Erbitterter Kampf um Macht und Land
Beim Referendum geht es vor allem um Pfründe und Posten
Von Marc Engelhardt, Nairobi *
Rund 12,6 Millionen Kenianer sind an diesem Mittwoch (4. Aug.) aufgerufen, über
eine neue Verfassung abzustimmen. Eine Verfassungsreform war 2008 in
einem Abkommen über die Teilung der Macht zwischen Präsident Mwai Kibaki
und seinem Rivalen Raila Odinga vereinbart worden. Damit wurden die
Unruhen beigelegt, die nach den Wahlen Ende 2007 etwa 1300 Menschen das
Leben gekostet hatten.
In Suswa standen sich beide Seiten auf einmal direkt gegenüber: die in
grüne T-Shirts gekleideten Befürworter einer neuen Verfassung und die
mit roten Karten wedelnden Gegner. Getrennt wurden die Parolen
brüllenden Gruppen in der Ortschaft in Kenias Massailand nur durch einen
Polizeikordon. Doch inhaltlich, so machten vor allem die Anführer der
No-Fraktion ihre Anhänger eine Woche vor der Abstimmung am 4. August
gern glauben, trennen beide Seiten Welten.
Daniel arap Moi - verehrt und gefürchtet
»Sie haben uns verboten, nach Suswa zu kommen, aber wir sind trotzdem
hier«, heizte Minister William Ruto, inoffizieller Anführer der
Verfassungsgegner, der johlenden Menge ein. Dass die Kundgebung
mutmaßlich auf heiligem Massailand stattfand, erwähnte Ruto so wenig wie
der Starredner der Veranstaltung, Daniel arap Moi. Nicht zuletzt der
Auftritt des despotischen Altpräsidenten zeigte, dass sich die Debatte
um Kenias neue Verfassung längst nur noch um zweierlei dreht: um Land
und um Macht. In weiten Teilen Kenias ist das ein und dasselbe.
Moi, der Kenia bis 2002 ganze 24 Jahre lang regierte, wird von manchen
in Kenia bis heute verehrt. Und vom Rest gefürchtet. Als seinem Regime
das Geld ausging, verlegte er sich darauf, seine Unterstützer mit
staatlichem Land zu bezahlen: Die Verfassung aus dem Jahre 1963 gibt dem
Präsidenten das letzte Wort in Landfragen. Menschenrechtler schätzen,
dass alleine in den letzten Moi-Jahren hunderttausende Hektar illegal
den Besitzer wechselten. Die neue Verfassung soll das Unrecht rückgängig
machen: Eine Landkommission soll illegale Landgeschäfte aufheben und
betroffene Ländereien an die einheimischen Volksgruppen zurückgeben.
Auch eine Obergrenze für Landbesitz soll festgelegt werden.
Moi, der seiner Kalenjin-Volksgruppe Massailand übereignet hatte, rief
die Massai an diesem Nachmittag in Suswa jedoch dazu auf, die Verfassung
abzulehnen. »Sie gefährdet die Rechte an eurem Land, seid vorsichtig,
dass man sie euch nicht am Wahltag stiehlt.« In Nairobi sagte
Landminister James Orengo kurz darauf: »Wer sein Land legal erworben
hat, muss keine Angst vor der neuen Verfassung haben.« Doch die
unrechtmäßigen Besitzer von Grund und Boden sind meist vermögend und
einflussreich und damit gefährliche Gegner.
Im Rift Valley, wo auch Kenias Gründungspräsident Jomo Kenyatta in den
60er Jahren unter Protesten der Kalenjin enteignetes weißes Farmland an
Angehörige seiner Kikuyu-Ethnie verteilte, bleiben Hetzparolen selten
folgenlos. Die Polizei verlegt zur Abstimmung 9000 Mann in die Region.
Bei den Unruhen nach den Wahlen Ende 2007 war hier das Zentrum der
Gewalt, die insgesamt mehr als 1300 Opfer forderte. Im Wahlkampf hetzten
Spitzenpolitiker gezielt gegen Ethnien politischer Gegenspieler, nach
den Wahlen geriet die Situation außer Kontrolle. Der Internationale
Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt, inwieweit die Unruhen gesteuert
waren. Auch Minister Ruto soll zu den Verdächtigen gehören.
