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Goldgräberstimmung in Transkaukasien

Interessenkonflikte um die reichen Erdöl- und Gasvorkommen am Kaspischen Meer

Von Matin Baraki*

Der Raum um das Kaspische Meer, von dem hier die Rede sein soll, wird höchstwahrscheinlich einer von den bedeutenden Konfliktregionen des 21. Jahrhunderts werden. Es drängt sich die Frage nach den Hintergründen dieses prognostizierten Konfliktes auf. Da die Ökonomie Vater aller Politik ist, geht es hier auch hauptsächlich um Rohstoffe, nicht irgendwelche, sondern um strategische Rohstoffe, genauer um Erdöl und Erdgas, die Betonung liegt dabei auf Erdöl. Die Rohstoffe dieses Raumes hatten schon im 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit des internationalen Kapitals auf sich gezogen. Die Firmen Nobel und Rothschild saßen bei der Ausbeutung dieser Rohstoffe in der ersten Reihe. Die Existenz der Sowjetunion hat den ausländischen Konzernen dann die Grundlage entzogen, ihre "Raubzüge" auf diesem Gebiet weiter fortzusetzen.

Nach der Kapitulation der Führung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) unter Gorbatschow & Co, wurden die Länder des kaspischen Raumes zu unabhängigen Staaten erklärt. Das war die Geburtsstunde einer "Goldgräber-Stimmung" bei den internationalen Öl-Konzernen. Kein Wunder, denn man geht davon aus, daß in dieser Region bis zu sage und schreibe 10 Milliarden Tonnen Erdölreserven vorhanden sind. Allein in der turkmenischen Republik sollen sich die viertgrößten Erdgasreserven der Welt befinden. Nirgendwo besser als in diesem Zusammenhang wird deutlich, warum die imperialistischen Mächte, die Sowjetunion so gehaßt haben und auf ihr Ende mit allen Mitteln hingearbeitet haben.

Als die Gorbatschow-Clique grünes Licht gab zur Zerschlagung der Sowjetunion, dauerte es nicht mehr allzu lange, bis die internationalen Öl-Gesellschaften in der Region von Transkaukasien (d.h. Mittelasien und Kaukasus) aktiv wurden. Damit es nicht schon im Vorfeld um das größte Stück Kuchen zum Kampf kommt, bildete sich ein sog. Öl-Konsortium unter Beteiligung von zwölf Firmen aus sieben Nationen, das dann auch bald, nämlich seit November 1997 aserbaidschanisches Rohöl für den Weltmarkt lieferte.

Die Vereinigten Staaten wollen, wie es Zbigniew K. Brzezinski drastisch formulierte, ungehinderten Zugang zu dieser Region haben! Um diesem Anspruch Geltung zu verschaffen, wurde 1997 durch die US-Außenministerin Madeleine Albright die gesamte Region von Transkaukasien zur "geostrategischen Interessenzone der USA" deklariert. Was das zu bedeuten hat, angesichts der "Neuen NATO-Doktrin" und den Erfahrungen des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, überlasse ich der Phantasie der Leserinnen und Leser. Eine Reaktion seitens der Regierung der Russischen Föderation (RF) ließ nicht lange auf sich warten. Der damalige Präsident der RF, Boris Jelzin sprach von einer "alarmierenden Entwicklung" im Kaukasus. Ein Jahr später beim sog. G8-Gipfel im Mai 1998 betonte er, daß es in der heutigen Welt keinen Platz für das Diktat eines einzelnen Landes gäbe, womit natürlich die Hegemonialmacht USA gemeint war.

Zweifelsohne bleiben die USA und die Russische Föderation vorläufig die größten Gegenspieler in der Region, aber mittlerweile melden auch andere Mächte und Länder, die auch einen "Platz an der Sonne" haben wollen, ihren Anspruch an. Es geht u.a. um den "Pipeline-Poker", darum wie die ungeheuren Rohstoffreserven sicher in die jeweiligen Länder transportiert werden können. Die Islamische Republik Iran tritt für die Durchführung einer Pipeline-Route von Baku durch Iran zum Schatt-al-Arab am Golf ein. Die Vereinigten Staaten, die Europäische Gemeinschaft und Israel lehnen diesen Vorschlag vehement ab, um u.a. erstens, den iranischen Einfluß in Mittelasien zu konterkarieren und zweitens, um im Energiebereich ihre Abhängigkeit von der Region des arabischen Golfes zu reduzieren.

Zum Ärger von USA und EU hat die iranische Regierung inzwischen mit Turkmenistan und Kasachstan Verträge über wirtschaftliche Zusammenarbeit bzw. über den Transfer von Gas nach Europa über das iranisches Territorium geschlossen.

