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Rebellion und Operettenputsch

Von Pit Wuhrer

Die wohl größte Rebellion gegen die Diktatur von Islam Karimow, der seit der Unabhängigkeit von Usbekistan (1991) das bevölkerungsreichste Land von Zentralasien regiert, hat nach Schätzungen der Opposition über 700 Todesopfer gefordert. Mitte Mai hatten Hunderte, manchen Berichten zufolge sogar Tausende in der ostusbekischen Stadt Andischan zuerst eine Kaserne, dann das Gefängnis gestürmt, mehrere Gebäude der Zentralregierung angezündet und Polizisten erschossen. Die Truppen der Staatsgewalt, die sich zuerst zurückgezogen hatten, beantworteten den Aufstand in der für Karimow übliche Weise: Sie eroberten Andischan zurück und schossen später auch in Pachtabad und in der usbekischen Grenzstadt Korassuw auf friedliche Demonstranten.


Den Aufstand in Usbekistan ausgelöst hat die im letzten Jahr erfolgte Verhaftung von 23 Geschäftsleuten, die – da sind sich die meisten Berichterstatter einig – ein Netz von islamischen Unternehmen und Wohltätigkeitsorganisationen aufgebaut hatten, die der völlig verarmten Bevölkerung im usbekischen Teil des Fergana-Tals helfen wollte. Diesen Geschäftsleuten wurde jetzt der Prozeß gemacht; sie befanden sich unter den Häftlingen, die nach dem Sturm auf das Gefängnis von Andischan freikamen.

In „Karimows Folterkammern gestehen alle alles.“

Für Karimow hingegen war die Rebellion das Werk von "kriminellen Banden" und einer Gruppe namens Akramija, einer Unterorganisation der radikal-islamischen Partei Hizb at-Tahrir al-Islami. Auch die US-Regierung vertritt diese Auffassung: Für Washington ist Usbekistan ein wichtiges Mitglied in der "Koalition der Willigen" im "Krieg gegen den Terror". Dieser These widerspricht jedoch Craig Murray, der von 2002 bis 2004 britischer Botschafter in Taschkent war. "Ich kann Ihnen versichern, daß die Oppositionsführer in keinerlei Weise islamistische Militante waren oder – sofern sie noch leben – sind», schrieb Murray am 16. Mai in der britischen Tageszeitung "The Guardian". Murray hatte in den letzten Jahren mit vielen usbekischen Oppositionellen gesprochen, seine Regierung in London immer wieder auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen der "Kleptokratie" des Karimow-Regimes hingewiesen, und war im letzten Jahr aus dem diplomatischen Dienst entfernt worden, weil er – auch öffentlich – den CIA und den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 beschuldigte, Geständnisse von Karimows Folteropfern nicht nur für bare Münze zu nehmen, sondern deren Aussagen auch gegen Inhaftierte in den USA, Guantanamo Bay und in britischen Gefängnissen zu verwenden. “All diese Aussagen stammen von Menschen, die kaum noch lebten", schreibt Murray: "In Präsident Karimows Folterkammern gestehen alle alles."

Im Jahr 2002 hat Usbekistan über 500 Millionen US-Dollar aus den USA erhalten, die im südusbekischen Khanabad eine Luftwaffenbasis unterhalten. Zweck der US-Militärpräsenz (auch die Bundeswehr hat dort Truppen stationiert) sei aber – so der britische Ex-Diplomat – nicht, wie behauptet, die Situation in Afghanistan, sondern die vom Pentagon konzipierte Idee von kleinen, schlagkräftigen US-Basen, sogenannten "lily pads" rund um die Öl- und Gasfelder am Kaspischen Meer und in Zentralasien.

Die Forderungen der Rebellen

In diesem Frühjahr haben US-Firmen den Auftrag erhalten, eine Pipeline von den asiatischen Öl- und Gasquellen quer durch Afghanistan ans Arabische Meer zu verlegen. Das usbekische Regime spielt bei diesen Plänen eine wichtige Rolle. Dies erklärt, weshalb die US-Regierung derzeit nur vorsichtigen Druck auf Karimow ausübt. Er solle eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Adischan zulassen, verlautete aus dem US-Außenministerium, und als die Regierung in Taschkent dies ablehnte, hieß es, man sei "enttäuscht". So zartfühlend sind George Bush, Condoleezza Rice und Donald Rumsfeld bisher mit wenigen Regierungen umgesprungen.

Die Rebellen in Ostusbekistan haben nicht nur die Freilassung von 23 Geschäftsleuten verlangt, sie forderten auch den Rücktritt von Karimow, Demokratie, rechtsstaatliche Verhältnisse und eine Öffnung der Grenze zu Kirgistan. Denn diese Grenze im Fergana-Tal war vor zwei Jahren geschlossen worden. Das Tal – eine rund 300 Kilometer lange, rund 170 Kilometer breite Hochebene – ist die fruchtbarste Region von Zentralasien. Hier leben jeweils knapp ein Drittel aller usbekischen, kirgisischen und tadschikischen Staatsangehörigen; die Mehrheit der Talbewohner (rund 62 Prozent) allseits der Grenzen ist jedoch usbekischer Abstammung: Viele Usbeken leben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der im Fergana-Tal aus administrativen Bezirksgrenzen Staatsgrenzen hatte werden lassen, auf kirgisischem und tadschikischem Staatsgebiet. Diese Trennung hat eine Reihe von ethno-politischen Konflikten ausgelöst, bei denen Anfang der 90er Jahre mehrere hundert Menschen umkamen, denn in der dichtbesiedelten Region sind Wasser und Land knapp.

Um eine Destabilisierung seines Regimes durch weitere, vor allem durch die sozialen Verhältnisse (die Jugendarbeitslosigkeit liegt im usbekischen Teil des Tals bei 40 Prozent und mehr) hervorgerufene Auseinandersetzungen zu verhindern – und um einem vorgeblich islamistischen Angriff vorzubeugen – hat Karimow Ende der 90er Jahre das Grenzgebiet sogar verminen lassen. Sein striktes Grenzregime trennte Städte und Dörfer, schnitt Siedlungen von Energie- und Wasserressourcen ab, und ließ die Menschen weiter verarmen – beidseits der Grenze.

Kirgistan: Akajew tritt ab

Diese Armut und das tiefsitzende Gefühl der Benachteiligung hat dazu beigetragen, daß im März diesen Jahres ein Teil der Bevölkerung in der kirgisischen Region von Dschalabad und Osch rebellierte – gegen die Oligarchie in Bischkek, der Hauptstadt von Kirgistan. Dort regierte seit der Staatsgründung im Jahre 1991 der Clan von Präsident Askar Akajew. Lange Zeit hatte Akajews Regime als Beispiel für die demokratische Erneuerung einer ehemaligen Sowjetrepubik gegolten, und war dafür weltweit gerühmt worden. Akajew hatte zwar der alten Nomenklatura angehört, galt aber als ehemaliger Leiter der Akademie der Wissenschaften als unabhängig und hatte während seiner ersten Amtsjahre im Zwist zwischen kirgisisch-nationalistischen Kreisen und dem russisch-stämmigen Bevölkerungsteil mäßigend gewirkt. Mit der Zeit jedoch baute er sich sein eigenes Imperium auf. Das konnte er tun, weil im Parlament nicht Parteien und Programme vertreten waren, sondern Clanchefs als "unabhängige" Abgeordnete saßen.

Daß seine Hausmacht und vor allem seine Familie die Parlamentswahl im Februar 2005 an sich riß, erboste seine Konkurrenten um die Pfründe. Sie mobilisierten ihre Anhänger und zogen ins Regierungsviertel, wo sie problemlos das "Weiße Haus", die Regierungszentrale besetzen konnten, da sich die Staatsgewalt auffällig zurückhielt. Akajew flüchtete nach Moskau. Sein Sturz sei "zum Teil eine Investorenrebellion" gewesen, zitierte der britische "Guardian" einen Beobachter; viele wohlhabende und einflußreiche Leuten hätten bei der letzten Wahl im Jahre 2000 enorme Summen ausgegeben (die Rede ist von über einer halben Million Franken Bestechungsgeld an Akajews Familie), um im Parlament vertreten zu sein. Diese Leute wurden mit der gefälschten Wahl um ihren Einsatz geprellt.

Wie konnten ein paar Demonstrationen (die Zahl der Demonstranten war nie größer als 5000) eine Regierung stürzen? Wie konnte etwas Unruhe im Regierungsviertel und auf den nahe gelegenen Einkaufsstrassen einen seit vierzehn Jahren amtierenden Präsidenten in die Flucht schlagen? Eine Antwort auf diese Fragen liegt in der Person der neuen Führungsfiguren: Kurmanbek Bakijew, den das neue Einkammerparlament zum Ministerpräsidenten ausgerufen und mit den weitgehenden Befugnissen des Präsidenten ausgestattet hat, ist einer der reichsten Männer von Südkirgistan. Er hatte von 2000 bis 2002 als Ministerpräsident unter Akajew gedient und wurde entlassen, weil er mit großer Härte gegen die Opposition vorgegangen war, Masseninhaftierungen angeordnet hatte und in seinem Heimatbezirk Dschalalabad auf oppositionelle Demonstranten hatte schießen lassen (sechs Tote), die gegen seine Politik protestiert hatten. Auch der andere neue starke Mann war bisher nicht als Oppositioneller aufgefallen: Felix Kulew war unter Akajew Innenminister, Vizepräsident und Chef der Geheimdienste gewesen, bis er Lust aufs Präsidentenamt verspürte und dafür hinter Gittern verschwand.

Nicht mehr als ein Stühlerücken

Die sogenannte Revolution, für die ein paar Clanchefs ihre Untertanen nach Bischkek gekarrt hatten, war nicht mehr als ein Stühlerücken. Das zeigten auch die Entwicklungen nach Akajews Flucht. So hatte zwar der Oberste Gerichtshof die Wahl des neuen Parlaments annulliert, gleichwohl aber wurden dessen Abgeordnete als legitime Volksvertreter vereidigt. Obwohl sich der Protest an der Wahl entzündet hatte, verlangte plötzlich niemand mehr eine Neuwahl. Schließlich war das Hauptziel der "Oppositionellen" um Bakijew und Kulew erreicht: Sie sitzen an Akajews Stelle. Daß das neue Parlament ein "Club von Millionären" ist, wie die neue Außenministerin Rosa Otunbajewa die Versammlung in einem unbedachten Moment nannte, kommt der neuen Führung eher noch entgegen. Und so haben sich alle arrangiert: Im neuen Parlament sitzen Vertreter der Akajew-Familie (wie beispielsweise dessen Sohn Haidar), Mitglieder der alten und der neuen Elite wie etwa die Gebrüder Salimbekow (Mamid gehört ein großes Einkaufszentrum in Bischkek, Askar kontrolliert den größten Basar der Stadt) und wie auch vorher schon viele Clanchefs. Auch mit Akajew hat man sich verständigt. Sein Vorgänger habe sich "um die Demokratie, die Eigenstaatlichkeit und den Privatbesitz an Boden" verdient gemacht, lobte Interimspräsident Bakijew auf einer seiner ersten Pressekonferenzen. Kurz danach trat Akajew auch offiziell vom Amt zurück und machte so den Weg frei zur Wahl eines neuen Präsidenten im Juli. Für dieses Amt wird Bakijew kandidieren. Kulew, der ursprünglich ebenfalls mit dem Job liebäugelte, wird – auch hier hat man sich arrangiert – Ministerpräsident. Daß Akajew seine Reichtümer behalten darf (er hat sich während seiner Amtszeit eines der größten Vermögen angehäuft), gilt als ausgemachte Sache.

Das wird die Bevölkerung des rohstoffarmen Landes gewiß freuen. Selbst in der Hauptstadt beschäftigt sich mittlerweile kaum noch jemand mit den Ereignissen der letzten Monate. Die Menschen haben andere Sorgen. Das Bruttosozialprodukt beträgt gerade mal 250 Euro pro Kopf und Jahr und liegt damit noch immer unter dem Niveau von 1991. Die Löhne sind minimal, die Preise hoch, die Alltagsfragen drückend: Wie kann man die nächste Krankheit überstehen, wie den Kindern einen Schulbesuch ermöglichen? Akajew hat viele der zu Sowjetzeiten errichteten Ambulanzen geschlossen, die medizinischen Dienste de facto privatisiert und zugelassen, daß Eltern Unterrichtsgebühren bezahlen müssen. Daran wird sich auch künftig nichts ändern.

Daß Akajews Sturz vergleichsweise geräuschlos über die Bühne ging, hat auch damit zu tun, daß die neuen Chefs über beste Beziehungen zur russischen Regierung verfügen und auch den USA genehm sind. Seit Ende 2001 dient der Flughafen Manas dem Pentagon als Stützpunkt. Ganz anders liegt der Fall in Usbekistan. Dort könnte tatsächlich eine Opposition entstehen. Und das beunruhigt Washington.

* Pit Wuhrer, Redakteur der Schweizer Wochenzeitung (WOZ).


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 42, Juli 2005

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