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Kaukasische Kreidekreise sind selten rund

Eine ungewöhnliche Nahsicht auf den jüngsten Konflikt

Von Aktham Suliman *

Viele Medien zeichnen ein klares Bild: Im Kaukasus kämpft der russische Iwan gegen den demokratisch- georgischen Mischa. Alles in allem ist das ein neuer Kalter Krieg. Doch aus der Nähe sieht vieles anders aus.

Auf der Fahrt zwischen Tbilissi und dem etwa 60 Kilometer entfernt liegenden Gori erzählt mein georgischer Assistent, wie tief der Konflikt mit dem russischen »Iwan« wurzelt. Er gehe auf die Entstehungszeit der Sowjetunion zurück, mindestens. Nach der Auffassung meines Assistenten und vieler anderer Georgier gibt es gar kein Südossetien. Ossetien sei nur das sogenannte Nordossetien, das bekanntlich innerhalb des russischen Staatsgebiets liegt – hinter, genauer nördlich des Kaukasus-Kamms.

»Hast du jemals von einem Volk gehört, das auf zwei völlig voneinander getrennten Seiten eines hohen Gebirges wohnt? Alle Völker leben doch innerhalb geschlossener natürlicher Grenzen!« Für ihn ist klar: Die Südosseten sind Nordosseten, die jedoch irgendwann zur Sowjetzeit gen Süden gewandert sind, weil es ihnen dort besser ging.

Aus dem Autoradio ertönen russische Lieder und mein Assistent trällert mit. »Das handelt von der hoffnungslosen Liebe, vom Nicht-Können, weder miteinander noch ohne einander«, erklärt er mir.

Kurz darauf klingelt sein Mobiltelefon: Am anderen Ende ist sein jüngerer Bruder. Die beiden unterhalten sich auf Russisch. Der Rest der Familie lebt in der Ukraine, weil die Mutter von dort stammt. So kommt es, dass innerhalb der Familie russisch gesprochen wird. Ohnehin leben auch in Georgien Angehörige verschiedener Nationalitäten, nicht zuletzt Russen, von Halb-, Viertel- und Fünftelrussen abgesehen. Umgekehrt sieht es nicht viel anders aus: Allein in Moskau leben 300 000 Georgier.

Abends sitzen wir in einem russischen Restaurant in Tbilissi. Angeblich war es das Lieblingsrestaurant von Präsident Michail Saakaschwilli, zumindest bis zum Kriegsausbruch. So gesehen, kann es im Kaukasus eigentlich nur »Bürgerkriege« geben.

Unter kaukasischer Sonne am russischen Kontrollposten: Journalisten, russische Soldaten und Einheimische. Hier von einem »Kalten Krieg« zu reden, grenzt fast an Sarkasmus. Die Soldaten warten auf Befehle, die Journalisten auf Einreise- und Drehgenehmigungen, die Einheimischen darauf, dass Soldaten und Journalisten mit dem Warten aufhören, ganz nach dem Motto: »Ihr Soldaten und Journalisten habt unser Land zu einem Schauplatz für die Weltöffentlichkeit gemacht? Na gut, dann schauen wir euch solange zu!«

»Wie viel PS hat der Motor?«, fragt ein russischer Soldat mit sibirischen Augen unseren Fahrer und läuft um den alten BMW. »Verbraucht er viel Sprit?« Der georgische Fahrer verneint, steigt aus dem Wagen und beginnt eine Lobeshymne auf den BMW zu singen.

Arbeiter der Welt, einigt euch – auf BMW!

»Hab ihn in Deutschland für 1900 Euro gekauft, vor zehn Jahren…« Er streichelt seinen Schatz, der ihn zum Mittelpunkt der versammelten Menge macht. »Seitdem hat er mich kein einziges Mal im Stich gelassen«, fügte er hinzu. Der russische Soldat steckt seinen Kopf in das offene Wagenfenster, wirft noch einen prüfenden Blick nach hinten, um sicher zu gehen, dass ihn sein Vorgesetzter hinter dem Panzer nicht sehen kann. Und dann, plötzlich, sitzt er auf dem Beifahrersitz. »Deutsche Autos sind stark«, sagt er selbstsicher und fügt mit einem Seufzer hinzu: »In Moskau haben sie ähnliche Prachtstücke. Doch in Sibirien sind sie schwer zu kriegen.« Für einen Moment schluckt unser Fahrer und erstarrt. Zu Fuß könnte der Rückweg sehr lang sein. Die Angst ist jedoch unbegründet. Der sibirische Soldat steigt aus und läuft schweren Schritts zum Panzer zurück.