Die türkische Regierung stellt sich bezüglich der Transporttrasse für die genannten Rohstoffe, auf die Seite der Vereinigten Staaten, d.h. gegen den Iran und die Russische Föderation. Dabei macht sich die türkische Regierung mit der Unterstützung der USA stark für eine Pipeline-Route über Kurdistan zum Mittelmeer. Hier wird unzweideutig klar, warum das "Problem Öcalan" unbedingt gelöst werden mußte; um in Kurdistan stabile Bedingungen für die internationalen Investoren zu schaffen. Daß die Ausweisung Öcalan aus Damaskus mit türkischer Kriegsdrohung gegen Syrien durchgepeitscht wurde, wird nun verständlicher.

Von großer Bedeutung dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß 1999 die Regierungen der Türkei und Israel eine militärische Zusammenarbeit vereinbart haben. Einer von den Ideologen des Kalten Krieges, Samuel Huntington, plädiert dafür, daß die Türkei "im Rahmen der islamischen Zivilisation" die Führungsfunktion zu übernehmen habe. Hier geht es um eine gravierende strategische Aufwertung der Türkei, seit dem vordergründigen Ende des Kalten Krieges, die ausschließlich unter dem unbegrenzten US-Interesse an der Region des Kaspischen Meeres zu sehen ist. Es muß betont werden, daß die Türkei heute für die Regionalstrategie der Vereinigten Staaten eine größere Bedeutung erlangt hat als die Europäische Union.

Ein weiterer Mitspieler in dieser Partie ist die Atommacht VR-China, die ebenfalls nach USA-Vorstellungen von der Region fern zu halten ist, jedoch schon mit Kasachstan den Bau einer 3000 Km langen "Freundschaftspipeline" vom Kaspischen Meer über chinesisches Territorium nach Ostasien vereinbart hat. Dadurch wird nicht nur Chinas eigener Bedarf gedeckt, sondern China wird in der Zukunft den wichtigen Ernergiezufluß nach Japan und anderen asiatischen Industrieländern kontrollieren können. Die "Chinese National Petrol Corporation" (CNPC) hat 1997 für 5,62 Milliarden US-Dollar je 60% der beiden größten Förderanlagen Kasachstan erworben.

Das chinesische Engagement wird von den anderen interessierten bzw. beteiligten Mächten mit Besorgnis registriert. Die Beobachter befürchten, daß sich die beiden Großmächte der Region, nämlich die Russische Föderation und die VR-China in Zentralasien in die Haare geraten könnten.

Aber auch zwischen den USA und der VR-China könnte es zur militärischen Auseinandersetzung um die Vormachtstellung in Asien kommen. Diesbezüglich entwickelte Henry Kissinger in der Zeitung Die Welt vom 9. Mai 1999 ein Szenario: eine möglicherweise militärische Auseinandersetzung, wobei für ihn die Frage jedoch noch offen ist, ob und in welcher Weise sich die Verbündeten im Falle eines US-chinesischen Konfliktes beteiligen würden. Die Raketenpläne der USA, die unter Ronald Reagan als "Krieg der Sterne" bekannt wurden und nun von Präsident Bill Clinton aus der Mottenkiste geholt und mit der Schurken-Staaten-Theorie legitimiert wurden, sind nach Ansicht des Direktors des Institutes für Verteidigungsfragen bei den britischen Streitkräften, Jonathan Eyal, in erster Linie gegen die VR-China gerichtet.

Die Europäische Union ist mit britischen, französischen, italienischen und bundesdeutschen (Veba jetzt e.on) Ölkonzernen in der kaspischen Region stark vertreten. Hinzu kommt noch, daß die EU-Konzerne, allen voran BRD-Firmen in Bereichen der Infrastruktur eine Vorreiterrolle spielen. Dies gilt als Prä-Investment, wodurch Bedingungen geschaffen werden, um künftig intensivere europäische Investitionen in der Region zu fördern.

Die Bundesrepublik Deutschland war der erste Staat, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sofort zu allen Ländern des transkaukasischen Raumes diplomatische Beziehungen aufnahm. Die BRD definiert ihr Interesse in dieser Region nicht geostrategisch, zumindest nicht öffentlich und operiert vorläufig unter EU-Flagge. Ein Eingeständnis der BRD zu ihrem geostrategischen Interesse , wie es eigentlich in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" klar formuliert ist, würde unweigerlich die deutschen Großmachtambitionen zu Tage treten lassen. Dies könnte sowohl innerhalb der EU als auch mit anderen Großmächten, wie den USA, der VR-China, Rußland usw. zu Auseinandersetzungen führen. Nicht desto trotz ist die Bundesregierung, vor allem die SPD an vorderster Front um Terraingewinnung in der Region des kaspischen Meeres bemüht. Schon vor längerer Zeit hat die SPD-Bundestagsfraktion, initiiert von ihrem "linken Flügel" (was immer man auch darunter verstehen mag) um Gernot Erler, ein Strategie-Papier "Zukunftsregion Kaspisches Meer" vorgelegt, worin die Marschrichtung der ökonomischen Expansion der BRD ganz klar zum Ausdruck kommt.

