Islam auf Kasachisch
Die Organisation der Islamischen Konferenz tagte in Astana und war beeindruckt
Von Roland Etzel, Astana *
Fern von Europa und vom alten Kontinent auch ziemlich ignoriert, hat diese Woche (28.-30. Juni) in Kasachstans
neuer Hauptstadt Astana die Organisation der Islamischen Konferenz getagt. Sie war in vieler
Hinsicht aufschlussreich – in ihren Ergebnissen wie in ihren Defiziten.
Sie haben ihr neues Logo gefeiert wie die Neugründung der Welt, ihrer Welt des Islam. Die seit 1969
bestehende Organisation der Islamischen Konferenz – auf Englisch abgekürzt OIC – behält ihr
Akronym, dahinter verbirgt sich aber künftig Organisation der Islamischen Kooperation. Kasachstans
Präsident Nursultan Nasarbajew und der türkische OIC-Generalsekretär,
Ekmeleddin Ihsanoglu, erklärten den Namenswechsel als Sinnbild eines engeren
Zusammenrückens der Mitgliedsländer.
Den politischen Intentionen Kasachstans und der Türkei entspricht das auf jeden Fall. Bei vielen
anderen Mitgliedern ist dies in der Praxis aber nur schwer vorstellbar. Immerhin zählt die OIC
inzwischen 57 Mitglieder. Nasarbajew als großzügiger Gastgeber hatte es auch den ärmeren unter
ihnen ermöglicht, mit größeren Delegationen anzureisen. So bevölkerten gut 1000 Gäste und gefühlt
ähnlich viele Angestellte und Betreuer drei Tage lang den monumentalen Palast der Unabhängigkeit
im politischen Zentrum Astanas und verbreiteten entsprechend angenehme Atmosphäre – in der
Lobby. Nach dem glorreichen Auftakt zogen sich die Abgesandten hinter verschlossene Türen
zurück, und gemessen an dem, was am Ende konsensual verkündet wurde, muss die mit der
Präsentation des neuen Logos beschworene »Einheit der islamischen Welt« sehr hart mit den
politischen Realitäten der Region zusammengeprallt sein.
Wie sollte es auch anders sein: Zur OIC zählen sowohl die absoluten Krösusse dieser Welt wie
Brunei, Katar und Saudi-Arabien als auch nicht weniger als 21 der derzeit von der UNO als am
wenigsten entwickelte Länder klassifizierten Staaten, zum Beispiel Afghanistan, Mauretanien und
Niger. Von einer nennenswerten Aufstockung der Entwicklungshilfe für die ärmeren Brüder im
Glauben steht jedenfalls nichts in der Abschlusserklärung.
Die Erklärungen zu den Brennpunkten der islamischen Welt verharrten bei äußerst allgemein
gehaltenen Aussagen. Enttäuschend war das wohl nicht nur für Beobachter des Kongresses. Ali
Adbeib, einen der libyschen Regierungsvertreter, den ich zu Konferenzbeginn befragte, hatte seine
Hoffnungen schon nicht allzu hoch gehängt, erwartete aber wohl zumindest eine Forderung zur
Einstellung des NATO-Bombenkrieges. Diese gab es nicht. Kasachstans Außenminister Jershan
Kasychanow erklärte den gespannt wartenden Journalisten lediglich, die Konferenzteilnehmer hätten
sich für einen »nationalen Dialog« in Libyen ausgesprochen und für die Respektierung der UNSicherheitsratsresolution
1973. War dies eine Kritik, und wenn ja, an wen richtete sie sich?
Nachfragen blieben unbeantwortet.
Sibyllinisch auch die Aussage der OIC-Außenminister in der »syrischen Frage«: Syrien habe derzeit
Probleme, aber es sei im ureigenen syrischen Interesse, diese zu lösen. Die Vertreter aus
Damaskus waren zu keiner Äußerung bereit, weder vorher noch hinterher.
