Hoffnungsschimmer in der Wüste
Im Millenniumsdorf Dertu im Norden Kenias sind die UN-Entwicklungsziele bald erreicht
Von Marc Engelhardt, Nairobi *
Die Idee der so genannten integrieren Entwicklung stammt vom
US-Amerikaner Jeffrey Sachs, UN-Berater und Entwicklungsökonom. Mit
umfangreicher Entwicklungshilfe in den Bereichen
Ernährung/Landwirtschaft, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur soll in
79 sogenannten Millenniumsdöfern wie Dertu in Kenia beispielhaft gezeigt
werden, das und wie Entwicklung funktionieren kann.
Wie eine Stätte der Hoffnung sieht der raue und trockene Norden Kenias
nicht aus. Dornenbüsche und geknickte, kleine Bäume bedecken die
staubige Steppe, die sich grauweiß unter dem weiten Himmel erstreckt.
Wenn die Sonne am Himmel steht, ist es so heiß, dass man es nur im
Schatten der Kamele aushält, stöhnt Mohammed Abdi.
»Ich bin Nomade, hier geboren und habe nie etwas anderes gesehen«, sagt
er. Die Kamele, Schafe und Ziegen, die er täglich auf der Suche nach ein
bisschen Gras und Wasser umhertreibt, sind sein Leben. Und doch sieht
Abdi mit Freude, dass sich im unwirtlichen Norden Kenias etwas ändert.
Das Zentrum dieser Veränderungen heißt Dertu, ein Dorf aus Stroh- und
Lehmhütten mit rund 5000 Einwohnern wie viele andere auch. Dennoch ist
Dertu etwas besonderes: es ist eines von 79 Millenniums-Dörfern in
Afrika, gefördert von der Columbia Universität in New York, an der der
Ideengeber Jeffrey Sachs lehrt, und den Vereinten Nationen. In den
Siedlungen soll bewiesen werden, dass die vor zehn Jahren beschlossenen
Entwicklungsziele zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten
tatsächlich umgesetzt werden können.
»Wenn ich etwas gelernt habe, dann das: Es ist nicht schwer, die
Millenniumsziele zu erreichen«, erklärt Patrick Mutuo, Chef des
Millenniumprojekts in Dertu. »Es ist nur schwer, wenn wir nicht wirklich
ernst damit machen.«
Am Geld, da ist Mutuo sicher, soll es nicht scheitern. Pro Kopf und Jahr
werden in Dertu wie in den anderen Millenniumsdörfern 110 US-Dollar
(etwa 86 Euro) investiert. 30 Dollar kommen von der Regierung, 20 von
UN-Agenturen oder Stiftungen. 50 Dollar werden von projektspezifischen
Gebern, etwa Unternehmen, zugeschossen, und zehn Dollar pro Kopf bringt
das Dorf selber auf. Nach fünf Jahren, so die Rechnung, sind die
Millenniumsziele im Dorf erreicht.
In Dertu ist die zweite Halbzeit angebrochen – und Mutuo ist zufrieden.
»Die besondere Herausforderung, die wir hier haben, ist das Nomadentum«,
räumt er ein. »Heute sind die Leute hier, in drei Wochen sind sie
woanders – wenn man Bildung oder Gesundheit fördern will, ist das
schwieriger als in einem Dorf mit Sesshaften.«
Weil sie mit den Kamelen umherzieht, seit sie zehn ist, hat die heute
17-jährige Keira Ibrahim Aden nie eine Schule besucht. »Ich war mit den
Tieren unterwegs, so ist es bei uns Tradition – die Schulen waren immer
zu weit entfernt.« Jetzt aber kommt der Unterricht zu ihr: mobile
Volksschulen mit Lehrern, die mit den Nomaden umherziehen, haben die
Zahl vor allem der Schülerinnen stark wachsen lassen. »Ich bin sehr
glücklich«, strahlt Aden. »Ich gehöre endlich zur Gemeinschaft, ich kann
lesen und schreiben und möchte unbedingt noch mehr lernen.«
Auch Ärzte sind in Dertu ständig in Bewegung. Mobile Krankenpfleger
wissen erst am Abend, wo sie am nächsten Morgen sein werden. Dann werden
ihnen Krankenzahlen aus Siedlungen der Region per SMS zugeschickt.
Gleichzeitig wird das Ziel verfolgt, die Wege der Bevölkerung zu
verkürzen: Dank neuer Brunnen und Regenwasserdämme müssen Hirten und
Hausfrauen längst nicht mehr so weit laufen wie früher. »Manchmal waren
wir fünf Stunden unterwegs, um Wasser zu finden«, erinnert sich der
Hirte Abdi. Jetzt könne er seine Herde vor der Haustür tränken. Mutuo
ist sicher, dass die Millenniumsziele in Dertu alle erreicht werden –
vor 2015. Der Erfolg wirft dennoch Fragen auf. Denn was bringt ein
Modelldorf, wenn die Siedlungen in der Nachbarschaft so elend sind wie
zuvor? Mutuo ist selbstsicher: »Was wir in einem Dorf schaffen, das
schaffen wir auch in einer ganzen Region.« Seine Botschaft: 20 Eurocent
pro Tag sind nicht viel, wenn es um die Sicherung grundlegender
Menschenrechte für eine Person geht. Nothilfe, die in Dertu künftig
nicht mehr gebraucht wird, wäre deutlich teurer.
* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2010
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