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Säbelrasseln in Indien

Verhältnis zu Pakistan nach schweren Zwischenfällen an Kaschmir-Grenze angespannt

Von Hilmar König *

Um die Spannungen zwischen Indien und Pakistan, die in den letzten Tagen durch schwere beiderseitige Verletzungen des Waffenstillstands an der sogenannten Kontrolllinie (LOC) in der Kaschmirregion entstanden sind, zu entschärfen wollen Vertreter beider Länder am heutigen Montag zu einem militärischen »Flaggenmeeting« auf Ebene von Brigadegenerälen im indischen Poonch zusammenkommen. Man hofft, damit eine Eskalation der brisanten Lage – beide Staaten verfügen über Kernwaffen und entsprechende Trägersysteme – zu vermeiden und sich wieder strikt an die 2003 vereinbarte Waffenruhe zu halten.

Je zwei getötete indische und pakistanische Soldaten sowie bis zum Samstag anhaltende Feuergefechte über die 740 Kilometer lange LOC hinweg haben in der vorigen Woche zu Befürchtungen geführt, daß der vor anderthalb Jahren mühsam in Gang gekommene Friedensdialog erneut abgebrochen werden könnte. Nach dem Massaker vom November 2008 in Mumbai, bei dem ein aus Pakistan kommendes Kommando über 160 Menschen getötet hatte, waren die indisch-pakistanischen Beziehungen auf einen Tiefpunkt gesunken.

Nun hört man wieder Kriegsgeschrei und Säbelgerassel, vor allem in den indischen elektronischen -Medien. Die »Moderatoren« in Talkshows machen die pakistanischen Gesprächspartner lächerlich, führen sie vor und stacheln das Publikum zu gehässigen Zwischenrufen auf. Fernsehzuschauer erleben momentan das ganze Gegenteil von vertrauenbildenden Maßnahmen. Generäle a.D. heizen die chauvinistische Stimmung an, die Regierung sollte endlich entschlossen mit einem Gegenschlag reagieren. Das kleine Israel mache es vor. Den Pakistanern sollte eine Lektion erteilt werden. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen ist ihrer Auffassung nach das mindeste, wozu sich Neu-Delhi entschließen sollte. Andere stellen das im Herbst 2012 geschlossene Visa-Abkommen, den kleinen Grenzverkehr in Kaschmir sowie die Meistbegünstigung im bilateralen Handel in Frage. Auf pakistanischer Seite gießt der Scharfmacher Hafez Saeyd, der hinter dem Mumbai-Blutbad stecken soll, Öl ins Feuer und verdächtigt Indien, mit den jüngsten verheerenden Bombenanschläge in der pakistanischen Provinz Belutschistan etwas zu tun zu haben. Inzwischen wurde der Busverkehr zwischen beiden Kaschmirteilen eingestellt. Dort werden zur Zeit auch indische LKW nicht abgefertigt.

Das offizielle Neu-Delhi hält sich sichtlich zurück, spricht jedoch von einem »höchst provokativen Akt« Pakistans. Verteidigungsminister Arackaparambil Kurian Antony versicherte: »Wir beobachten die Lage sehr aufmerksam.« Indien habe genug Truppen in Kaschmir, um jeder Herausforderung zu begegnen. Aus Militärkreisen in Neu-Delhi hieß es, man sei auf eine »kalibrierte Antwort« vorbereitet, was auch immer das bedeuten mag. Luftwaffenmarschall NAK Browne erklärte: »Wir haben die LOC, wir haben ein Waffenstillstandsabkommen, wir haben gewisse Strukturen und Mechanismen, die sakrosankt sind…Wenn diese Verletzungen fortgesetzt werden, dann müssen wir vielleicht einige andere Optionen erwägen.« Arun Jaitley, ein Spitzenpolitiker der hindunationalistischen Indischen Volkspartei BJP, sieht einen »nicht provozierten Aggressionsakt Pakistans«, und seine Parteikollegin Sushma Swaraj verlangt von der Regierung eine »scharfe Entscheidung«.

Glücklicherweise haben die Diplomaten in Islamabad und Neu-Delhi bislang kühlen Kopf bewahrt. Der indische Außenminister Salman Khurshid sprach zwar von einer »extrem sensitiven Angelegenheit«, die darauf zielen könnte, den Entspannungsprozeß entgleisen zu lassen. Aber man müsse Mittel finden, durch die der Friedensdialog nicht sabotiert oder zerstört werden kann. Fast wörtlich meinte auch seine pakistanische Amtskollegin Hina Rabbani Khar, der Friedensprozeß dürfe nicht abgebrochen werden. Ihren Vorschlag, die jüngsten Vorfälle an der LOC durch eine »dritte Partei« – die Mission UNMOGIP der Vereinten Nationen – überprüfen zu lassen, lehnte Indien allerdings umgehend ab, weil es keine Internationalisierung des schwelenden Kaschmir-Konflikts will.

Besorgt kommentierte die pakistanische Zeitung News International, beide Seiten dürften es nicht erlauben, daß die Situation aus dem Ruder läuft und die Nachbarn in Richtung weiterer Konfrontation treiben. Keine der beiden Nationen, so das Blatt, »braucht oder will einen neuen Krieg«. Seit dem Ausbruch des Streits um Kaschmir im Jahre 1947 führten beide Länder drei Kriege gegeneinander.

* Aus: junge Welt, Montag, 14. Januar 2013


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