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Streiks gegen Armutslöhne in Kambodscha

Langzeit-Ministerpräsident Hun Sen sieht sich von vielen Seiten zum Rücktritt aufgefordert

Von Detlef D. Pries *

Kambodscha erlebt einen unruhigen Jahreswechsel: Im Schatten des politischen Streits im benachbarten Thailand bildet sich auch am Mekong ein explosives Konfliktgemisch.

Eine große Werbetafel am Straßenrand preist die Sonderwirtschaftszone Phnom Penh als »sicheres Ziel für Ihre Investition«. Darunter protestieren dieser Tage Textilarbeiterinnen und -arbeiter für höhere Löhne. Zwar hat die Regierung gerade erst die Erhöhung des Mindestlohns in den mehr als 400 Textilfabriken des Landes von 80 auf 95 Dollar (70 Euro) im Monat beschlossen, doch die Beschäftigten verlangen mehr. »95 Dollar reichen nicht, um die täglichen Ausgaben zu bestreiten, und die Kosten für Lebensmittel und Mieten steigen«, zitierte »The Cambodia Daily« Gewerkschaftsführer Yang Sopborn. Seit Monaten fordern Gewerkschaften eine Verdopplung des Mindestlohns auf 160 Dollar. Immer wieder haben sie deshalb zum Protest aufgerufen. Die Zahl der Streiks in diesem Jahr hatte schon Anfang Dezember das Rekordhoch von 131 erreicht. Straßen wurden blockiert, bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gab es Verletzte auf beiden Seiten, an einem der »heißesten« Tage im November kam ein Unbeteiligter ums Leben.

Die Fabrikbetreiber halten eine Lohnverdopplung für unmöglich: Die Kosten der »Ware Arbeitskraft« wären bei einem Lohn von 160 Dollar höher als bei der Konkurrenz in Bangladesch, Myanmar oder Vietnam. Großkunden wie Levi’s, H&M, Gap oder Adidas würden womöglich ihre Auftragsproduktion verlagern. Der Verband der Textilhersteller GMAC schiebt den Gewerkschaften schon jetzt die »volle Verantwortung für den Verlust von Löhnen, Arbeitsplätzen und Investitionen« zu. Etliche Fabriken haben Ende vergangener Woche ihre Tore geschlossen, weil sie die Zerstörung von Produktionsanlagen durch radikale Protestteilnehmer fürchten.

Dabei ist die Textil- und Schuhproduktion Kambodschas wichtigster Exportzweig: Über 5 Milliarden Dollar erwirtschaftete er in den ersten elf Monaten dieses Jahres, 22 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2012. Hauptabnehmer mit großem Abstand sind die USA und Europa. Aber nicht nur der Verlust an Deviseneinnahmen muss Hun Sen – Kambodschas Regierungschef seit 1985 – beunruhigen. Die streikenden Textilarbeiter vereinen sich dieser Tage mit den Bauern, die gegen Landraub protestieren, mit jungen buddhistischen Mönchen und mit der politischen Opposition, die – von Kambodschanern im Exil unterstützt – seit den Parlamentswahlen im Juli nahezu pausenlos Demonstrationen veranstaltet, weil sie den Wahlsieg für sich beansprucht und das Parlament seit dessen Eröffnung boykottiert.

Rund 50 000 Kambodschaner zogen am vergangenen Sonntag über den Mao-Zedong-Boulevard im Zentrum Phnom Penhs und forderten neben der Verbesserung ihrer Lebenslage den Rücktritt des Regierungschefs. »Strongman« (der starke Mann) Hun Sen, wie ihn der verstorbene König Sihanouk einst neidvoll nannte, sieht sich einer der ernsthaftesten Herausforderungen seiner 28-jährigen Regierungszeit ausgesetzt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 31. Januar 2013


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