Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nasarbajew-Wahl in Kasachstan

Die Amtszeit des Präsidenten wird abermals um fünf Jahre verlängert werden

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Sonntag (3. Apr.) finden in Kasachstan Präsidentenwahlen statt. Vorgezogene, und das lässt aufhorchen. Auch Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew, der die Republik 1991 in die Unabhängigkeit führte, war bisher sehr bemüht, seinen Posten zu behaupten.

Mehrfach ließ der inzwischen 70-jährige Nursultan Nasarbajew Kasachstans Verfassung umschreiben, um im Amt bleiben zu können. Denn ursprünglich untersagte das Grundgesetz dem Präsidenten nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden eine dritte Kandidatur. Später erlaubte das zahme Parlament Nasarbajew als dem »Führer der Nation« sogar, beliebig oft zu kandidieren. Bereits 1995 hatte Nasarbajew fällige Wahlen abgesagt und sich seine Vollmachten für weitere fünf Jahre per Referendum bestätigen lassen. Ende vergangenen Jahres griff er in die gleiche Trickkiste.

Binnen eines Tages registrierte die oberste Wahlleitung eine »Initiativgruppe« in Ostkasachstan, die im Eiltempo die Unterschriften von 5 Millionen Staatsbürgern – fast die Hälfte der Wahlberechtigten – für einen Volksentscheid sammelte. Dadurch sollte Nasarbajew gleich bis 2020 im Amt bestätigt werden. Das spare gleich zwei teure Wahlkampagnen, hieß es zur Begründung. Und prompt beschloss das Parlament im Januar, dass die Volksabstimmung stattfinden werde.

Im Ausland – von der inländischen, gespaltenen Opposition zu schweigen – kam das allerdings nicht gut an: EU und USA hatten von einem Vertrauensvorschuss gesprochen, als sie Kasachstan für 2010 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überlassen hatten. Nasarbajew wurde gedrängt, Demokratiedefizite in seinem Land abzubauen.

Die gibt es in der Tat. Opposition und Bürgerrechtler sehen sich behindert, die staatlichen Medien werden zensiert, Nasarbajews Familienclan kontrolliert die profitabelsten Unternehmen des Landes. Allein das Privatvermögen von Tochter Dariga, die bisweilen auch als Nachfolgerin ihres Vaters gehandelt wird und mit ihrem Medienunternehmen die öffentliche Meinung maßgeblich formt, wird auf über zwei Milliarden US-Dollar geschätzt.

Brosamen von den Erlösen üppig sprudelnder Energieexporte – Kasachstan verfügt über umfangreiche Öl- und Gasvorkommen, die kontinuierlich für ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich acht Prozent pro Jahr und für ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung von 11 500 US-Dollar sorgen – fallen auch für die Massen ab. Die sehen in Nasarbajew einen Garanten für Stabilität und Ruhe im Lande.

Zwar ist das Verhältnis der ethnischen Kasachen zu den rund 50 Minderheiten im Lande nicht ganz frei von Spannungen. Vor allem ethnische Russen, die offiziell 23 Prozent der Bevölkerung stellen, in einigen Regionen des Nordens aber die Mehrheit bilden, klagen über Diskriminierung. Formell gleichberechtigt, sind sie in staatlichen Organen kaum noch vertreten. Doch die Konflikte haben, anders als bei den Nachbarn, nicht das Potenzial für Bürgerkrieg und Sezession. Und anders als in Usbekistan oder Kirgistan stellen radikale Islamisten keine reale Bedrohung dar. Hoch rechnen die Kasachen Nasarbajew auch die Förderung von Sprache und Nationalkultur an.

Nasarbajew ging daher kein Risiko ein, als er das Referendum – formell nach einem Einspruch des Verfassungsrats, tatsächlich wohl unter dem Eindruck der Kritik aus dem Ausland – wegen Verfassungswidrigkeit abblies und stattdessen Neuwahlen ansetzte.

Was ihn dazu bewog, den Wahltermin um anderthalb Jahr vorzuverlegen, ist umstritten. Die Opposition vermutet Angst vor Entwicklungen wie in Nordafrika. Mangels Erfolgschancen in einem extrem kurzen Wahlkampf stellten die entschiedensten Nasarbajew-Gegner erst gar keinen eigenen Kandidaten auf. Und Mels Eleusisow, Vorsitzender der Grünen Partei, sprach laut aus, was auch die anderen beiden Herausforderer – der Kommunist Shambal Ahmetbekow und Senator Gani Kasynow, Chef der Patriotischen Partei – wissen: Nasarbajew ist derzeit nicht zu schlagen. Seine Anhänger rechnen mit »90 Prozent plus X«. »Es kann keine zweite Sonne am Himmel geben, und heute kann es in Kasachstan keinen anderen Präsidenten geben als Nursultan Nasarbajew«, sagte ein Abgeordneter der Präsidentenpartei Nur Otan. Weshalb Oppositionspolitiker Wladimir Koslow meint, am Sonntag finde »keine Präsidentenwahl, sondern eine Nasarbajew-Wahl« statt.

* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2011


Zurück zur Kasachstan-Seite

Zurück zur Homepage