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Letzte Bastion gefallen

Kenias Armee erobert im Bündnis mit lokaler Miliz die südsomalische Hafenstadt Kismajo

Von Knut Mellenthin *

Die islamistische Kampforganisation Al-Schabab hat am Sonnabend ihre militärischen Einheiten aus der im äußersten Süden Somalias gelegenen Hafenstadt Kismajo zurückgezogen. Nach den Meldungen regionaler Medien hat Al-Schabab bei den mehrtägigen Kämpfen um die letzte von ihr noch kontrollierte größere Stadt keine schweren Verluste erlitten und hat ihre Einheiten geordnet in andere Teile Südsomalias verlegt. Vermutlich hat sie mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Anhänger in Kismajo zurückgelassen, um sporadische Widerstandsaktionen durchzuführen.

Die Einnahme der Hafenstadt erfolgte hauptsächlich durch reguläre kenianische Streitkräfte, die schon seit Oktober vorigen Jahres in mehreren grenznahen Regionen von Süd- und Südwestsomalia operieren. Vor einigen Monaten wurden sie offiziell der in Somalia stationierten afrikanischen »Friedenstruppe« AMISOM unterstellt. Neben Kenia sind an dem 17000 Mann starken Kontingent der Afrikanischen Union, das zwar vom UN-Sicherheitsrat »gebilligt«, aber nicht förmlich mandatiert ist, also keine Blauhelmtruppe darstellt, auch Uganda, Burundi und Dschibuti beteiligt. Der westafrikanische Staat Sierra Leone hat die Entsendung eines Bataillons – etwa 850 Mann – angekündigt, und Nigeria ist mit einigen hundert Militärpolizisten präsent.

Daß die kenianischen Streitkräfte, die für ihre Offensive Panzer, Bombenflugzeuge, Kampfhubschrauber und Kriegsschiffe einsetzten, elf Monate brauchten, um Kismajo einzunehmen, beleuchtet die militärischen und politischen Verhältnisse. Al-Schabab ist, auch wenn sie zunehmend mit Bombenanschlägen operiert, keine »Terrororganisation« im Sinne westlicher Medien, sondern eine irreguläre Armee mit beträchtlichem gesellschaftlichen Rückhalt in Teilen Somalias.

Wie weit an den Kämpfen um die Hafenstadt auch andere Teile von AMISOM beteiligt waren, ist nicht bekannt. Sicher ist, daß die lokale Ras-Kamboni-Miliz des Warlords Scheikh Ahmed Islam, bekannter unter seinem Kampfnamen »Madobe«, gemeinsam mit den Kenianern operierte. Vermutlich wird sie auch bei der Verwaltung der Stadt, deren Gouverneur »Madobe« bis zur Übernahme Kismajos durch Al-Schabab war, eine wesentliche Rolle spielen. Die Miliz, benannt nach einer noch weiter südlich, fast direkt an der Grenze zu Kenia gelegenen kleinen Stadt, war zeitweise eng mit Al-Schabab verbündet und offiziell sogar in diese integriert.

Eine weitere seit 2010 mit Al-Schabab verbundene islamistische Organisation, die von Scheikh Hassan Dahir Aweys geführte Hizbul Islam, gab in der vergangenen Woche ihre Abspaltung bekannt. Die Vereinigung habe ohnehin nur der Form nach bestanden, jetzt ziehe man aus unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten sowie aus der Schwächung von Al-Schabab die Konsequenzen, erklärte der Sprecher von Hizbul Islam, Mohamed Moallim.

Die teilweise Auflösung des bisher von Al-Schabab dominierten islamistischen Lagers ist eng mit Integrationsangeboten der Regierung in Mogadischu an die Rebellen verbunden. Wer sich ergibt und überläuft, so wurde öffentlich versprochen, kann in die regulären Streitkräfte übernommen werden. Das gefällt aber längst nicht allen um die Macht konkurrierenden Kräften Somalias. Die Regierung der Separatistenrepublik Puntland verbreitet in diesen Tagen Gerüchte, Al-Schabab plane mit Unterstützung des erst kürzlich gewählten neuen Präsidenten Hassan Scheikh Mohamud die »Unterwanderung« der somalischen Sicherheitskräfte.

* Aus: junge Welt, Montag, 01. Oktober 2012


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