Feuergefechte an der Kaschmir-Grenze
Indien und Pakistan um Schadensbegrenzung bemüht
Von Hilmar König *
Zwei schwere Grenzzwischenfälle in
der umstrittenen Region Kaschmir
werfen einen Schatten auf das ohnehin
gespannte Verhältnis zwischen
Indien und Pakistan.
Noch am Dienstag gab es bis spät
in die Nacht Gefechte an einem
Abschnitt der 740 Kilometer langen
sogenannten Kontrolllinie
(LOC) im Nordwesten des südasiatischen
Subkontinents.
Am gleichen Tag war nach indischen
Angaben eine Grenzpatrouille
in dichtem Nebel von etwa
15 Angehörigen des pakistanischen
Baloch-Regiments auf der
indischen Seite der Kontrolllinie
angegriffen worden. Zwei indische
Soldaten wurden getötet, einer
davon anschließend verstümmelt.
Dieser Attacke, der angeblich
schwersten Verletzung des 2003
vereinbarten Waffenruheabkommens,
folgten anhaltende Feuergefechte.
Nachdem es am Mittwoch
zu einer Begegnung der Generaldirektoren
für militärische
Operationen beider Armeeführungen
gekommen war und das
indische Außenministerium den
pakistanischen Hochkommissar
einbestellt hatte, kam es an der
LOC zu keinen weiteren Zwischenfällen.
Für Delhi war die Attacke vom
Dienstag ein »höchst provokativer
Akt«. Verteidigungsminister Arackaparambil
Kurian Antony versicherte:
»Wir beobachten die Lage
sehr aufmerksam.« Aus Militärkreisen
hieß es, man sei auf eine
»kalibrierte Antwort« vorbereitet,
was immer das bedeuten mag.
Außenminister Salman Khurshid
sprach von einer »extrem sensitiven
Angelegenheit«, die darauf
zielen könnte, den mühsam in
Gang gekommenen Entspannungsprozess
entgleisen zu lassen.
Man müsse Mittel finden, dass der
Dialog nicht sabotiert werden
kann. Es dürfe keine Eskalation
geben.
Nach dem Massaker von Mumbai
im November 2008, bei dem
ein aus Pakistan kommendes
Kommando über 160 Menschen
tötete, hatten die indisch-pakistanischen
Beziehungen ihren Tiefpunkt
erreicht. Zögerlich wurde
vor etwa anderthalb Jahren der
Normalisierungsprozess begonnen.
Das indische Außenministerium
veröffentlichte nach dem Treffen
mit dem pakistanischen Hochkommissar
Salman Bashir am
Mittwoch eine Stellungnahme.
Darin wird erklärt: »Die Regierung
Pakistans wurde aufgefordert,
diese Aktion, die allen Normen internationalen
Verhaltens widerspricht,
sofort zu untersuchen.«
Islamabad müsse sichern, dass
sich so etwas nicht wiederholt.
Arun Jaitley, ein Spitzenpolitiker
der hindunationalistischen Indischen
Volkspartei BJP, sprach von
einem »nicht provozierten Aggressionsakt
Pakistans«. Offensichtlich
habe man damit beabsichtigt,
die Beziehungen zwischen
beiden Nachbarn zu vergiften.
Laut der pakistanischen Zeitung
»Dawn« hat Pakistans Generaldirektor
für militärische Operationen
an Ort und Stelle alles überprüfen
lassen. Es sei nichts gefunden
worden, was die indischen
Vorwürfe belegen würde. Aus anderen
Militärkreisen Islamabads
war zu hören, es könnte sich um
das Werk separatistischer Rebellen
gehandelt haben, die seit Ende der
80er Jahre im indischen Teil
Kaschmirs aktiv sind. Indische
Militärs dagegen vermuten einen
Vergeltungsakt, denn bereits am
Wochenende hatte es ein schweres
Feuergefecht an der LOC gegeben,
bei dem ein pakistanischer Soldat
ums Leben kam. In diesem Fall, so
Quellen aus Islamabad, hätten indische
Soldaten einen pakistanischen
Grenzposten überfallen. Der
jetzige Aufschrei der Inder sei nur
Ablenkung von diesem Vorfall.
Die pakistanische Zeitung
»News International« kommentierte
besorgt, beide Seiten dürften
es nicht erlauben, dass solche
Vorfälle die Nachbarn in Richtung
weiterer Konfrontation treiben,
keine der beiden Nationen
»braucht oder will einen neuen
Krieg«.
Seit dem Streit um Kaschmir im
Jahre 1947 führten beide Länder
bereits drei Kriege gegeneinander.
Inzwischen besitzen Indien und
Pakistan Atomwaffen und entsprechende
Trägerraketen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Januar 2013
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