Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Trauma gefangen

In Kambodscha befaßt sich ein Tribunal mit der Herrschaft der Roten Khmer. Noch vor Beginn ist die Arbeit durch einen Richterstreit gefährdet

Von Thomas Berger *

Ein Tribunal zur Aufarbeitung der Rote-Khmer-Diktatur (1975–1979) in Kambodscha droht zu scheitern, bevor es begonnen hat. Einheimische und ausländische Richter des freiwilligen Sondergerichtes haben sich in der Frage zerstritten, ob bei dem Prozeß kambodschanisches oder internationales Recht zur Anwendung kommen soll. Wird der Konflikt in den kommenden Tagen nicht beigelegt, droht das gesamte Vorhaben zu scheitern.

Die Idee des Tribunals, das eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des südostasiatischen Landes aufarbeiten soll, hatte seit Anbeginn ebenso heftige Befürworter wie Gegner. Mehrfach waren die Vorbereitungen in den vergangenen Wochen und Monaten torpediert worden. Einmal traten Finanzierungsprobleme auf, von denen die Arbeit behindert wurde. Dann konnten sich die Regierung in Phnom Penh und die Vertreter der UN über die Besetzung der Richterposten nicht einig werden. Der Kompromiß zielte schließlich darauf ab, daß einheimischen Juristen die Mehrheit der Richterposten zugestanden wird. Es sah daher eigentlich gut aus für die Prozeßbefürworter.

Doch auch unabhängig von dem neuen Streit um die Anwendung rechtlicher Normen und Gesetze ist die Bereitschaft in Kambodscha, das Tribunal zu unterstützen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zunächst hatten zentrale Akteure angekündigt, Auskunft geben zu wollen. Ieng Sary, einst Außenminister, Khieu Samphan, seinerzeit Präsident, und der als »Bruder Nummer 2« in der Hierarchie der Roten Khmer bekannte Nuon Chea werden nun vermutlich nur als Zeugen in Aktion treten. Zu mehr fehle die Handhabe, heißt es in Phnom Penh. Denn im Rahmen der Friedensabkommen 1996 und 1998 war eine Amnestie für die Täter beschlossen worden. Nur zwei hochrangige Khmer-Rouge-Führer wurden verhaftet, von denen der eine im vorigen Jahr starb: Ta Mok, der »Schlächter«, erlebte den immer wieder verzögerten Prozeßauftakt nicht mehr. Auch der Gesundheitszustand anderer Angeklagter ist nicht der beste. Darauf setzen die Gegner des Tribunals.

Die Prozeßbefürworter hingegen sehen das Vorhaben als Möglichkeit, das nationale Trauma zu bewältigen. 1,7 Millionen Todesopfer der gut dreieinhalbjährigen Schreckensherrschaft vom April 1975 bis zum Jahreswechsel 1978/79 sind nachgewiesen. Bis auf drei Millionen könnte sich diese Zahl nach Schätzungen erhöhen. Die unaufgearbeitete Vergangenheit vergiftet bis heute das gesellschaftliche Klima und sorgt für tiefsitzendes Mißtrauen zwischen den Menschen. Die Taten, an denen damals zwangsweise auch Tausende Kinder beteiligt waren, haben tiefe Spuren hinterlassen. Nicht ohne Grund leidet das moderne Kambodscha unter einer der höchsten Verbrechensraten weltweit. Nur das Tribunal, meint etwa Youk Chang, Leiter des »Dokumentationszentrum Kambodscha«, könne einen neuen Anfang für das Land bringen. Doch eben dies steht nun auf der Kippe.

* Aus: junge Welt, 12. März 2007


Zurück zur Kambodscha-Seite

Zurück zur Homepage