Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Einblicke in die Gräuel der Pol-Pot-Herrschaft

Zwei Kambodschaner arbeiten ihre Kindheitserinnerungen an die Zeit der "Roten Khmer" auf

Von Eric Breitinger *

Eine junge kambodschanische Autorin und ein junger Autor geben mit einem Roman und einer Autobiografie erhellende Einsichten in die Diktatur unter Pol Pot (1975-79) im Land der Khmer.

Der Terror schleicht sich allmählich in das Leben der siebenjährigen Raami, Nesthäkchen der Großfamilie eines Angehörigen des kambodschanischen Königshauses. Zuerst hört sie Bombenexplosionen in der Ferne. Später streiten ihre Eltern über die Notwendigkeit, ins Exil zu gehen. Bald verschwindet die Köchin. Ein junger Mann in Schwarz dringt ins Haus ein. Er fuchtelt mit der Pistole herum und zwingt die Familie im Namen der Revolution, ihre Villa und die Stadt zu verlassen. Es ist der Beginn eines Martyriums. Die ultramaoistische Guerillabewegung ermordete während ihrer Herrschaft von 1975 bis 1979 bis zu zwei Millionen Menschen, um in Kambodscha ihre Utopie einer klassenlosen, bäuerlichen Gesellschaft ohne Geld, Individualismus und westliche Einflüsse zu realisieren.

Die Autorin war bei der Machtübernahme der »Roten Khmer« im April 1975 fünf Jahre alt. Sie erzählt ihre Geschichte aus der damaligen Kinderperspektive. Das ist die große Stärke ihres Berichts: Das Mädchen schaut unvoreingenommen auf den Alltag im Arbeitslager, wo es seine Herkunft verbergen muss. Sie gibt anrührende Szenen wieder. Die neuen Herren deportieren die Städter aufs Land zur Umerziehung. Dort nimmt ein älteres Bauernpaar Raami, ihre kleine Schwester und die Mutter in der Hütte auf, teilt alles mit ihnen. Bauer Pok zimmert sogar einen Sarg, als die Schwester an Malaria stirbt, ein Akt der Menschlichkeit. Für die Pol-Pot-Leute sind die Leichen »nur Dünger für die Reisfelder«. Die Erzählperspektive hat aber auch Schwächen: Das Kind kann seine Erlebnisse nicht historisch einordnen und versteht Motive und Ideologie der Täter nicht. Ein erklärendes Nachwort fehlt. Zudem irritiert die Erzählerin mit ihrer Neigung, mit süßlichen Metaphern idyllische Landschaftsbilder zu entwerfen.

Der autobiografische Bericht »Auslöschung« von Rithy Panh bietet dagegen mehr Einordnung. Der kambodschanische Dokumentarfilmer schildert primär seine Auseinandersetzung mit dem berüchtigten Folterchef des Pol-Pot-Regimes: »Duch« hat den Tod von 13 000 Menschen zu verantworten. Panh interviewt ihn 30 Jahre später im Gefängnis für einen Film. Er versucht dem hochintelligenten Mann ein Geständnis abzuringen und seine Taten zu begreifen. Je mehr er sich verbeißt, desto stärker kommen Erinnerungen hoch. Rithy Panh ist 13, als die »Roten Khmer« Phnom Penh erobern. Sein Vater war Lehrer und Büroleiter mehrerer Erziehungsminister – für Pol Pots Gefolgsleute ein Feind. Panh erzählt in einem zweiten, alternierenden Strang von dem Leidensweg seiner Familie durch ein Land voller Lager, Hunger, Seuchen. Seine Eltern sterben. Er entkommt der Todesmaschinerie als Leichenträger in einer Klinik.

Vaddey Ratner erzählt vom Genozid in der Form einer berührenden Lebensgeschichte, ihr Buch trägt aber kaum zum Verständnis der Hintergründe bei. Rithy Panh assoziiert, analysiert, räsoniert, stellt historische Bezüge her, verliert zuweilen den roten Faden. Er erklärt den Aufstieg der »Roten Khmer« mit der Wut des Volkes auf die vorangegangenen Unrechtsregime, die US-Bombardements des Hinterlands sowie die jahrhundertlange Unterdrückung der Bauern. Er unterteilt die Mörder in Mitläufer und Drahtzieher, die an ihre Mission glauben und sich Macht über Leben und Tod anmaßen. Aus beiden Augenzeugenberichten spricht eine große Dringlichkeit: Die Autoren mussten endlich ihre Erlebnisse in Worte fassen. Beide Bücher bieten auf ihre Art Einblicke in ein fast vergessenes Menschheitsverbrechen.

Vaddey Ratner, Im Schatten des Banyanbaums, Unionsverlag, Zürich 2014, 384 Seiten, 21,95 Euro

Rithy Panh, Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2013, 238 Seiten, 19,99 Euro

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. Mai 2014


Zurück zur Kambodscha-Seite

Zur Kambodscha-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage