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Nach der Präsidentenwahl in Kirgistan:

Stabilisierung oder neue Wirrungen?

Kurmanbek Bakijew ist mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger des im März gestürzten kirgisischen Präsidenten Askar Akajew gewählt worden. Wie die Wahlkommission am 11. Juli 2005 mitteilte, entfielen nach Auszählung von mehr als 75 Prozent der Stimmen auf den bisherigen Interimspräsidenten fast 89 Prozent. Sein schärfster nächster Konkurrent kam demnach auf weniger als vier Prozent. Die Beteiligung an der Abstimmung vom Sonntag lag bei mehr als 74 Prozent. Für die Gültigkeit war eine Mindestbeteiligung von 50 Prozent notwendig. Insgesamt hatten sich sechs Kandidaten zur Wahl gestellt.
Bakijew war bis 2002 Ministerpräsident, stellte sich dann aber auf die Seite der Opposition. Das Amt des Regierungschefs hat er dem populären Politiker Felix Kulow in Aussicht gestellt, der nach der Vertreibung Akajews aus dem Gefängnis befreit wurde. (Quelle: junge Welt, 12.07.2005

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Kommentare zur Wahl in Kirkistan.



Wie lange hält das Bündnis in Kirgistan?

Aus Bischkek berichtet Irina Wolkowa

Mit 88,6 Prozent der Stimmen errang Übergangspräsident Kurmanbek Bakijew bei den kirgisischen Präsidentenwahlen am Sonntag [11. Juli 2005] einen klaren Sieg. Nicht nur er, sondern auch die ausländischen Beobachter waren mit dem Verlauf der Wahlen zufrieden: Von einem »greifbaren Fortschritt« in Richtung Demokratie sprach der Chef der OSZE-Beobachtermission.

Auf den Dächern von Gebäuden im Zentrum Bischkeks waren Bewaffnete in Stellung gegangen, vor den Eingängen von Regierungssitz und Parlament patrouillierten Posten, auf dem Rasen lagerte eine Einheit der berittenen Polizei, die erst im März aufgestellt wurde. Nach den Unruhen, die Präsident Askar Akajew zur Flucht und zum Rücktritt trieben. Unmittelbarer Anlass für den Aufruhr waren damals massive Behinderungen der Opposition und Fälschungen bei den Parlamentswahlen Ende Februar gewesen.

Um eine Wiederholung der Manipulationen zu vermeiden, setzte man diesmal strengste Sicherheitsvorkehrungen durch: Wähler, die bereits ihr Kreuz gemacht hatten, erhielten eine Markierung an der Hand, die erst nach 24 Stunden verblasste. »Erstmalig in der Geschichte Kirgisstans«, so Übergangspräsident Kurmanbek Bakijew, hätten die Bürger das Recht gehabt, sich frei und nach eigenem Gutdünken für einen der sechs Bewerber zu entscheiden, damit die zentralasiatische Republik »einen würdigen Präsidenten bekommt«.

Das Amt fiel schließlich an Bakijew selbst, einen 55-jährigen studierten Volkswirtschaftler. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 74 Prozent erhielt er nach vorläufigen Angaben 88,6 Prozent der Stimmen.

Für Bakijew – und im gleichen Bischkeker Wahllokal wie er und seine russische Frau Tatjana – hatte auch Valentina Potjomkina ihre Stimme abgegeben. Die 57-jährige Russin, die seit 50 Jahren in Bischkek lebt, erwartet von Bakijew das, was die meisten Wähler sich erhoffen: wirtschaftlichen Aufschwung, bescheidenen Wohlstand, Kampf gegen die Korruption und Frieden. Für die zentralasiatische Republik an der Grenze zu China ist das gegenwärtig alles andere als selbstverständlich. Und noch ist keineswegs ausgemacht, ob die neue Macht den Wust an Problemen bewältigt.

Die Fünftausender des Tienschan- Gebirges teilen Kirgisstan in zwei ungleiche Hälften: Den industriell relativ entwickelten prorussischen Norden, wo ethnische Kirgisen überwiegen, und den zurückgebliebenen, ethnisch bunt gemischten und islamisch orientierten Süden. Expräsident Askar Akajew, ein Mann des Nordens, der ursprünglich als gelehriger Schüler des Westens galt, hatte die überbordenden Probleme ähnlich wie seine Kollegen in den anderen Staaten bald mit autoritären Regierungsmethoden zu lösen versucht und sie damit nur verschärft. Auch die überfälligen infrastrukturellen Verbesserungen im Süden ging Akajew erst an, als die Opposition ihm bereits heftig zusetzte. Sie wurde direkt und indirekt von den Clans des Südens finanziert, die nun mit ihrem Repräsentanten an die Macht drängen.

