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Der Ofen glüht noch

Kirgistans "Revolution" ist mehr als ein Machtbeben in Bischkek

Von Bahodir Sidikov*

Vorab eine kleine Anekdote, die sich kurz nach dem Ausbruch der Rebellion gegen die Staatsmacht im Südkirgistan zugetragen hat. Einer der Oppositionsführer ruft der versammelten Menschenmenge zu, man möge sich ein zitronen- oder orangefarbenes Tuch als Wappen der kirgisischen Revolution zulegen. Seine Zuhörer - sie bestehen mehrheitlich aus Männern jüngeren und mittleren Alters - lehnen dies empört ab: es verletze ihren Stolz, wie Frauen farbige Lappen herumzutragen! Erst nach dem Sturz von Präsident Akajew, als das Land immer mehr an den Abgrund eines Bürgerkrieges gerät, tauchen zitronenfarbene Stirn- und Armbänder vermehrt auf.

Davon abgesehen, gibt es besonders einen markanten wie entscheidenden Unterschied zwischen dem Machtwechsel in Georgien (November 2003) sowie in der Ukraine (Dezember 2004) - und dem Zusammenbruch des Systems Akajew. In Tiflis und Kiew ist der Machtkampf innerhalb der herrschenden Elite geführt und entschieden worden. Sowohl das georgische Trio Saakaschwilli - Burdschanadse - Schwania und wie auch das ukrainische Duett Juschtschenko - Timoschenko stammen aus der gleichen Politikerklasse wie ihre Vorgänger Schewardnadse und Kutschma. Gerade durch Konsens und Burgfrieden innerhalb des Establishments in Georgien wie in der Ukraine wurde eine moderate und sanfte Erneuerung möglich.

In Kirgistan jedoch stehen sich äußerst heterogene Kräfte gegenüber: Seit Anfang der neunziger Jahre werden Politik und Ökonomie fast ausschließlich durch die Machteliten aus dem industrialisierten Norden dominiert. Ein bereits zu sowjetischen Zeiten stark ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle blieb nach der Unabhängigkeit nicht nur bestehen, sondern wurde noch steiler. Die Bevölkerung des agrarisch geprägten und von nationalen Minderheiten besiedelten Südkirgistans fühlt sich benachteiligt und von einer Verteilung der ohnehin knappen Naturressourcen ausgeschlossen. Zudem hat der kirgisische Staat in den vergangenen Jahren jede soziale Fürsorge radikal beschnitten und dadurch ungemein an Rückhalt verloren. Nur damit ist zu erklären, dass in Städten wie Osch und Dschalalabad, den wichtigsten urbanen Zentren des Südens, die Staatsmacht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel und zum Menetekel für Bischkek wurde.

Es sei auch auf die Mobilisierungsmechanismen hingewiesen. In Georgien und in der Ukraine sahen sich die Protestierenden aus der verarmten Mittelschicht, der aufbegehrenden Studentenschaft und marginalisierten Intelligentsia überwiegend durch bereits existente zivilgesellschaftliche Strukturen - Parteien wie NGOs - organisiert und von einer gewalttätigen Konfrontation mit der Staatsmacht abgehalten. In Kirgistan wurden die Zentren von Osch, Dschalalabad, und Bischkek, begleitet von Krawallen und Ausschreitungen, durch "die Straße" förmlich in Besitz genommen. Entgegen der Version einiger russischer Medien wurde dieser Aufruhr weder von Clans, noch islamistischen Geheimbünden noch der organisierten Kriminalität gesteuert - vielmehr folgten die Menschen den Anführern klientelistischer Netzwerke, die mit ihren heute größtenteils privatisierten Kolchosen und Sowchosen identisch sind. Lastkraftwagen, Metallschilde, Holzknüppel und Molotow-Cocktails für eine in Bischkek marodierende Dorfjugend sowie logistische Hilfe wurden von diesen jämmerlich verarmten Betrieben, nicht zuletzt deren Direktoren, zur Verfügung gestellt. Damit wiederholte sich in Kirgistan, was schon während des Bürgerkrieges im benachbarten Tadschikistan zu Beginn der neunziger Jahre zu beobachten war.

Mit dem Hinweis auf die Unterschiede zwischen Georgien, der Ukraine und Kirgistan soll keineswegs suggeriert werden, es gäbe einen "richtigen" und einen "falschen" Weg des Protestes. Aber es spricht sehr viel dafür, dass eine ukrainische Variante für Bischkek nie ernsthaft in Betracht kam.

Ob nun allerdings die Rebellion der Armen erfolgreich sein und die Zahl der Todesopfer nicht weiter steigen wird, erscheint fraglich. Die kirgisische Opposition ist schwach und zerstritten, ihr fehlen Politiker von der Statur und dem Charisma Saakaschwilis oder Juschtschenkos. Selbst zwischen dem Interimspräsidenten Kurmanbek Bakijew und dem Chef der Sicherheitsdienste Felix Kulow, einem populären Oppositionspolitiker, der kurz nach der Flucht des Präsidenten Askar Akajew aus der Haft befreit wurde, gibt es keine Einigkeit.

Man sollte auch nicht dem Irrtum verfallen, Kirgistan als Hinterhof Russlands abzutun, oder darauf hoffen, dass die hier gleichfalls durch den Militärstützpunkt Manas präsenten Amerikaner die inneren Konflikte wie auch die soziale Polarisierung eindämmen werden. Die größte Gefahr droht bei dieser unbändigen Eruption nicht den um ihr Hab und Gut zitternden Geschäftsleuten von Bischkek, sondern dem friedlichen Auskommen verschiedener Ethnien in Kirgistan wie in Zentralasien überhaupt. Es fehlt nicht mehr viel, um erneut blutige Zusammenstöße zwischen den Usbeken und Kirgisen wie im Fergana-Tal während der frühen neunziger Jahre auszulösen.

Dr. Bahodir Sidikov ist Zentralasien-Wissenschaftler und zur Zeit Research Fellow am Institut für Osteuropa-Studien an der FU Berlin

Wahlen in Kirgistan


Präsidentschaftswahlen (Oktober 2000 /
Angaben in Prozent)
-
Askar Akajew (Alga - Kirgistan)74,5
Omurbek Tekebajew (Sozialistische Partei)13.1
Almas Atanbajew (Sozialdemokratische Partei)6,0
Parlamentswahlen (Februar / März 2005 /
Anzahl der Mandate)
-
Alga - Kirgistan (bisherige Regierungspartei)17
Kommunistische Partei3
Sozialdemokratische Partei1
Oppositionsbündnis "Rat für die Einheit des Volkes"6
Unabhängige47
Gesamtzahl der Abgeordneten75


Aus: Freitag 13, 1. April 2005


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