Nicht nur an dieser Stelle fallen die gemeinsamen Aussagen der Außenminister dadurch auf, dass
man vergeblich nach kritischen Passagen gegenüber den USA und anderen westlichen Staaten
sucht, die in Konflikte in islamischen Staaten verwickelt sind. Eine deutliche Aussage hingegen gibt
es hinsichtlich der palästinensischen Pläne, im September einen eigenen Staat auszurufen – auch
gegen den Willen Israels und der USA.
Wenn es einen Überraschungs-Coup der OIC in Astana gab, dann war es die verkündete Absicht,
eine »Unabhängige Ständige Kommission für Menschenrechte« (IPCHR) zu gründen. OICGeneralsekretär
Ihsanoglu erläuterte gegenüber dem Autor, dass darin keinerlei Konkurrenz
gegenüber dem diesbezüglichen Gremium der UNO oder anderen internationalen Institutionen zu
sehen sei. Auch mit den Rechten von Frauen und dem Umweltschutz will sich die OIC viel stärker
als bisher beschäftigen. »Wir müssen«, so Ihsanoglu, »unsere Charta der Moderne anpassen.«
Dabei bezog er sich auf die Eröffnungsrede von Präsident Nasarbajew.
Aber dieses IPCHR soll ausgerechnet in Dschidda, der saudi-arabischen Hafenstadt am Roten
Meer, seinen Platz haben. Das Königreich liegt in Sachen Demokratie und Menschenrechte nicht
allein im Feld der OIC-Staaten ganz weit hinten und wohl auf dem letzten Platz, was die Rechte,
besser: die Vorenthaltung von Menschenrechten für Frauen betrifft. Warum also Dschidda?
Darauf gab es keine befriedigende Antwort in Astana. Zu vermuten ist, dass der saudischen
Königssippe nach bangen Blicken in Richtung Kairo oder Tunis dämmert, dass sie sich bewegen
muss. Dann stellt man sich doch am besten an die Spitze und bestimmt das Tempo selbst.
Dass das gelingt, ist mehr als fraglich. Die kasachische Wirklichkeit mit überall in der Öffentlichkeit
selbstbewusst auftretenden Frauen dürfte wohl der Mehrheit der Menschen in allen islamischen
Ländern als erstrebenswert gelten. Zumindest haben alle Gipfelteilnehmer eine Wirklichkeit ohne
staatlich verordnete Benachteiligung – ob in geschlechtlicher, religiöser oder welcher Hinsicht auch
immer – als offenbar weitgehend konfliktarmes, wenn nicht sogar äußerst erfolgreiches Modell eines
sich islamisch verstehenden Staates kennengerlernt.
Gerade den Saudi-Arabern, die erst im vergangenen Monat wieder einer Frau Gefängnis androhten,
wenn sie es wagen sollte, Auto zu fahren, dürfte die Lächerlichkeit ihrer Versuche, das Mittelalter zu
konservieren, vor Augen geführt worden sein. Trotz aller gegenseitigen Freundschaftsbekundungen
sind Kasachstans Versuche, sich (mit) an die Spitze der OIC-Staaten zu stellen, von den Saudis
sicher mit Unbehagen aufgenommen worden. Die nächsten politischen Großvorhaben Nasarbajews
– Weltausstellung, ja sogar Olympische Spiele –, die er unter dem Banner eines modernen Islam in
sein Land holen will, machen deutlich, dass dies durchaus ernstgemeint ist.
Fürs erste beschied sich Nasarbajew mit einem großen, offenen Fest unterm grünen Rubrum des
Islam. Er tat dies ohne die geistige Enge der Hüter von Mekka und Medina, ohne die großspurigen
Allüren des sinkenden Sterns von Tripolis und auch ohne so zu tun, als sei nicht mehr Al-Azhar in
Kairo, sondern er der »wirkliche« Exeget des Willens des Propheten. Insofern dürfte die offene und
politisch auch erfolgreiche »Präsentation« des Islam nicht ohne Wirkung auf die mehr als zwei
Milliarden Gläubigen in der Welt bleiben.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2011
Zurück zur Kasachstan-Seite
Zur Islam-Seite
Zurück zur Homepage