Zwar handelte Bakijew mit Felix Kulow, dem derzeit populärsten Mann im Norden, einen Kompromiss aus: Kulow soll Premier werden und einen Teil der Kompetenzen bekommen, die bisher der Präsident hatte. Doch das Bündnis könnte an persönlichen Rivalitäten beider Politiker scheitern, was wohl einen Bürgerkrieg heraufbeschwören würde. Vor allem dann, wenn es der neuen Macht nicht gelingt, sehr bald spürbare Verbesserungen für die Masse durchzusetzen.

Außenpolitisch wollen Bakijew und Außenministerin Rosa Otumbajewa an Russland als wichtigstem strategischen Partner – wirtschaftlich wie militärisch – festhalten. »Demokratie«, sagte Otumbajewa gegenüber ND, »muss auch mein Gesicht haben.« Ein asiatisches nämlich. Ratschläge, auch gut gemeinte, würden wenig nützen, wenn sie die historisch gewachsenen Realitäten des Ostens ausblenden. Einflussreiche Kräfte der einstigen Opposition verübeln den USA die brachialen Methoden, mit denen Washington, das seit Oktober 2001 auch in Kirgisstan einen eigenen Stützpunkt für seinen »Antiterrorkrieg « unterhält, westliche Werte durchzudrücken versucht. Eben diese Zwänge veranlassten Kirgisstan, beim Gipfel der Internationalen Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit Anfang letzter Woche im kasachischen Astana eine vom usbekischen Präsidenten Islam Karimow eingebrachte Resolution zu unterschreiben, die auf Abzug der US-Amerikaner drängt.

Eine Konfrontation mit dem schwierigen Nachbarn Usbekistan kann sich Kirgisstan derzeit nicht leisten. Genau die aber droht nach den blutig niedergeschlagenen Unruhen im usbekischen Andishan, denn die usbekische Staatsanwaltschaft verlangt die Auslieferung der nach Kirgisstan Geflüchteten. »Wir sind gegenwärtig so schwach wie nie und stehen zwischen zwei Feuern «, seufzt Außenministerin Otumbajewa. Einerseits müsse man internationale Verpflichtungen einhalten, die eine Auslieferung von Flüchtlingen verbieten, sofern ihnen – wie in Usbekistan – Folter oder Todesstrafe drohen. Andererseits ist Kirgisstan von usbekischen Gaslieferungen abhängig. Dreht Taschkent in einem kalten Winter den Hahn zu, ist die kirgisische »Tulpenrevolution« womöglich zu Ende, bevor erste Früchte reifen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2005


Redlich und effektiv

VON KARL GROBE

Wahlen gegen Unbekannte zu gewinnen, ist eine leichte Übung. Der am Montag gewählte kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew hat es insofern nicht schwer gehabt. Er ist im Süden der Republik seit langem als ungewöhnlich effektiver und redlicher Politiker bekannt, hat im Norden viele Anhänger gewonnen und zudem den Amtsbonus des ersten Mannes seit der halbrevolutionären Vertreibung seines Vorgängers nutzen können. Sein Neunzig-Prozent-Ergebnis ist aber auch vor diesem Hintergrund überzeugend, weil diesmal sauber gewählt wurde.

Zusammen mit dem Sicherheits-Spezialisten Felix Kulow, dessen Hochburg im Norden liegt, kann Bakijew eine stabile Regierung aufbauen. Die vor dem Duo liegenden Aufgaben sind jedoch nicht leicht zu lösen. Die in den vergangenen Jahren ausgewucherte Korruption zu beseitigen, erfordert mehr als die Auflösung des Klüngels, der seit der Unabhängigkeit dynamisch gerafft hat. Gelingt es nicht, die Ökonomie wieder ehrlich zu machen, dürften Bakijew und Kulow sich bald in der Isolation wiederfinden. Das kann ihnen auch blühen, wenn sie den Kampf gegen die Armut nicht gewinnen.

Zunächst aber kann man voraussetzen, dass Kirgisien stabil regiert wird - und sich von US-Einflüssen löst. Für den Abzug der USA von der Luftwaffenbasis Manas hat Bakijew sich schon ausgesprochen. Seine Partner in der Schanghai-Organisation wird es freuen, besonders China und Russland. Ob das für eine wirklich unabhängige Politik ausreicht, muss sich zeigen. Es liegt auch an Moskau.

Aus: Frankfurter Rundschau, 12. Juli 2005


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