Zwist hinter den Kulissen
Kaschmir: Indische Separatisten bestehen nicht länger auf Referendum. Machtkampf zwischen Fraktionen der Abspaltungsbewegung
Von Thomas Berger*
Es war nach den – in seiner Heimat heftig kritisierten – Lobesworten des indischen Oppositionsführers und früheren Innenminister Lal Krishna Advani für Pakistan die zweite Überraschung innerhalb weniger Tage: Die Hurriyat, ein Sammelbecken von rund zwei Dutzend separatistischen Organisationen im indischen Teil Kaschmirs, beharrt nicht mehr auf einem Referendum über die Zugehörigkeit der Provinz zu Pakistan oder Indien. Das erklärten ihre Vertreter jetzt vor der Presse in Islamabad.
Schon allein die Tatsache, daß eine Delegation der All Parties Hurriyat Conference (APHC) überhaupt in den pakistanischen Teil Kaschmirs und dann auch noch weiter bis nach Islamabad reisen durfte, ist Indiz für das indisch-pakistanische Tauwetter. Waren Vorhaben dieser Art doch bisher stets an der starren Haltung der indischen Innenbehörden, die schon die Ausstellung von Reisepässen für APHC-Führer verweigerten, gescheitert. Nachdem die Abgesandten der Hurriyat als Höhepunkt ihrer Tour auf Einladung der Spitzen pakistanischer Politik auch noch Präsident Pervez Musharraf getroffen hatten, traten die Kaschmiris vor die Presse und verkündeten ihren Schwenk.
Was sich für Außenstehende wenig spektakulär ausnimmt, ist für die Militanten ein großer Schritt, der sowohl den indo-pakistanischen Dialog als auch die Separatgespräche zwischen indischer Regierung und APHC beflügeln kann. Damit haben sich auch in diesem Fall die moderaten Kräfte durchgesetzt. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß nur ein Teil der gespaltenen Hurriyat der pakistanischen Einladung gefolgt war. Die radikale Fraktion unter Führung von Syed Ali Shah Geelani hatte das Angebot ausgeschlagen, sie setzt weiter auf Konfrontation. Und auch einen anderen Rückschlag hatte die APHC-Delegation zu verdauen: Die militanten pakistanisch-kaschmirischen Gruppen, mit denen sich die Vertreter jenseits der Line of Control (Waffenstillstandslinie von 1965) treffen wollten, widersetzten sich dem Versuch der direkten Kontaktaufnahme. Ebenso hatten die separatistisch-islamistischen Extremistenorganisationen, die mit Terrormethoden gegen die indische Präsenz in Kaschmir kämpfen, die Reise der Hurriyatführer klar abgelehnt. Der Versuch, das fundamentalistische Lager der vielschichtigen kaschmirischen Bewegung wenigstens teilweise zum Einlenken zu bewegen, muß vor diesem Hintergrund vorerst als gescheitert eingestuft werden.
Das interne Kräftemessen unter den Separatisten ist längst nicht beendet, so groß das positive Medienecho in Südasien und weltweit auf die Begegnungsreise der APHC-Vertreter nach Pakistan auch sein mag. Mirwaiz Omar Farooq und seine moderate Fraktion haben allerdings einige Pluspunkte sammeln können. Die Treffen mit dem Regierungschef des pakistanisch kontrollierten Kaschmirteils sowie mit Musharraf und natürlich die Reise an sich haben das Gewicht des Farooq-Lagers nachhaltig gestärkt. Allerdings wiegt auch Geelanis Kritik, Pakistans Spitzenpolitiker hätten gegenüber Indien schon zu viele Zugeständnisse gemacht und zentrale Positionen aufgegeben, bei vielen Kaschmiris schwer.
Inzwischen will sich auch die Jammu & Kashmir Liberation Front (JKLF), Kaschmirs älteste und einstmals stärkste separatistische Gruppierung, wiedervereinigen. 1989 war die JKLF die erste Organisation, die den bewaffneten Kampf gegen die indische »Fremdbestimmung« aufnahm, der seither 40000 Todesopfer forderte. Später kam es zum Zerwürfnis zwischen Anführer Yasin Malik im indischen Teil, der im Rahmen der APHC auf eine friedliche Einigung mit der Staatsmacht setzte, und dem im pakistanischen Teil Kaschmirs stationierten Kommandeur Amanullah Khan. Beide Männer trafen sich nun erstmals seit damals zu einem mehrstündigen Gespräch, bei dem sie ihre Probleme ausräumen konnten und eine Zusammenführung der beiden Fraktionen ankündigten. Sollte das gelingen, hätte sich Malik endgültig seinen Platz als zweitwichtigste Person hinter Farooq in der Führung der Hurriyat-Moderaten gesichert.
*Aus: junge Welt, 11. Juni 2005
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