Völkerrechtlich teilten sich zuvor die Sowjetunion und der Iran das Kaspische Meer. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR bilden nun fünf Staaten (Kasachstan, Turkmenistan, Iran, Aserbaidschan und die Russische Föderation) die Anrainer des Kaspischen Meeres, von denen jeder nach seiner Vorstellung Nutzungsansprüche erhebt. Hierin verbirgt sich weiteres Konfliktpotential, das zu einer Katastrophe führen kann.

Der Pipeline-Poker, in den sowohl Regional- als auch die Großmächte involviert sind, kann, wenn er nicht einvernehmlich gelöst wird, ebenfalls zu einem Konflikt von internationaler Dimension führen. Bisher wurden fünf verschiedene Varianten einer möglichen Pipeline-Route in die Diskussion gebracht:
  1. Die Baku-Grosny-Noworossijski-Route, für deren Durchführung die Russische Föderation plädierte, weshalb der zweite Tschetschenienkrieg u.a. in diesem Zusammenhang gesehen werden muß.
  2. Die Baku-Iran-Route, die von der iranischen Regierung favorisiert, jedoch vor allem von den USA kategorisch abgelehnt wird.
  3. Die Baku-Supsa-Ceyhan-Route, die sowohl von Georgien als auch von der Türkei und den USA bevorzugt wird.
  4. Die Baku-Armenien-Ceyhan-Route, für diese Variante plädiert sowohl die armenische als auch die türkische Regierung.
Die fünfte Variante einer Pipeline-Route war von Baku über das afghanische Territorium nach Pakistan zum indischen Ozean vorgesehen, die ausschließlich von dem US-Konzern UNOCAL, unter politischer Mitwirkung H. Kissingers favorisiert wurde. Nach dem Versagen zunächst der afghanischen Modjahedin und später der Taleban, in Afghanistan ein stabiles Regime zu installieren und für Ruhe und Sicherheit am geplanten Transportweg zu sorgen, wurde dieser Plan fallen gelassen. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß es ohne dieses ökonomische Projekt von UNOCAL, jemals zur Talebanisierung Afghanistans gekommen wäre!

Die USA-Pipelinepolitik, die darauf gerichtet war, die Vorschläge der russischen- und der iranischen Regierung zu torpedieren, die NATO-Osterweiterung bis an Rußlands Grenzen, das unermüdliche Verlangen des georgischen Präsidenten Edward Schewardnadse, sein Land so schnell wie möglich in die NATO zu führen und die inzwischen gemeinsam mit US-amerikanischen Einheiten vor Rußlands Tür durchgeführten Militärmanöver, verursachten eine panische Reaktion seitens der Regierung der Russischen Föderation. Der Nuklearstratege am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Prof. Theodore Postol erkennt in der Verschiebung der NATO-Maschinerie fast bis an Rußlands Grenzen, die Gefahr, daß die kleinste Krise sich zur militärischen Konfrontation ausweiten kann. Meines Erachtens sind diese Faktoren, weitere Ursachen für den zweiten Tschetschenien-Krieg, wobei der zugrundeliegende Konflikt eigentlich als gelöst galt. Der Verlust Tschetschenien würde möglicherweise eine Welle von Sezessionen auslösen, wodurch die territoriale Integrität der Russischen Föderation gefährdet sein könnte.

Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion kaum Beachtung findet, ist eine bis heute nie da gewesene Einkreisung Rußland durch inzwischen sechzehn Staaten, die im Rahmen der sog. Partnership for Peace (PfP) mit den USA bzw. der NATO verbunden sind und jederzeit brüderliche NATO-Hilfe in Anspruch nehmen können. Auch in diesem Zusammenhang darf die "Neue NATO-Doktrin" nicht außer Acht gelassen werden.

Als ob all diese Konfliktpotentiale noch nicht ausreichen würden, um eine Katastrophe zu verursachen, versucht die griechische Regierung antitürkische Kräfte in der Region des Kaspischen Meeres als Partner zu gewinnen, um ein Gegengewicht zur Türkei zu schaffen. Noch dramatischer wird es "im Ringen um die Energiereserven des 21. Jahrhunderts", da auch noch, die beiden neuen Atommächte Indien und Pakistan nicht nur an der Verteilung der Rohstoffe der Region teilhaben wollen, sondern auch auf dem dortigen grenzenlosen Markt mitmischen wollen. Angesichts der dargelegten Fakten, muß es die dringende Aufgabe der kritischen Wissenschaft und Publizistik sein, unter der Berücksichtigung der unvorstellbaren Gefahren, die sich daraus ergeben können, sich ernsthaft mit diesem Problem zu befassen.

Abschluss des Manuskripts: August 2001

* Dr. Matin Baraki ist Lehrbauftragter an den Universitäten Marburg und Kassel

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