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Teilsieg für Überlebende von Mau-Mau-Aufstand

London verspricht Opfern der Kolonialherrschaft in Kenia Entschädigung

Von Jörg Tiedjen *

Am Donnerstag erklärte der britische Außenminister William Hague in London, daß 5225 überlebende Opfer britischer Kolonialverbrechen in Kenia eine Entschädigung von insgesamt 19,9 Millionen Pfund Sterling erhalten sollen. Vorausgegangen war eine Schadensersatzklage mehrerer Überlebender des sogenannten Mau-Mau-Aufstands in den fünfziger Jahren. Dieser war der Höhepunkt einer ganzen Reihe antikolonialer Erhebungen in dem ostafrikanischen Land, das Großbritannien seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts in eine europäische Siedlerkolonie verwandeln wollte.

Die Bedeutung von Mau-Mau ist unklar. Mit diesem Begriff bezeichnet werden die Kämpfer der »Kenianischen Armee für Land und Freiheit« (englische Abkürzung: KLFA). Ihr Aufstand, der im Oktober 1952 begann, wurde von der britischen Kolonialregierung mit allen Mitteln bekämpft: Während es sich bei der KLFA in Wirklichkeit um eine disziplinierte Guerilla handelte, wurden ihre Kämpfer nach außen als Barbaren und Wilde denunziert. Das Land wurde mit einem Lagersystem überzogen, in dem die gräßlichsten Verbrechen an der Tagesordnung waren. Menschenrechtsorganisationen sprechen von 90000 Toten und Gefolterten, 160000 Kenianer wurden in den Lagern interniert. Offiziell galt der Aufstand 1956 als niedergeschlagen. Der Widerstand dauerte aber zum Beispiel mit Boykottaktionen fort, bis Kenia 1963 in die Unabhängigkeit entlassen wurde.

Schon 1999 hatten sich überlebende des Mau-Mau-Aufstands zusammengeschlossen, um Großbritannien im Namen Hunderttausender Geschädigter auf Schadensersatz in Höhe von fünf Milliarden Pfund Sterling zu verklagen. Sie sammelten Tausende Berichte und Zeugenaussagen, um schließlich fünf Opfer der damaligen Repressionen auszuwählen, die 2009 exemplarisch in Großbritannien Klage einreichten. Der Durchbruch kam im Oktober des vergangenen Jahres, als der Höchste Gerichtshof in London entschied, daß drei der eingereichten Klagen zugelassen würden.

Großbritannien konnte sich vor der Verantwortung auch kaum mehr drücken, waren doch in der Zwischenzeit Unterlagen aufgetaucht, die die Kolonialverbrechen nicht allein in Kenia getreu dokumentierten. So hatte die britische Regierung 1953 Sir George Erskine nach Kenia entsandt, um einen Bericht über die Lage während des Aufstands anzufertigen. Erskine hielt fest, daß die Sicherheitskräfte systematisch Gewalt und Folter gegen die Einheimischen einsetzten. Die Repression geschah also mit dem stillschweigenden Einverständnis höchster Stellen in London. Wichtiger aber noch waren Aufzeichnungen der lokalen Kolonialbehörden selbst, die lange als verloren galten. Im Januar 2011 tauchten Teile derselben plötzlich wieder auf. Sie werfen nicht allein ein drastisches Bild auf die britische Kolonialherrschaft in Kenia, sondern auch in anderen Teilen der Welt.

Großbritannien muß daher weitere Entschädigungsklagen befürchten. Angesichts dessen setzt die Regierung auf Schadensbegrenzung. Die Ersatzleistungen, die Hague am Donnerstag ankündigte, sind daher aus Sicht der Regierung wohl eher der Versuch, die Opfer möglichst ruhigzustellen. Auch sprach Hague zwar das Bedauern der britischen Regierung für die früheren Verbrechen aus. Zugleich aber wich er keinen Fingerbreit von der bisherigen Linie ab, daß das Großbritannien von heute gar nicht mehr für die britische Kolonialverwaltung in Kenia verantwortlich gemacht werden könne, und versagte sich eine ausdrückliche Entschuldigung.

Dennoch sind die Entschädigungszahlungen bisher beispiellos, ist Großbritannien doch damit neben Italien, das seiner früheren Kolonie Libyen 2008 einen symbolischen Schadensersatz versprach, überhaupt die erste frühere Kolonialmacht, die zu einem derartigen Schritt bereit ist.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. Juni 2013


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