Der als Vermittler eingesetzte ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan
berichtete von »systematischen und schweren Verletzungen der
Menschenrechte«. Später stellte ein UN-Untersuchungsbericht fest, die
Polizei habe »systematisch« gemordet. Annan gelang es, aus den Rivalen
Odinga und Kibaki widerwillige Koalitionäre zu machen. Das Zweckbündnis
hält bis heute. In seltener Einmütigkeit warben beide für ein Ja zur
neuen Verfassung. Die sieht vor, dass es künftig keinen
Ministerpräsidenten mehr gibt. Der Präsident wird wieder Staats- und
Regierungschef. Allerdings werden seine Befugnisse eingeschränkt und
seine Macht beschnitten. So muss der Staatschef unter anderem künftig
alle Besetzungen vom Parlament bewilligen lassen.
Der neue Verfassungsentwurf ist in vielen Punkten ein Kompromiss: Das
Land wird in 47 Provinzen aufgeteilt, die in einem Senat vertreten sein
werden. Zu den wirklichen Neuerungen gehören die umfassende Garantie von
Bürgerrechten und der Gleichstellung von Frauen, eine neue Struktur für
die als korrupt verschriene Justiz und die Einführung der doppelten
Staatsbürgerschaft.
In ihrer Kampagne betonen die Verfassungsgegner populistisch
ausschlachtbare Randthemen, etwa den Paragraphen, der Abtreibungen
erlaubt, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Einflussreiche
evangelikale Kirchen verurteilen das ebenso als Teufelswerk wie die
Verankerung der traditionellen muslimischen »Khadi-Gerichte« in der
Verfassung.
Wer folgt Kibaki 2012 im Präsidentenamt?
Das Gepolter lenkt nicht nur von der Landfrage ab, sondern auch von der
politischen Dimension des Verfassungsstreits. Denn vor allem geht es
darum, wer Präsident Mwai Kibaki 2012 folgen soll. Rutos Engagement
gegen eine neue Verfassung gilt als Versuch, sich für das Amt in
Stellung zu bringen.
Beste Chancen im Falle einer Ja-Mehrheit hätte dagegen Premier Raila
Odinga, ein ehemaliger Verbündeter Rutos. Odinga tritt als Galionsfigur
der Verfassungsbefürworter an der Seite Kibakis auf, der mit einem »Yes«
seinen Platz in den Geschichtsbüchern sichern will. Die Chancen stehen
gut: Umfragen sagen eine Mehrheit von mindestens 58 Prozent für die
Verfassung voraus, während die Gegner auf allenfalls 22 Prozent kommen.
Zahlen und Fakten: Vielvölkerstaat Kenia
-
Die rund 40 Millionen Keninaer verteilen sich auf 42 Volksgruppen
und Stämme. Die größte Gruppe sind die im zentralen Hochland siedelnden
Kikuyu, die etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachen.
- Die Kikuyu, meist Bauern, wurden während der britischen
Kolonialzeit aus ihren traditionellen Wohngebieten vertrieben, um
britischen Siedlern Platz zu machen. Im Bemühen um die Unabhängigkeit
spielten die zu den Bantu gehörenden Kikuyu daher eine wichtige Rolle.
Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta war ebenso Kikuyu wie der 2007
umstritten zum Präsidenten erklärte Mwai Kibaki.
- Die Luo, denen Kibakis Konkurrent, der jetzige Ministerpräsident
Raila Odinga angehört, leben im Westen Kenias in der Region am
Victoriasee. Sie sind mit einem Anteil von etwa 14 Prozent an der
Gesamtbevölkerung eine der größeren ethnischen Gruppen. Sie konkurrieren
schon lange mit den Kikuyu um Machtpositionen in Staat und Gesellschaft
und konnten auf Unterstützung verwandter Volksgruppen rechnen.
- Eine kleine Gruppe sind die traditionell als Rinderzüchter
tätigen Massai. Die meisten von ihnen leben als Nomaden oder Halbnomaden
im Süden Kenias.
- Die Kalenjin wiederum sind bekannt für ihre Langstreckenläufer,
die Kenia schon zahlreiche Medaillen und Weltrekorde eingebracht haben.
Auch Daniel arap Moi, zwischen 1978 und 2002 Präsident Kenias, gehört
den Kalenjin an.
- Die Stammeszugehörigkeit ist häufig entscheidend bei der
Wahlentscheidung. So erhielt Kibaki 2007 in der vornehmlich von Kikuyu
bewohnten Zentralprovinz über 90 Prozent der Stimmen, in der
Luo-Hochburg rund um den Victoriasee gelang dies Odinga. ND
* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2010
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