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Sauberes Wasser für Phleu Thom

Entwicklung im Nordosten Kambodschas: Zwei Schritte vor und einer zurück

Von Klemens Ludwig *

Was sie sich denn wünschen? Die etwa 30 Männer und 20 Frauen, die sich auf dem Dorfplatz von Phleu Thom in der kambodschanischen Nordostprovinz Ratanakiri versammelt haben, schauen sich etwas verlegen an. Sie sind es nicht gewöhnt, dass jemand zu ihnen kommt und nach ihren Wünschen fragt.

Ratanakiri ist das Armenhaus eines ohnehin armen Landes und entlang des Sesan-Flusses, wo die Minderheiten der Jarai, der Brau und der Kachok leben, gilt das erst recht. Die staatlichen Entwicklungsplaner ignorieren Ratanakiri und auch die meisten der ausländischen Hilfsorganisationen, die das Land in großer Zahl als Objekt ihres wohltätigen Wirkens ausgewählt haben, beschränken sich weitgehend auf die Hauptstadt Phnom Penh und deren Umgebung. Manche erstellen »Masterpläne« und konferieren häufig, sind jedoch vom Alltag der Menschen auf dem Lande weit entfernt. Und von ihren Geldern, beklagt auch die Weltbank, verschwinden Millionen in den Taschen korrupter Politiker.

Der größte Wunsch wurde erfüllt

Alltag in Phleu Thom, das bedeutet drei Kilometer Fußmarsch zu den Reisfeldern, keine Elektrizität, kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung und ein Schulgebäude, das seit Monaten leer steht, weil der Lehrer aus der Distrikthauptstadt Ta Veng einfach nicht mehr auftaucht. Warum, das weiß niemand so genau. Aber es kann eigentlich auch niemanden überraschen, denn ein Gehalt von 6000 Riel (etwa 15 Euro) im Monat ist gewiss keine Motivation, sich für die Bildung in abgelegenen Landesteilen zu engagieren. Vielleicht hat der Lehrer einfach eine lukrativere Beschäftigung gefunden. Doch die Menschen in Phleu Thom sind guter Dinge. Zwar ist ihr Beitrag zum Bruttosozialprodukt statistisch nicht zu erfassen, doch niemand hungert. Reis, Gemüse, ein paar Bananen, Hühner und Waldfrüchte während der Trockenzeit sorgen für die Basis der Ernährung. Das Problem in vielen Dörfern im Nordosten Kambodschas ist vielmehr die Versorgung mit sauberem Wasser. In Phleu Thom gehört dieses Problem jedoch inzwischen der Vergangenheit an. Dorfoberhaupt Bou Seng beantwortet die Ausgangsfrage daher: »Wir sind sehr zufrieden, denn unser größter Wunsch wurde erfüllt: ein Brunnen.«

Über 20 Meter tief müssen die Arbeiter mit einfachsten Mitteln graben, um auf sauberes Trinkwasser zu stoßen, und nie können sie vorhersagen, ob nur Erde- und Kies- oder womöglich Felsschichten auf sie warten. Stoßen sie endlich auf Grundwasser, wird das Loch mit Betonringen abgestützt. »Die Dörfer mit sauberem Trinkwasser zu versorgen, ist eine große Herausforderung, aber wir erhalten viel Unterstützung von den Einheimischen«, berichtet Willi Kohlmus, Projektleiter der Deutschen Welthungerhilfe in der Provinz Ratanakiri, die sich – ähnlich wie der Solidaritätsdienst international in der Provinz Svay Rieng – für die Wasserversorgung auf dem Lande engagiert. Wenn die Bewohner eines Dorfes Interesse an einem Schachtbrunnen haben, müssen sie drei Arbeiter für die Ausschachtung, Kies und Sand für den Beton und umgerechnet einen Euro zur Verfügung stellen. Das bescheidene technische Gerät und die Anleitung steuert die Welthungerhilfe bei.

Kohlmus hat sich durch eine Lehre als Gas- und Wasserinstallateur und eine Ausbildung zum Sanitärtechniker die Kenntnisse für diese Arbeit angeeignet. »In meiner Jugend haben mich das Schicksal Vietnams und der Terror des Pol-Pot-Regimes sehr bewegt«, sagt der 44-Jährige. »Schon damals wollte ich diese Weltgegend unbedingt selbst kennenlernen.« Ein Brunnen von der Qualität, wie er unter Kohlmus’ Anleitung entsteht, bedeutet nicht nur sauberes Wasser. Er bedeutet bessere Bewässerung der Felder, höhere Erträge und weniger Krankheiten.

