Anfang der siebziger Jahre die kleine Kommunistische Partei unterwandert und unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Die sogenannten Roten Khmer marschierten im April 1975 siegreich in der Hauptstadt Phnom Penh ein und errichteten ein Regime, das sich vor allem gegen die eigene Bevölkerung wandte. Hunderttausende – vor allem Angehörige der umgesiedelten Stadtbewohner – starben bei der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft an Krankheiten und Erschöpfung, von der intellektuellen Elite überlebten nur wenige durch rechtzeitige Flucht oder erfolgreiches Untertauchen die massenhaften Exekutionen. Die vier noch lebenden ranghöchsten Vertreter der damaligen Pol-Pot-Regierung müssen sich derzeit vor dem Sondertribunal in Phnom Penh verantworten.

Obwohl die Roten Khmer fünf seiner Kinder und 14 seiner Enkel umbrachten, diente Sihanouk dem Regime bis 1977 als formelles Staatsoberhaupt, mehr oder weniger ein Herrscher unter Hausarrest. Doch nachdem das Land zwei Jahre später mit vietnamesischer Hilfe befreit worden war, verbündete er sich im folgenden Bürgerkrieg (formell bis 1992) erneut mit den im Westen oft als »Steinzeitkommunisten« apostrophierten Anhängern Pol Pots, die einen Guerillakampf gegen die neue Regierung unter dem heutigen Premier Hun Sen entfachten. Zwiegespalten ist denn auch die Einschätzung des nun Verstorbenen in seiner Heimat: Einerseits wird Sihanouk bis heute hoch verehrt, seine lange Allianz mit jenen, die so viel Tod und Leid über Kambodscha brachten, haben ihm viele Landsleute aber nicht verziehen. In seinen letzten Lebensjahren zog sich der Prinz aus der Öffentlichkeit zurück, lebte gesundheitlich angeschlagen vor allem in Peking.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. Oktober 2012


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