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Kaschmir: Zankapfel zwischen zwei atomaren Schwellenmächten

Der Kleinkrieg ging auch 2000 weiter: Attentate und Überfälle

Nach dem indisch-pakistanischen Krieg im Sommer 1999 (vgl. Friedens-Memorandum 2000) und dem Militärputsch in Islamabad (Oktober 1999) haben sich die Kontrahenten zwar größerer direkter Kampfhandlungen enthalten, doch ihre Stellvertreter - kaschmirische Separatisten und radikale Hindus - sorgen immer wieder für negative Schlagzeilen in der umstrittenen Provinz Jammu und Kaschmir. Weihnachten 1999 wurde ein Flugzeug der Indian Airlines mit 160 Passagieren an Bord zwischen Kathmandu und Delhi entführt und nach einigen Umwegen in das afghanische Kathmandu geflogen. Die Entführer handelten nach eigenen Angaben im Rahmen des Befreiungskampfes in Kaschmir und erpressten die Freilassung von gleichgesinnten Rebellen aus indischer Haft. Vier der fünf Luftpiraten besaßen einen pakistanischen Pass und es gab klare Indizien dafür, dass ihnen, nachdem sie in Afghanistan nicht das erhoffte politische Asyl erhielten, der pakistanische Geheimdienst ISI Unterschlupf gewährte. Zwei der freigepressten Rebellen tauchten später in Pakistan auf, wo auch der Führer der Luftpiraten von seinen Anhängern gefeiert wurde. Im Sommer gab es sowohl erste Ansätze zu Friedensgesprächen zwischen aufständischen Kaschmiris und der indischen Regierung als auch neue Anschläge. Eine der bedeutendsten, weil schlagkräftigsten in Kaschmir tätigen Untergrundorganisationen, die Hezb-ul Mujahedeen ("Kämpfer der Partei Gottes") , wandte sich am 24. Juli an die Regierung in Delhi mit dem Wunsch verhandeln zu wollen. Gleichzeitig verkündete die Gruppe einen dreimonatigen Waffenstillstand.

Wenige Tage danach erschütterten grausame Massaker die Öffentlichkeit. Am 1. und 2. August kamen dabei mehr als 100 Menschen ums Leben, darunter nach indischen Agenturmeldungen 32 hinduistische Pilger, die zu einem Heiligtum in Pahalgam unterwegs waren. Delhi reagierte mit großangelegten militärischen Suchaktionen nach den Tätern und verstärkte ihre Truppenpräsenz in der Region. Im September forderte ein hinterhältiger Anschlag auf einem Markt in der pakistanischen Hauptstadt 16 Todesopfer. Die Regierung in Islamabad machte hinduistische Terroristen dafür verantwortlich. Dennoch setzten sich die Konfliktparteien an einen Tisch, um über einen Waffenstillstand im Kaschmirkonflikt zu verhandeln. Eine der wichtigsten Forderungen der Rebellen lautete, Indien müsse Pakistan in die Friedensverhandlungen mit einbeziehen. Diese Forderung entspricht auch einem lange gehegten Wunsch Islamabads, das den Kaschmirkonflikt auf diese Weise internationalisieren will. Darauf wollte sich Indien jedoch auf keinen Fall einlassen. Für Delhi ist die Kaschmirfrage eine rein innerindische Angelegenheit. Am 8. August wiederrief die Hezb-ul Mujahedeen ihren Waffenstillstand, der von anderen Rebellenorganisationen ohnehin nicht unterstützt worden war. In der Folge wechselten sich Anschläge und Verhandlungsangebote mehrmals ab. Anfang November versprach die indische Regierung eine Waffenruhe während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, worauf Pakistan Anfang Dezember ebenfalls einen Waffenstillstand verkündete. Nach Meinung von Beobachtern zielten die Friedensschalmeien allerdings weniger auf die Rebellen (deren Aktionen setzten sich auch im Dezember fort) als vielmehr auf das Ausland. Vor allem sollten wohl wichtige Kreditgeber von der Ernsthaftigkeit der Friedensbemühungen der verfeindeten Staaten überzeugt werden.

