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Kranke Krankenhäuser

Kenias staatliches Gesundheitswesen im Ausnahmezustand: Nichtärztliches Personal wehrt sich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen. Regierung feuert 25000 Beschäftigte

Von Thomas Berger *

Wenn nicht noch eine nachträgliche Einigung erzielt wird, sind seit vergangener Woche 25000 Krankenschwestern, Pfleger und andere Angestellte des medizinischen Personals in Kenia arbeitslos. Zugleich ist nicht auszuschließen, daß deshalb das staatliche Gesundheitssystem des ostafrikanischen Landes vor dem Zusammenbruch steht. Mit der Kündigung hatte die Regierung am Donnerstag auf einen Anfang März begonnenen Streik der Beschäftigten reagiert.

Der Staat beschäftige die Krankenschwestern nicht mehr, hatte Regierungssprecher Alfred Mutua lapidar verkündet. Es sei den Patienten in den öffentliche Krankenhäusern nicht zuzumuten, länger zu leiden, nur weil sich das Personal seit einer Woche im Ausstand befände. Die Stellen seien neu ausgeschrieben worden, so Mutua weiter.

Um die entstandene Lücke zu schließen, hatte die Regierung alle bislang arbeitslosen medizinischen Hilfskräfte landesweit aufgefordert, sich am Freitag in den Kliniken zu melden, um die schlimmsten Engpässe zu beseitigen. Immerhin verkündete Gesundheitsminister Peter Anyang Nyong’o, die gefeuerten Krankenschwestern könnten sich erneut bewerben.

Für den Großteil der Öffentlichkeit völlig überraschend war das nichtärztliche Krankenhauspersonal Kenias am 1. März in den Ausstand getreten. Schwestern, Pfleger, Laborassistenten, Physiotherapeuten und Apothekenmitarbeiter verließen ihre Arbeitsplätze, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die folgenden Verhandlungen zwischen Gewerkschaftsvertretern und Abgesandten des Gesundheitsministeriums endeten zwar am Sonntag in einer Art Kompromiß. Die Masse der Streikenden weigerte sich aber, ihre Tätigkeit wiederaufzunehmen. Viele sehen die Kernforderungen als nicht erfüllt an.

Der Streik ist eine Reaktion auf die desaströsen Zustände im staatlichen Gesundheitswesen Kenias. Personalknappheit, Unterbezahlung und schlechte Ausstattung summieren sich vielerorts zu unhaltbaren Zuständen, gegen die sich nun eine breite Protestfront gebildet hat. Wie berichtet wurde, fehlt es in manchen Kliniken allein schon an Schutzhandschuhen für die Schwestern in den Geburtsabteilungen, was das Infektionsrisiko für Mütter, Kinder und Beschäftigte drastisch erhöht.

Die Verhandlungen mit der Regierung haben die Kenya Health Professionals Society (KHPS) und die Union of Kenya Civil Service (UKCS) geführt. Am Streik beteiligt sich auch die neue Schwesterngewerkschaft Kenya National Union of Nurses, die erst seit vergangenem November besteht und nach eigenen Angaben 10000 Mitglieder hat.

»Wir haben uns dem Streik angeschlossen, um unseren Mitgliedern juristische Risiken zu ersparen«, erklärte Generalsekretär Seth Sindano vor der Presse. Schließlich handle es sich bei KHPS, die den Ausstand gestartet hatte, um eine berufsständische Vereinigung, nicht aber um eine Gewerkschaft. Nur die sind gesetzlich berechtigt, einen Arbeitskampf zu organisieren.

Unzufrieden sind viele Streikende zudem mit der bisherigen Verhandlungslösung. Sie trauen der Regierung nicht über den Weg, die schon eine im Dezember ausgehandelte Risikozulage bislang nicht ausgezahlt hat. Die Spitzenvertreter von KHPS und UKCS sehen sich nun ihrerseits zwischen Baum und Borke. Einerseits hatten sie den Streik für beendet erklärt, andererseits warnen sie das Gesundheitsministerium eindringlich davor, mit der angedrohten Massenentlassung die ohnehin angespannte Situation weiter zu verschärfen. Auch ein Arbeitsgericht hat den Ausstand inzwischen als illegal eingestuft und damit Öl ins Feuer gegossen. Die Klinikbeschäftigten sind extrem überlast. Es geht ihnen um Zulagen, die Verbesserung der technischen Ausstattung und eine Aufstockung des Personals. Allein bei den Krankenschwestern sollten zusätzlich zu den gegenwärtig landesweit 17000 besetzten Stellen weitere 24000 Pflegerinnen eingestellt werden.

Da etliche Krankenhäuser wegen des Streiks nicht einmal mehr über einen Notfallservice verfügen, werden den Streikenden mittlerweile mehrere Todesfälle zur Last gelegt. Den Patienten in den meisten Landesteilen bleibt nur, mit ihren Beschwerden entweder unverrichteter Dinge wieder abzuziehen – oder eine der Privatkliniken aufzusuchen, die für ihre Leistungen üppige Bezahlung verlangen. Den Ausbau des staatlichen Gesundheitswesens, so der aktuell aus vielen tausend Kehlen erschallende Vorwurf, habe die Regierung seit Jahren verschlafen.

* Aus: junge Welt, 14. März 2012


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