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Heftige Gefechte um heiligen Tempel

Waffenruhe an der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha wieder hinfällig / Mindestens zehn Tote bei Kämpfen

Von Thomas Berger *

Der blutige Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha ging am Dienstag nahe der umstrittenen Tempelanlage Preah Vihear mit heftigen Schusswechseln weiter. Seit Karfreitag gibt es wieder Gefechte. Beide Seiten machen sich gegenseitig für den Bruch des vor zwei Monaten vereinbarten Waffenstillstandsabkommens verantwortlich.

Artillerie wurde in Marsch gesetzt, thailändische Panzer rollten Ostersonntag Richtung Grenze, und Armeechef General Prayuth Chan-ocha verkündete, diverse Truppenteile in unmittelbarer Einsatzreserve zu halten. Einerseits Stärke demonstrieren und andererseits den Eindruck einer Offensive vermeiden – darauf kam es den Konfliktparteien in den vergangenen Tagen an. Schließlich will man sich ja nur verteidigen, da würden große Truppenaufmärsche nicht ins Bild passen. Unklar ist, wie es am Karfreitag zum Ausbruch der neuen Kämpfe kam, nachdem mehrere Wochen Ruhe geherrscht hatte. Beide Seiten warfen sich wechselseitig vor, für die aktuelle Eskalation verantwortlich zu sein.

Der Grenzverlauf zwischen den südostasiatischen Nachbarn ist zum großen Teil nicht eindeutig gekennzeichnet. Vor allem fehlt eine solche Demarkation am historischen Tempel Preah Vihear. Das etwa 1000 Jahre alte Hindu-Heiligtum, das aus der Ära des Khmer-Großreiches von Angkor stammt und 2008 von der UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt wurde, steht seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Streitigkeiten. Es wurde 1962 vom Internationalen Gerichtshof Kambodscha zugesprochen. Im Februar waren bei Kämpfen an der Grenze zehn Menschen getötet worden.

Dieses Mal erstrecken sich die militärischen Auseinandersetzungen nicht nur auf das 4,6 Quadratkilometer große Areal im unmittelbaren Umfeld dieses Bauwerks. Kambodscha, so der Vorwurf des thailändischen Armeesprechers Oberst Sansern Kaewkamnerd, habe nun auch in einiger Entfernung versucht, zwei weitere Tempel unter seine Kontrolle zu bringen. Von einer eindeutigen Grenzverletzung sprach auch Regierungschef Abhisit Vejjajiva auf einer Pressekonferenz.

Die zäh ausgehandelte informelle Waffenruhe, die durch indonesische Beobachter überwacht werden sollte, ist so erst einmal hinfällig. Dabei hatte es große Mühe gemacht, seit den Gefechten im Februar überhaupt so weit zu kommen. Kambodscha versuchte, den Streitfall vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, doch Thailand weigerte sich beharrlich, einen Dritten einzuschalten. Schon dass Indonesien als derzeitigem Vorsitzenden des Regionalbündnisses ASEAN schließlich eine Art Vermittlerrolle mit stark begrenzten Vollmachten zugestanden wurde, erforderte hohe Überzeugungskraft – nicht zuletzt der thailändischen Politik gegenüber den eigenen Militärs.

Heftig wie schon lange nicht sind die aktuellen Schusswechsel. Während bislang offenbar keine zivilen Opfer zu beklagen sind, sollen laut thailändischen Medien inzwischen sechs kambodschanische Soldaten ums Leben gekommen sein. Selbst habe man vier Männer verloren, 27 wurden demnach verletzt. Fünf Krankenhäuser in nahen Provinzstädten sind in Alarmbereitschaft versetzt worden, zudem wurden 28 Nothilfelager in zwei Provinzen eingerichtet. Etwa 27 000 Dorfbewohner sollen allein auf thailändischer Seite evakuiert worden oder aus ihren Orten geflüchtet sein; auch in Kambodscha suchten Einwohner nahe der umkämpften Grenzabschnitte vorsichtshalber sichere Gebiete auf.

Noch im Laufe der Woche wollen die beiden Außenminister zu direkten Gesprächen zusammenkommen, als deren Ergebnis im günstigsten Fall eine Neuauflage der Waffenruhe stehen könnte. Die Regierungschefs Abhisit und Hun Sen treffen am 7./8. Mai bei einem ASEAN-Gipfel aufeinander und werden dann ebenfalls die Lage erörtern. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon jedenfalls zeigt sich wie USA-Außenministerin Hillary Clinton besorgt. Beide Seiten sollten dringend nach einer Einigung auf dem Verhandlungswege suchen. Auch die ASEAN macht Druck auf ihre Mitglieder.

* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2011


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