Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nach der manipulierten Wahl: Chaos und Gewalt in Kenia

Kibaki stur - USA rudern zurück - EU ratlos

Ende Dezember fanden in dem beliebten "Urlauberparadies" Kenia Wahlen statt, in deren Ergebnis es zu heftigen politischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Wir dokumentieren im Folgenden weitere Berichte, die Ende 2007 und Anfang 2008 erschienen und die komplizierte Lage beleuchten.



Nach Abstimmung droht in Kenia Chaos

Kibaki zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt / Manipulationsvorwürfe der Opposition

Drei Tage nach der Präsidentenwahl in Kenia erklärte die Wahlkommission Amtsinhaber Mwai Kibaki zum Sieger.

Nairobi (Agenturen/ND). Der 76-jährige Amtsinhaber entschied die knappsten Wahlen seit der Unabhängigkeit mit einem Vorsprung von weniger als 200 000 Stimmen vor dem Oppositionskandidaten Raila Odinga für sich. Odinga hatte bis Samstagabend knapp in Führung gelegen, seine Anhänger werfen Kibaki Manipulation der Wahlen vor. Ein Vertreter von Odingas Orangem Demokratiebündnis ODM erklärte am Sonntag, seine Partei habe Beweise für 300 000 gefälschte Stimmen zugunsten Kibakis.

Oppositionskandidat Odinga beanspruchte am Sonntag zunächst erneut den Sieg für sich und forderte Kibaki auf, seine Niederlage einzugestehen. Am späten Samstagabend, als nur noch 18 Wahlbezirke auszuzählen waren, hatte Odinga mit 38 000 Stimmen vor Kibaki gelegen.

Der kenianische Landeswahlleiter Samuel Kivuitu hatte am Sonntag die Bekanntgabe der Präsidentenwahlen unterbrochen. Bereits am Samstagabend hatte die Wahlkommission nach tumultartigen Szenen ihre Arbeit gestoppt.

In den Slums der Hauptstadt Nairobi und in den Hochburgen Odingas im Westen des Landes kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben. Vertreter von Kibakis nationaler Einheitspartei warfen Odinga und seinen Anhängern vor, die Unruhe im Land zu schüren und verantwortlich für die Gewaltausbrüche zu sein. »Ich rufe Mwai Kibaki auf, den Willen des Volkes anzuerkennen und zu akzeptieren«, sagte Odinga. Zugleich warf er Kibaki versuchte Wahlfälschung vor und forderte eine erneute Zählung der Wählerstimmen. Der 62-Jährige ist der Vorsitzende der Orangen Oppositionsbewegung.

Alexander Graf Lambsdorff, Leiter der 150 Mitglieder umfassenden Beobachterkommission der EU, kündigte am Wochenende Untersuchungen von Vorfällen an, die Fragezeichen aufwerfen. So seien Beobachter in manchen Wahllokalen während der Auszählung abgewiesen worden.

»Besondere Sorge macht uns die sehr hohe Wahlbeteiligung in einigen Regionen, vor allem in der Mitte des Landes«, sagte Lambsdorff. Dort befindet sich die Hochburg von Präsident Mwai Kibaki.

Die USA haben angesichts schwerer Ausschreitungen in Kenia die Bürger des ostafrikanischen Landes zu Ruhe und Geduld aufgerufen. »Wir verurteilen die Gewalt, die in Kenia aufgetreten ist, während die Bürger die Wahlergebnisse abwarten, und rufen alle Kenianer auf, Ruhe zu bewahren, bis die Auszählung beendet ist«, erklärte Außenministeriumssprecher Tom Casey.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007


Fatale Fehlentscheidung

Von Martin Ling *

Die Wahlkommission in Kenia manövriert das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Nichts anderes ist die Bekanntgabe des Amtsinhabers Mwai Kibaki als Sieger der Präsidentschaftswahlen trotz mannigfacher und begründeter Zweifel. Schließlich hat sich der Verdacht auf Wahlfälschung zugunsten Kibakis mehr und mehr verdichtet. Der anfangs klare Vorsprung des Herausforderers Odinga schmolz während der schleppenden Auszählung wie Schnee in der kenianischen Sonne. Auch die vielen Minister des Kibaki-Kabinetts, die ihre überaus lukrativen Abgeordnetensitze bei den parallelen Parlamentswahlen verloren haben, sind ein Indiz dafür, dass die Kenianer einen Regierungswechsel wollen – inklusive des Präsidenten. Und auch der Chef der EU-Wahlbeobachter, Alexander Graf Lambsdorff, der sicher keine Sympathien für Odinga hegt, wunderte sich öffentlich über die überaus hohe Wahlbeteiligung in den Kibaki-Hochburgen.

