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Wahnsinn mit Methode

Kenia will somalische Flüchtlinge durch unmenschliche Lebensbedingungen zu "freiwilliger Rückkehr" zwingen

Von Knut Mellenthin *

Die kenianische Regierung hat am Dienstag alle in städtischen Gebieten lebenden somalischen Flüchtlinge aufgefordert, »sofort in ihre Lager zurückzukehren«. Flüchtlinge, die dieser Anordnung nicht Folge leisten, würden »gemäß den Gesetzen behandelt«, drohte Innenminister Joseph Ole Lenku. Die zur Zeit bestehenden Aufnahmezentren außerhalb der Lager sollen geschlossen werden. An alle Kenianer erging der Appell, außerhalb der Lager lebende Flüchtlinge und illegale Einwanderer bei der Polizei zu melden. Der Minister begründete diese Maßnahmen damit, daß die somalischen Flüchtlinge ein Risiko darstellten, da einige von ihnen für Anschläge verantwortlich seien.

Eine Anordnung mit genau demselben Inhalt war auch schon im Dezember 2012 verkündet worden, wurde aber wegen ihrer offensichtlichen Undurchführbarkeit und Unmenschlichkeit nicht umgesetzt. In Wirklichkeit geht es nicht etwa um eine Vielzahl von Lagern, sondern überhaupt nur um zwei, die beide schon seit Jahren so maßlos überfüllt sind, daß die Verhältnisse für die dort Internierten unerträglich und insbesondere für kleine Kinder lebensgefährlich sind. Von diesen beiden Lagern, Kakuma und Dadaab, ist im konkreten Zusammenhang nur letzteres von Bedeutung. Kakuma hat nur etwa 120000 Bewohner, ungefähr je zur Hälfte Flüchtlinge aus dem Sudan und aus Somalia. Im Gegensatz dazu ist Dadaab ein riesiger Lagerkomplex, in dem nach unterschiedlichen Schätzungen mindestens 400000, vielleicht sogar mehr als eine halbe Million Somalis leben. Angelegt wurde Dadaab, heute das größte Flüchtlingslager der Welt, in den 1990er Jahren ursprünglich für nur 100000 Bewohner.

Wenn das kenianische Regime von somalischen »Flüchtlingen« spricht, ist keineswegs eindeutig und unstrittig, wer dieser Kategorie zugerechnet wird. In Kenia, vor allem im Norden des Landes, aber auch in der weit südlich gelegenen Hafenstadt Mombasa, leben seit Jahrhunderten zahlreiche Somalis und bilden dort mancherorts sogar die Mehrheit. Außerdem sind viele somalische Migranten, die jetzt zum Beispiel den Stadtteil Eastleigh in Nairobi bewohnen, schon in den frühen 1990er Jahren aufgrund von Hungersnöten und Bandenkämpfen in ihrer Heimat nach Kenia geflüchtet. Viele betreiben heute Ladengeschäfte, Schneidereien oder andere handwerkliche Familienbetriebe. Ihre Kinder kennen Somalia nur aus Erzählungen. Ein dritter Teil sind tatsächlich Flüchtlinge aus jüngster Zeit, die lieber im Schutz der Solidarität urbaner somalischer Communities als im Internierungslager leben.

Die Überbelegung Dadaabs und das unzureichende Sanitärsystem fördern den Ausbruch und die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten. Die dort tätigen internationalen Hilfsorganisationen klagen seit Jahren, daß sie aufgrund des Fehlens finanzieller Mittel und extremer Überbeanspruchung ihres Personals die Arbeit nicht im erforderlichen Umfang leisten können. Die Idee, dort demnächst auch noch Zehntausende oder vielleicht sogar Hunderttausende mehr Menschen zu internieren, überschreitet die Grenze zum Irrsinn.

In Wirklichkeit setzt das kenianische Regime diese infame Drohung wohl nur ein, um die Massenabschiebung der somalischen Immigranten »in ihre Heimat«, die ein großer Teil von ihnen nie gesehen hat, durchzusetzen. Innenminister Lenku, der jetzt den Internierungsbefehl unterzeichnete, hatte im November 2013 im gleichen selbstherrlichen Ton bekanntgegeben, daß die Flüchtlingslager in Kürze geschlossen würden. Die Hilfsorganisationen sollten ihre Tätigkeit in »sichere Gebiete« Somalias verlagern.

Zwei Wochen vorher hatten Kenia, Somalia und die UNO ein Abkommen über die »Rückführung« der Flüchtlinge nach Somalia vereinbart. Diese darf allerdings, darauf bestand das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, nur auf Grundlage individueller Freiwilligkeit erfolgen. Die Bereitschaft zur »Rückkehr« erwies sich jedoch als äußerst gering.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. März 2013


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