Phleu Thom kann ohnehin auf eine kleine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Ein junger Mann des Dorfes, Nge Phong Rayda, hatte sich schon in der Schule durch besonderen Ehrgeiz hervorgetan – als es noch Unterricht gab. Später wechselte er auf die Oberschule in Ta Veng. Heute ist der 22-Jährige Polizist – ein Traumberuf für viele in den Dörfern. Nge Phong Rayda hat seine Herkunft nicht vergessen und hilft finanziell, wenn es nötig ist. Schließlich verdient er weit mehr als der Rest des Dorfes zusammen. Ein Wunsch von Dorf-oberhaupt Bou Seng ist dennoch bisher unerfüllt: »Wir benötigen Latrinen, damit es mit der Hygiene besser wird.«

Von Kanat Touch soll ein Signal ausgehen

Etwas flussaufwärts liegt das Dorf Kanat Touch. Es zählt zu den so genannten Millenniumsdörfern: 15 Gemeinden in allen Erdteilen, in denen die Welthungerhilfe exemplarisch die Vorgaben der UNO für eine nachhaltige Entwicklung im begonnenen Jahrtausend verwirklichen will. Dazu zählen unter anderem die Beseitigung der extremen Armut, Schulbildung, Gleichstellung der Geschlechter, Eindämmung von Infektionskrankheiten, ökologische Nachhaltigkeit, Zugang zu sauberem Trinkwasser und anderes.

Von Kanat Touch soll eine Signalwirkung für Kambodscha ausgehen, aber den Dorfbewohnern steht noch ein langer Weg bevor. Die Armut ist noch greifbarer als in Phleu Thom und von Bildung sind die Menschen noch weiter entfernt. Doch auch hier ist gerade ein Brunnen fertig gestellt worden, und Kohlmus sieht darin den Einstieg in eine bessere Zukunft: »Wir peilen das Jahr 2015 an, um unsere Ziele zu erreichen, und wir haben bewusst ein Dorf gewählt, das sehr weit davon entfernt ist. Nur so machen wir auch den anderen Mut, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und eine scheinbar hoffnungslose Situation zu verändern.«

Solche Initiativen sind nötig, denn in Kambodscha leben noch immer mehr als ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze; die Kindersterblichkeit liegt bei 15 Prozent. Warum das so ist, kann man in Ratanakiri ebenfalls beobachten: Landraub durch einflussreiche Unternehmer, Militärs und Politiker macht viele Entwicklungsansätze zunichte. Zwar gibt es ein Gesetz, das den Menschen Titel für das Land zugesteht, das sie bewirtschaften. Doch in einer so abgelegenen Region kümmert sich niemand darum. Cashewnuss- und Kautschukplantagen versprechen besonders hohe Gewinne, dazu kommt der Holzeinschlag. Selten gehen die Unternehmen offen gewalttätig vor. Ihre Methoden, Stammesgesellschaften den Boden zu entziehen, sind subtiler, aber seit Jahrhunderten bewährt: Dorf-Oberhäupter werden betrunken gemacht, bis sie einen Vertrag unterzeichnen, mit dem sie das gewünschte Land abtreten. Danach ist die Vertreibung ganz legal, die Betroffenen sind machtlos. Polizei und Militär sichern sich ihren Anteil am Kuchen.

Kampf um den Kautschuk-Markt

Vor ein paar Monaten griff der Staat zunächst gegen zwei hohe Polizeioffiziere und schließlich gar gegen den Gouverneur von Ratanakiri durch. Die Polizisten wurden wegen illegalem Holzeinschlag und -handel im Virachey-Nationalpark verhaftet und angeklagt; der Gouverneur und einige seiner Vertrauten wegen illegalem Kautschukhandel ihrer Ämter enthoben. Gouverneur Kham Khoem war offenbar Opfer eines Machtkampfs um die Kautschuk-Märkte geworden. Seine Gegner wollen den Rohstoff für die Gummiherstellung in der Provinz selbst verarbeiten und kämpfen um das Monopol, die Gruppe um den Gouverneur schmuggelte ihn in die Nachbarprovinz Kompong Cham, wo ein doppelt so hoher Preis dafür bezahlt wird. »200 Tonnen Kautschuk pro Monat wurden von Polizei und Militär illegal aus Ratanakiri herausgeschmuggelt. Bei 1600 Riel (4 Euro€) pro Kilo ist das ein enormer Schaden für die Provinz«, beklagt der Geschäftsmann Tai Seng, der einen großen Teil des Marktes in Ratanakiri kontrolliert, aber für sich in Anspruch nimmt, dem Staat Steuern zu zahlen. Das ist nicht selbstverständlich.

Kham Khoem sitzt zwar nicht im Gefängnis, wurde jedoch versetzt, so dass die Kautschuk-Geschäfte im Nordosten jetzt ohne ihn laufen. Geändert hat sich an den Praktiken nichts, vor allem nicht gegenüber den Minderheiten, deren Dörfer den Plantagen weichen müssen. »Vermutlich war er zu geizig mit seinen Schmiergeldern, oder er hat sie an der falschen Stelle gezahlt«, spotten die Einheimischen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2006


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