Dass Kibaki von selber klein beigibt, war nicht zu erwarten. Schließlich vertritt er die Interessen der Eliten, die wollen, dass alles beim Alten bleibt: Freie Bahn für Korruption und Selbstbereicherung. Doch die Wahlkommission hatte die Wahl: Sie hätte einer Neuauszählung unter internationaler Aufsicht zustimmen können. Die Entscheidung für Kibaki ist fatal für die Demokratie und die Entwicklung Kenias. Die blutigen Auseinandersetzungen der letzten Tage sind dunkle Vorboten.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007 (Kommentar)


Kenia erstickt in blutiger Gewalt **

Bereits knapp 300 Todesopfer seit umstrittener Präsidentenwahl am 27. Dezember Wut, Frustration und ethnischer Hass entladen sich nach der Präsidentenwahl in Kenia in blutiger Gewalt. Die Zahl der Toten seit dem Urnengang am 27. Dezember stieg laut Polizei auf knapp 300.

Mit Macheten und Knüppeln gehen Männer der Volksgruppen der Luo und Kikuyu aufeinander los. Für andere sind die Unruhen ein willkommener Anlass, zu plündern und alte Rechnungen mit missliebigen Nachbarn zu begleichen. Mindestens 35 Menschen verbrannten am Dienstag bei lebendigem Leib, als eine aufgebrachte Menschenmenge eine Kirche in Eldoret im Westen des Landes in Brand setzte, berichteten Medien unter Berufung auf örtliche Polizisten. In dem Gotteshaus hatten Flüchtlinge Schutz vor den gewaltsamen Auseinandersetzungen gesucht. Der britische Rundfunksender BBC meldete, bei den Opfern handele es sich um ethnische Kikuyu. Die Ethnie, der auch Präsident Mwai Kibaki angehört, ist seit der angeblichen Wiederwahl und der eiligen Vereidigung Kibakis am Sonntagabend Ziel zahlreicher Übergriffe gewesen.

Oppositionsführer Raila Odinga, ein Luo, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, warf der Polizei vor, die Bevölkerung im Auftrag der Regierung zu provozieren und willkürlich Menschen zu erschießen. Trotz eines polizeilichen Verbots rief Odinga seine Anhänger auf, am Donnerstag an einem Trauermarsch für die Demokratie in Nairobis Innenstadt teilzunehmen. Er erwarte mindestens eine Million Teilnehmer. In den Slums von Nairobi rufen junge Männer »Kein Frieden ohne Raila!«, und in vielen Städten vor allem an der Küste und im Westen des Landes wird der Ruf aufgegriffen.

Unterdessen stieg der Druck auf Präsident Kibaki, die Ergebnisse der Wahl von unabhängiger Seite kontrollieren zu lassen. Die USA, die Kibaki unmittelbar nach seiner Vereidigung als einzige gratuliert hatten, zogen ihre Glückwünsche wieder zurück. Es gelte, besorgniserregende Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, hieß es stattdessen. Der britische Premier Gordon Brown verlangte von Kibaki, auf seinen Widersacher Odinga zuzugehen. Der Chef der EU-Wahlbeobachter, Alexander Graf Lambsdorff, forderte bei der Vorstellung des vorläufigen Abschlussberichts am Dienstag eine Neuauszählung der in den Wahlkreisen gesammelten Ergebnisse. »Wir haben Zweifel, ob die veröffentlichten Ergebnisse tatsächlich die Entscheidung der kenianischen Wähler widerspiegeln.« Lambsdorff warnte vor den Folgen, sollte die Regierung eine Überprüfung weiter ablehnen. »Kenia galt immer als Modell in Afrika, diese Rolle steht jetzt auf dem Spiel.«

Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft veröffentlichte am Dienstag in Brüssel eine Erklärung, in der sie namens der Europäischen Union zu einem Ende der Gewalt aufruft. Die 27 EU-Staaten forderten die Konfliktparteien auf, eine Lösung auf Grundlage von Recht und Gesetz zu suchen.

** Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2008


Moralfragen

Von Uwe Sattler **

Neben dem »Fall Mugabe« haben die EU-Diplomaten nun ein weiteres Personalproblem auf dem Tisch. Nach dem von Brüssel als Quasi-Diktator ausgemachten und eher halbherzig geächteten Staatschef Simbabwes weiß man nicht, wie man mit dem praktisch selbst erklärten Sieger der Präsidentenwahl in Kenia, Mwai Kibaki, umgehen soll. Weiter als bis zu Betroffenheitserklärungen über Opfer und Gewalt sowie der Forderung nach Wahlüberprüfung reichten die Ideen nicht.

Überraschen kann das kaum. Denn eine tragfähige Strategie, wie Europa zur Beseitigung von Hunger und Unterentwicklung in Afrika beitragen und zugleich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stärken kann, existiert in der EU nicht. So simpel es klingt: Für Europa ist der schwarze Kontinent noch immer vor allem Rohstofflieferant und Absatzmarkt. Bestätigt wird dies letztlich auch mit den EPA-Wirtschaftsabkommen, die ökonomische Schutzmechanismen der Entwicklungsländer beseitigen sollen und vom EU-Ministerrat trotz der Kritik aus Afrika am Neujahrstag in Kraft gesetzt wurden.

Diese einseitige Orientierung ist es, die Europa in Konflikte bringt. Natürlich will man demokratische Werte – zumindest offiziell – in den Beziehungen zu Afrika nicht aufgeben. Zu viel »Moral« allerdings könnte der europäischen Wirtschaft schaden – nicht nur in Simbabwe oder Kenia. Mehr als der in Brüssel erhobene Zeigefinger ist von der EU wohl auch nach hunderten Toten nicht zu erwarten.

** Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2008 (Kommentar)


Wortgewaltig

Raila Odinga / Der 62-jährige Oppositionsführer Kenias moniert gefälschte Wahlen

Martin Ling ***


Mindestens eine Million Menschen erwartet Kenias Oppositionsführer Raila Odinga am heutigen Donnerstag (3. Januar 2008) zum Trauermarsch für die Demokratie, der trotz polizeilichem Verbot stattfinden soll. Der Machtkampf in Kenia ist entbrannt, seit Tagen erlebt das Land blutige Kämpfe. Nun kommt es zum Showdown in der Hauptstadt Nairobi, die vor Bewaffneten nur so wimmelt. Das aber hält Raila Odinga nicht davon ab, in der Höhle des Löwen die Anerkennung seines Sieges bei den Präsidentschaftswahlen zu fordern.

»Die Bevölkerung Kenias hat miterlebt, wie ihre Demokratie misshandelt, stranguliert und schließlich umgebracht wurde.« Gewohnt wortgewaltig beschrieb der 1945 in der westkenianischen Stadt Nyanza geborene Politiker die Geschehnisse seit dem Wahltag, dem 27. Dezember. Und mit seiner Meinung, die Demokratie habe durch Wahlfälschungen Schaden genommen, steht Odinga beileibe nicht allein. Ob internationale Wahlbeobachter oder Regierungen: Alle distanzieren sich vom Präsidenten Mwai Kibaki.

Mit Sympathie für Odinga hat die internationale Kritik an Kibaki freilich wenig zu tun: Nicht nur das kenianische Establishment, auch westliche Regierungen fürchten eine Machtübernahme des Mannes, der in der Sprache seines Volkes, der Luo, »Agwambo« gerufen wird: der Harte. Dass er zu Zeiten der DDR in den 60er Jahren in Magdeburg Maschinenbau studiert hat und eines seiner Kinder den Namen Fidel trägt, macht ihn vielen erst recht suspekt, zumal er eine Politik des radikalen sozialen Wandels angekündigt hat.

Raila ist ein Sohn Oginga Odingas, der unter dem »Vater der Nation« Jomo Kenyatta Vizepräsident war, bevor er zu dessen Kritiker wurde. In der Ära des Kenyatta-Nachfolgers Daniel arap Moi (1978-2002) saß Raila Odinga neun Jahre im Gefängnis, aus dem folgenden Exil in Norwegen kehrte er erst nach Einführung des Mehrparteiensystems 1991 zurück. 2002 verbündete er sich mit Kibaki, um Mois Wunschnachfolger Uhuru Kenyatta an den Urnen zu besiegen. Bis November 2005 war er in Kibakis Regierung Bauminister. Kibaki Präsident, Odinga Ministerpräsident – das war einst eine Vereinbarung, die Kibaki brach. Seitdem sind sie Rivalen – mit offenem Ausgang.

*** Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2008


Zurück zur Kenia-Seite

Zurück zur Homepage