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Unter Zeitdruck

Sondertribunal in Kambodscha: Eine der vier Angeklagten womöglich prozeßunfähig

Von Thomas Berger *

Beim Sondertribunal in Kambodscha bahnt sich eine schwerwiegende Zwischenentscheidung an. Ieng Thirith, eine der vier Angeklagten, kšnnte wegen Prozeßunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen aus dem Verfahren ausscheiden. Dies wäre ein schwerer Rückschlag in der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur der Roten Khmer 1975 bis 1979. Bis zu zwei Millionen Einwohner des südostasiatischen Landes, fast ein Viertel der Bevölkerung, kamen damals den Schätzungen zufolge durch Exekution, Zwangsarbeit, Mangelernährung und Krankheiten um. Vor Gericht sollen sich jetzt, mehr als drei Jahrzehnte später, die ranghöchsten noch lebenden Mitglieder der damaligen Führungsspitze vor dem gemischt einheimisch-internationalen Spezialgericht wegen Všlkermords verantworten. Ieng Thirith (80) gehörte der Regierung als Sozialministerin an. Sie ist mit Ieng Sary (86), dem ehemaligen Au§enminister, verheiratet. Ebenfalls auf der Anklagebank sitzen Nuon Chea (85), als "Bruder Nummer 2" und Chefideologe damals zweitwichtigster Mann hinter Machthaber Pol Pot alias Saloth Sar, und Khieu Samphan (81), der ab 1977 formelles Staatoberhaupt des Demokratischen Kampuchea war.

Die Richter des Tribunals stehen vor der schwierigen Aufgabe zu entscheiden, ob Ieng Thiriths Gesundheitszustand eine Fortsetzung des Verfahrens gegen sie erlaubt. Die Ärzte haben bei ihr Demenz festgestellt - die Einstufung, ob leicht- oder mittel- bis schwerwiegend, dürfte dabei am Ende den Ausschlag für oder gegen eine Fortsetzung geben. Für internationale Tribunale ist dies der bisher erste Fall dieser Art, und die einheimische Gesetzgebung bietet keine konkrete Handhabe, wie zu verfahren ist. Derzeit kommen die Mediziner in der Beurteilung zu abweichenden Ergebnissen. Mit einem Beschluß des Gerichts wird noch diese Woche gerechnet.

Egal, wie er aussieht, illustriert doch schon die laufende Abwägung das grundsätzliche Problem: Es sind Greise, die dort unter Anklage stehen, und die Exsozialministerin ist ungeachtet ihres Gesundheitszustandes sogar noch die jüngste im Bunde. Daß der eine oder andere der drei anderen das Urteil gar nicht mehr erlebt, ist als Befürchtung alles andere als abwegig. Jahr um Jahr hat sich das Tribunal hingeschleppt. Erst gab es lange Debatten zwischen kambodschanischer Regierung und Vereinten Nationen um Mandat, Zusammensetzung und konkrete Befugnisse, danach immer wieder Verzögerungen auch wegen Finanzierungslücken. Im ersten Prozeß ging es dann zunächst um Kaing Guek Eav alias Duch, den Chef des damaligen Foltergefängnisses Toul Sleng. Er wurde 2010 zu 35 Jahren Haft, in der Berufungsverhandlung vor der Obersten Kammer des Sondergerichts mit Urteil vom Februar 2012 dann zu lebenslänglich verurteilt. Fall zwei umfaßt nun die vier Personen, die neben Pol Pot und einigen anderen, die ebenfalls nicht mehr leben, die Befehle gaben, auf deren strikte Befolgung sich auch Duch immer wieder herauszureden versucht hatte.

Gestritten wird vor dem Tribunal momentan wieder einmal massiv zwischen Verteidigerteams und Anklage. Vor allem die internationalen Anwälte Ieng Sarys und Nuon Cheas werfen der Gegenseite massive Fehler bei der Befragung wichtiger Zeugen vor. So soll ein wichtiges Verhör nicht aufgezeichnet worden sein, während die Ergebnisse einer zweiten Befragung des gleichen Mannes von der Anklage im Gerichtssaal verwendet werden. Gerichtspräsident Nil Nonn drehte vorige Woche Andrew Ianuzzi, dem US-amerikanischen Verteidiger Nuon Cheas, mitten im Satz das Mikrofon ab. Gleiches widerfuhr bei einer Beschwerde Michael Karnavas, dem internationalen Co-Verteidiger Ieng Sarys.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. September 2012


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