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"Wir kämpfen nicht mit Gewehren oder Steinen, sondern mit dem Stift"

Die kenianische Theatergruppe »Newstar Drama Group« behandelt soziale Verwerfungen

Von Leonhard F. Seidl *

Kenia galt lange Zeit als Hort der Stabilität in Ostafrika. Doch nach den Wahlen 2007 kam es zu wochenlangen Auseinandersetzungen entlang ethnischer Grenzen mit über 1600 Toten. Die Theatergruppe »Newstar Drama Group« versucht schon seit 1993 gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen und die Zivilgesellschaft zu stärken.

Am Rande des Stadions der kleinen Stadt Kisii im Westen Kenias trifft sich die »Newstar Drama Group« zu den Proben. Nicht selten schauen Kühe, Schulkinder und andere Neugierige zu. Besonders interessant wird es für die Knirpse in ihren grünen Schuluniformen, wenn ausländische Künstler an den Proben teilnehmen. Die werden von den Kleinen wie fast überall mit Mzungu, was Weiße oder Europäer bedeutet, oder einem »How are you?« begrüßt. Für Direktor Caleb Isiche (40), der die Gruppe gegründet hat, ist der Austausch mit Schauspielern aus anderen Ländern ein wichtiger Bestandteil seiner Theaterarbeit.

So bietet die Gruppe nicht nur Schauspielern sondern auch Journalisten, Lehrern oder anderen Interessierten an, in Stücken mitzuspielen, diese in Schulen und Gemeinden im ganzen Land aufzuführen und dadurch die kenianische Gesellschaft kennenzulernen. Und das nicht nur während der Auftritte oder wenn sie im Land herumreisen. Die ausländischen Künstler leben bei Mitgliedern der Theatergruppe und bekommen den kenianischen Alltag und eine ganze Menge Ugali, Maisbrei und andere lukullische Köstlichkeiten bauchnah mit.

Die »Newstar Drama Group« ist Mitglied der International Drama/Theatre and Education Association (IDEA) und präsentierte ihre Stücke auch schon bei einem Treffen in Uganda. 2007 reiste Isiche zum sechsten IDEA-Weltkongress nach Hongkong, wo er emanzipatorische Theatermacher aus der ganzen Welt traf.

1993, als er die Gruppe im Kenya Institute of Mass Communication (K.I.M.C.) gründete, wurde das Land noch von dem Despoten Daniel Arap Moi regiert. Die Gruppe ließ sich davon aber nicht einschüchtern, inszenierte sozialkritische Stücke auf der Straße und in Theatern, um gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen und die Zivilgesellschaft zu stärken. »Wir wollten, dass die Menschen informiert werden über Menschenrechte und die politische Situation«, sagt der Vater dreier Kinder. Damals war das kein ungefährliches Unterfangen, nicht wenige wurden verhaftet oder ermordet. Im Gründungsjahr verfasste Isiche das Stück »Disobedience«, Ungehorsam, das sowohl in Schulen gezeigt wurde als auch im Fernsehen lief, und machte damit die Öffentlichkeit auf die damals nahezu unbekannte AIDS-Problematik aufmerksam. 1997 zeigte die Gruppe die Komödie »Der Revisor« des russischen Autors Nikolai Gogol, die Korruption und Vetternwirtschaft behandelt, im Nationaltheater Kenia, in Schulen, Universitäten und Sozialforen.

Mittlerweile gibt es zwar ein Mehrparteiensystem, aber Probleme wie Korruption, AIDS, Stammesfeindschaften und Benachteiligung von Frauen und Mädchen sind geblieben. Nach den Wahlen 2007 nutzten die Herrschenden den seit der Unabhängigkeitserklärung 1963 schwelenden Konflikt unter den Stämmen Kenias, um von den manipulierten Wahlergebnissen abzulenken. Über 1600 Tote und mehr als 6000 Vertriebene waren die Folge, womit das Land noch heute zu kämpfen hat. Erst kürzlich besuchte Luis Morena-Ocampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Kenia, um Druck auszuüben, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Unter ihnen Prominente aus Parlament und Wirtschaft.

Der erste Entwurf einer eigenständigen kenianischen Verfassung wurde jetzt Woche veröffentlicht. Die Bevölkerung kann ein halbes Jahr lang Verbesserungsvorschläge an eine Kommission senden, in einem Referendum wird dann über das neue Grundgesetz abgestimmt. Um die Verfassung auch Analphabeten oder Menschen nahezubringen, die kein Kisuaheli oder Englisch sprechen, sondern einen Stammesdialekt, will Isiche mit der Gruppe die Verfassung in Szene setzen, in Städten und Dörfern zeigen, und im Anschluss daran mit den Bewohnern diskutieren.

»Wir kämpfen nicht mit Gewehren oder Steinen, sondern mit dem Stift«, schwört der Autor, Schauspieler und Regisseur seine Schauspieler vor der bergigen, von Maisfeldern und Wäldern umrahmten Kulisse Kisiis ein. Die Wunden der Unruhen von 2007 sitzen tief: die Bilder von brennenden Häusern, des von der Polit- und Wirtschaftselite mit Macheten und Gewehren ausgestatteten Mobs, der oft Nachbarn vertrieb, nur weil sie nicht dem gleichen Stamm angehörten. Isiche will den jungen Schauspielern eine Zukunft bieten. Er ermuntert sie, mit ihrem Geld hauszuhalten und es nicht gleich in Telefonkarten zu investieren. Er ist auch Sozialarbeiter, der immer wieder Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit von Jugendlichen zur Sprache bringt, die durch kulturelle Gewohnheiten oft verstärkt werden. Häufig waren die Jugendlichen arbeitslos oder sind suchtkrank. Er will ihre Talente fördern, selbst wenn die Eltern denken, Schauspielerei sei kein seriöser Beruf, und er wird immer wieder bestärkt in seinem Tun: Nicht wenige seiner ehemaligen Schützlinge sieht er im kenianischen Fernsehen wieder. Die Gruppe ist sein Leben: Er organisiert Auftritte, Castings, Trainings für Nachwuchsschauspieler und Schulen und gibt damit über dreißig Jahre Theatererfahrung weiter. Augenblicklich ist Newstar vor allem in Westkenia aktiv, weitere Gruppen im ganzen Land und ein Kulturmagazin sind geplant. Denn Isiche ist von seiner Aufgabe überzeugt, die kenianische Gesellschaft Schritt für Schritt zu verändern, von unten, von der Graswurzel. Was auch der Grund war, warum er 2005 von der Metropole Nairobi aufs Land zog. »Let's polish, what you can polish«, (Poliere, was du polieren kannst) sagt er lächelnd, und die Proben gehen weiter.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Dezember 2009


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