Nicht die Merkels oder Steinmeiers scheinen als Vermittler gefragt zu sein, eher vielleicht die Quandts.

Wie Rosen-Mischa den Krieg verlor

Der georgische Präsident Michail Saakaschwilli macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe fürs Amerikanische. Im heutigen Georgien ist so etwas nicht verpönt. Vielleicht verständlich, wenn ein Land mit fünf Millionen Einwohnern an einen Nachbarn wie den russischen Kontinent mit einer Bevölkerung von 120 Millionen gerät, zumal wenn einer von denen Kampfsportler ist und Tiger jagt, allerdings vorübergehend als Regierungschef agiert und den Namen Wladimir Putin trägt. Doch auch in Georgien hat die Liebe zum US-amerikanischen Politikstil Grenzen. Was tun aber mit Mischa (so wird der Präsident von seinem Volk genannt)?

Er ist nicht zu bremsen bei seinen englischsprachigen Auftritten. Egal wer sein Gegenüber ist, ob Sarkozy, Merkel oder der Weihnachtsmann – es wird Englisch gesprochen und westlich-amerikanisch argumentiert. So pflegt Mischa in jeder Pressekonferenz, nachdem er vor russischen Angriffen auf andere Nachbarn gewarnt hat, das Argument des »abgebrochenen Urlaubs« vorzubringen, um zu beweisen, dass allein der russische »Iwan« für den Krieg verantwortlich ist. Das klingt so: »Wissen Sie? Ich war sogar im Urlaub. Als ich vom russischen Angriff erfahren habe, musste ich meinen Urlaub abbrechen …«

Journalisten von überallher verfolgten in Tbilissi Mischas Pressekonferenz mit Condoleezza Rice. Wieder einmal hub er an: »Ich musste sogar meinen Urlaub abbrechen...« Einer britischen Kollegin platzte der Kragen. Sie rief: »Me too!« (Ich auch!) Darauf folgten viele »me too« aus aller Herren Länder. Und so verlor Mischa, der Held der Rosenrevolution von 2003, seinen persönlichen Medienkrieg, vor allem im Inland, aber auch darüber hinaus. Dschihad-Ali besiegt das iPhone

Nahe Gori machen sich einige russische Soldaten, den Panzer mit laufendem Motor stehen lassend, an einem ausgebrannten georgischen Truppentransporter zu schaffen. Für sie eine Chance, funktionsfähige Ersatzteile von dem Wrack abzumontieren. Für uns die Gelegenheit, den Krieg im Kleinen aus der Nähe zu dokumentieren. Von den Soldaten, die in dem Transporter saßen, als er getroffen wurde, finden sich nur wenige Spuren. Ein Soldatenschuh, halb verschmolzen, zeugt davon, dass das Jenseits vor nicht allzu langer Zeit die Ankunft mehrerer Menschen in zerfetzter georgischer Uniform registrierte. Rund um den Schuh angekohlte Gegenstände: ein Zigarettenetui aus Metall mit Zigarettenresten darin, unidentifizierbare kleine Metallstücke und die Hülle eines Mobiltelefons der Marke »iPhone«, ein sogenanntes Touchscreen-Handy. »Das waren georgische Soldaten aus Irak«, sagt ein georgischer Kollege und erklärt, bevor jemand fragt: »Nur Soldaten, die in Irak waren und zu Beginn des Kaukasuskrieges zurückgezogen wurden, können sich diese teuren Handys leisten.«

Die russischen Soldaten haben ihr Werk vollendet und machen eine Pause. Zeit um sie kennenzulernen: Achmed kommt aus der Republik Inguschetien, Ali aus Dagestan. Er holt sein Telefon raus – kein »iPhone« – und lässt darauf gespeicherte Kampfmusik ertönen. Begeisterung erfasst Achmed, Ali und die Kameraden. Die Kalaschnikows werden zu Musikinstrumenten, die Kampftruppe zu einer »Band«. Aber nur Sprache und Stil der Lieder sind russisch, nicht deren Inhalt: Die Lieder verherrlichen den Kampf der tschetschenischen »Mudschaheddin« in Grosny, den Kampf gegen die russische Armee, versteht sich.

* Aktham Suliman ist Korrespondent des arabischen Fernsehsenders »Al Dschasira« in Deutschland. Während des Kaukasus-Konflikts entsandte ihn seine Station an den Schauplatz.

Aus: Neues Deutschland, 18. September 2008



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