Dies war aber schon bei der Indien- und Pakistanreise des US-Präsidenten Clinton im März d. J. nicht ganz gelungen. Im Vorfeld dieses Besuchs - es war das erste Mal seit 22 Jahren, dass ein US-Präsident Indien besuchte - formulierte Clinton die Positionen seiner Administration in einem Grundsatzartikel für die "Times of India" (20.03.2000): "Ich glaube .., dass Indien und Pakistan keine wirkliche Sicherheit erreichen können, wenn sie nicht den Dialog zur Lösung ihrer Spannungen wieder aufnehmen. Ich habe nicht die Absicht im Streit zwischen Indien und Pakistan zu vermitteln. Amerika kann diese Rolle nicht spielen, wenn nicht beide Partner dies wollen. Aber ich fordere dringend dazu auf, Zurückhaltung zu üben, die Line of Control (das ist die Demarkationslinie, die Kaschmir zwischen Indien und Pakistan teilt, d. Verf.) zu respektieren und neue Wege der Kommunikation zu finden." An die Adresse Pakistans lautete die Botschaft: "Zu General Musharraf und dem pakistanischen Volk werde ich direkt sprechen und die Schritte nennen, die wir für eine hoffnungsvolle Zukunft Pakistans für wichtig halten: eine rasche Rückkehr zur Demokratie, ein scharfes Durchgreifen gegenüber terroristischen Gruppen, Zurückhaltung bei den Nuklear- und Raketenprogrammen und wirkliche Anstrengungen zur Schaffung der Bedingungen für einen Dialog mit Indien. Wenn Pakistan diese Schritte unternimmt, können wir auf den Weg der Partnerschaft zurückfinden." In Islamabad wurde diese Position als Parteinahme für Indien und damit als Brüskierung Pakistans empfunden. Das Ziel des Clinton-Besuchs ähnelte der Quadratur des Kreises: Er wollte die traditionelle strategische Partnerschaft mit Pakistan erneuern und gleichzeitig eine strategische Allianz mit Indien anbahnen. Er hat beide Ziele verfehlt - nicht nur wegen der unvereinbaren Standpunkte Indiens und Pakistans im Kaschmirkonflikt , sondern auch wegen der unvereinbaren Standpunkte zwischen beiden und den USA in der Atomwaffenpolitik.

Clintons Anbandelungsversuch mit Indien hat aber auch den "natürlichen Verbündeten" Indiens, Russland auf den Plan gerufen. Der russische Präsident Putin stattete Anfang Oktober Delhi einen Besuch ab und bestätigte seinen Gastgebern, was diese hören wollten: Die Kaschmirfrage ist ein rein indische Angelegenheit und das Vorgehen des indischen Miltärs gegen die muslimischen Rebellen sei gerechtfertigt, um die Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Der mitgereiste stellvertretende russische Regierungschef Ilja Klebanow und der indische Verteidigungsminister George Fernandes unterzeichneten am 4. Oktober ein Abkommen zur militärisch-technischen Zusammenarbeit beider Staaten. Besiegelt wurde dieser Pakt mit umfangreichen Waffengeschäften (russische Panzer und Kampfflugzeuge sowie ein gebrauchter russischer Flugzeugträger) im Wert von mehreren Milliarden DM.

Das Frühjahr 2000 brachte die schlimmste Dürre in Indien seit 100 Jahren. Für Hilfsmaßnahmen machte die Regierung in Delhi 45 Millionen US-Dollar locker. "Wir haben nicht mehr Geld. Alle Bürger des Landes sollten mit Spenden helfen", forderte die Regierung im Mai. Zwei Monate zuvor konnte der indische Finanzminister noch stolz verkünden, dass in diesem Jahr 13 Milliarden US-Dollar für das Militär ausgegeben werde, 28 Prozent mehr als im Vorjahr. "Das ist typisch", meinte dazu der Sprecher eines südasiatischen Netzwerks von Bürgerinitiativen, die sich mit Wasserpolitik befassen (zit. n. FR, 08.05.2000).
Pst

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