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Von der Straße ins Parlament

Kambodscha: Einigung von Regierung und Opposition beendet Massenproteste

Von Thomas Berger *

Fast ein Jahr nach der Wahl im Juli 2013 haben Regierung und Opposition diese Woche eine Einigung erzielt, die im wesentlichen eine Reform der Wahlgesetzgebung vorsieht. Nach dem Boykott des Parlaments seitens der oppositionellen Nationalen Rettungspartei (CNRP) kann so der reguläre parlamentarische Betrieb beginnen. Zugleich enden damit voraussichtlich die politischen Massenproteste in der Hauptstadt ­Phnom Penh in der aktuellen Dimension. Die Übereinkunft zwischen den Führern der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP) von Langzeit-Premier Hun Sen und der CNRP von Oppositionschef Sam Rainsy, die am Dienstag bei einem fünfstündigen Treffen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden war, wurde am Donnerstag dem Staatsoberhaupt, König Norodom Sihamoni, vorgelegt.

Bei der letzten Wahl hatte die Opposition mit 55 Sitzen von insgesamt 123 so viele erreicht wie nie zuvor, die CPP verlor ihre Zweidrittelmehrheit und verfügt nur noch über 68 Mandate. Dennoch warf die CNRP Hun Sen und seinen Getreuen Manipulationen vor, wollte das Ergebnis nicht anerkennen und weigerte sich, ihre neugewählten Abgeordneten vereidigen zu lassen. In der Hauptstadt und anderen Landesteilen kam es immer wieder zu Demonstrationen, um eine möglichst baldige Neuwahl zu erzwingen.

Die Behörden in Kambodscha gingen mit aller Härte gegen Proteste der Regierungsgegner vor. Erst vergangene Woche waren sieben CNRP-Aktivisten, darunter Vizeparteichef Kem Sokha, bei einer Aktion in der Hauptstadt festgenommen worden, sie kamen nun im Zuge der Einigung frei. 30 Menschen wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Adhoc verletzt, darunter Wachen eines Parks, der seit der blutigen Niederschlagung von Protesten streikender Textilarbeiter im Januar abgesperrt ist und um den herum es regelmäßig zu Demonstrationen kommt. Die etwa 300 Aktivisten verlangten freien Zugang zu dem Gelände, das als zentraler Versammlungsort für Demonstrationen dient. Nach Angaben von Adhoc feuerte die Polizei schließlich Tränengas in die Menge, um die Kundgebung aufzulösen. Der Militärpolizei zufolge wurden 17 Sicherheitskräfte verletzt.

Unmittelbare Neuwahlen sind nun als Thema vom Tisch, die regulär 2018 anstehende nächste Parlamentswahl soll allerdings etwas vorgezogen werden – einen genaueren Zeitplan gibt es noch nicht. Die liberale CNRP wird ihre Kritik an der Regierung künftig vordergründig auf parlamentarischer Bühne deutlich machen. Dazu, so hieß es aus Oppositionskreisen, soll ein Schattenkabinett aus vermutlich elf Mitgliedern gebildet werden, um den Ministern der CPP mit einem versierten Sprecher für das jeweilige Politikfeld auf Augenhöhe zu begegnen. Das wäre in dieser Form ein Novum.

Die Nationale Rettungspartei verfügt zumindest über einzelne Abgeordnete mit Regierungserfahrung. Sam Rainsy, der die Wirkung bloßer Straßenproteste inzwischen für begrenzt hält und in seiner Strategie umgeschwenkt ist, war 1993/94 Finanzminister für die mitregierende royalistische Funcinpec-Partei. 1998 bis 2004 saß auch seine Kollegin Mu Suchoa als Frauenministerin am Kabinettstisch, bevor sie sich der Opposition anschloß. Mit Pen Sovann hat die CNRP unter ihren neuen Abgeordneten auch jenen Mann, der nach dem Einmarsch der Vietnamesen zum Sturz der Rote-Khmer-Diktatur (1975–1979) erster Ministerpräsident war. Er wurde aber später kaltgestellt, als die Clique um den heutigen Premier Hun Sen an die Spitze der Macht aufrückte.

Zur Einigung zwischen CPP und CNRP gehört vor allem, daß unabhängige Institutionen des Staates gestärkt werden sollen. So wird der Opposition ermöglicht, nach einer Reform künftig auch Vertreter in die nationale Wahlkommission zu entsenden, um dem nächsten Urnengang mehr Rückhalt und Kontrolle zu geben.

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Juli 2014


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