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Kein Vietnam, kein Yankee-Imperialismus

Die USA und der Kolumbien-Plan

Von Harald Irnberger

Mario Montoya freut sich wie über eine Weihnachtsbescherung: »Nie zuvor habe ich mehr als fünf Helikopter auf einem Platz gesehen - und nun haben wir gleich 60!« - Der 51-jährige General mit der blau getönten Sonnenbrille ist nicht irgendein Kommandant der kolumbianischen Armee, sondern Chef der von Heer, Marine und Luftwaffe sowie der Polizei gebildeten Sondereinheit zur Drogenbekämpfung, die bald 8.000 Mann zählen soll und in Tres Esquinas stationiert ist. Diese 1932 aus Anlass eines Grenzkonfliktes mit Peru errichtete Militärbase findet sich am Schnittpunkt der Regenwald-Regionen Caqueta und Putumayo im Süden. Sie liegt in der Nähe des 42.000 Quadratkilometer großen Territoriums, aus dem im November 1998 die Regierung von Präsident Andrčs Pastrana ihre Militäreinheiten zurückzog und die Region somit offiziell der Kontrolle durch die Guerilla der FARC überließ - eine Vorleistung, um ungestört von Armee und Polizei substanzielle Friedensverhandlungen mit Südamerikas inzwischen dienstältesten Aufständischen führen zu können.

Dabei gab es häufig Rückschläge, doch seit Beginn des Jahres schien die Sache voranzugehen. Eine gemeinsame Delegation von Regierungsvertretern und Rebellen reiste nach Westeuropa, um einträchtig demokratische Rechtsstaatsmodelle zu studieren. Im Juli sah es bereits nach einem Waffenstillstand aus. Doch nun ist alles anders, nachdem Präsident Clinton in der vergangenen Woche für zehn Stunden nach Cartagena de las Indias kam, um 1,3 Milliarden Dollar zu überbringen - wohl nur eine erste Rate -, von denen 900 Millionen direkt für die Aufrüstung der kolumbianischen Streitkräfte vorgesehen sind, lediglich 230 Millionen für Entwicklungsprojekte. Außerdem wird mit Keith Martin Huber erstmals ein US-General des Southern Command in Bogota stationiert, um die US-Militärhilfe zu koordinieren - Huber wird ab sofort der ranghöchste amerikanische Offizier in einem lateinamerikanischen Staat sein.

Da den Schirmherren eines solchen Engagements klar war, was man von der erwiesenen Großzügigkeit halten könnte, sprach Clinton den unangenehmen Aspekt gleich selbst an: »Das hier ist nicht Vietnam und das hat nichts mit Yankee-Imperialismus zu tun«, verkündete der Präsident. »Hier soll ein ultimativer Schlag gegen die Menschheitsplagen Kokain und Heroin geführt werden ...« (deren weltgrößter Produzent wie Spediteur Kolumbien ist).

Das Anti-Drogen-Korps von Tres Esquinas ist seit Wochen vom Stahlhelm bis zum Schuhwerk mit Uniformen aus US-Produktion eingekleidet. Die vielen neuen Hubschrauber, die im Dschungel rundum illegale Koka-Pflanzungen aufspüren sowie per Chemie-Angriff zerstören sollen, kommen auch aus dem Norden. Es läuft alles so ab, wie es der Anti-Drogen-Zar der USA, General Barry McCafrey, dem kolumbianischen Partner diktiert hat: »Ihr stellt die Leute und wir das Material.«

Kolumbiens Guerilla-Verbände

Fuerzas Armadas Revolucionarias Colombianas (FARC)

Gegründet: 1948 zunächst als bäuerliche Selbstverteidigungsliga, Umwandlung in die FARC und eine klassische Guerilla 1966.
Die militärischen Formationen umfassen derzeit 16.000 bis 18.000 Mann, deren Operationsgebiete größtenteils im Süden liegen (zirka 400 Gemeinden mit einer FARC-Selbstverwaltung). Die Guerilla bezeichnet sich als »marxistisch-leninistisch« und wird nach außen hin von ihren »historischen Führern« Manuel Marulanda und Paul Reyes vertreten.

Ejército de Liberación Nacional (ELN)

Gegründet: 1965 von den Studenten und Ordensbrüdern Fabio Vázquez Castano und Víctor Medina Morón, zuweilen schloss sich der ELN auch der Priester Camilo Torres an - ein Mythos der kolumbianischen Guerilla. Der ELN rekrutiert momentan zirka 5.000 Kämpfer, die in kleineren Einheiten - teilweise im Norden - operieren (in etwa 150 Gemeinden aktiv).
»Comandante« ist seit 1978/79 der spanische Priester Manuel Pérez.

Ejército Popular de Liberación (EPL)

Gegründet: 1966 als maoistische Gruppierung, die sich als bewaffneter Arm der KP Kolumbiens verstand. Stärke zur Zeit - etwa 500 Mann (zumeist im Süden). Eine EPL-Fraktion stellte 1991 nach Verhandlungen mit der Regierung den Guerilla-Kampf ein.

Das Herz - oder besser Hirn - von Tres Esquinas bildet ein kapselförmiges monströses grünes Gebilde, in dessen Innern die zur Instruktion der Einheimischen ausgesandten Yankees - es sind momentan an die 500 - weitgehend unter sich bleiben. Die Anlage dient zum Aufspüren von Truppenbewegungen ebenso zum Abhören von »feindlicher Kommunikation«. Beides Aktivitäten, die kaum den gottesfürchtigen Campesinos zuzutrauen sind, die im Regenwald eine Parzelle roden, um darauf das einzige Produkt anzubauen, für das ihnen die Export-orientierten Abnehmer einen halbwegs fairen Preis zahlen - Koka-Sträucher.

So kommt General Montoya nicht umhin, mit kargen Worten anzudeuten, welchen Feind er tatsächlich im Auge hat: die Guerilla von den FARC, die er »Drogenhändler und Banditen« nennt. Nach seiner Überzeugung monopolisiert sie 75 bis 80 Prozent der Geschäfts in einer Zone, aus der pro Jahr mutmaßlich 650 Tonnen Kokain verkauft werden. Behauptungen wie diese haben in den vergangenen Tagen bereits Eingang in die Nachrichtensendungen westeuropäischer TV-Sender gefunden. Doch die Wahrheit ist wie immer vielschichtiger. Tatsächlich erhebt auch die Guerilla in den von ihr dominierten Gebieten Abgaben von Drogen-Produzenten und -Händlern. Es gibt in Kolumbien keinen Machtfaktor von Gewicht, der nicht von diesem Wirtschaftszweig lebt. Dies gilt erst recht für eine Nation, die in zwei Staaten zerfällt - in die Domänen der Guerilla (vorzugsweise von FARC wie ELN) und jene Regionen, die von der Armee kontrolliert werden - und als einheitliches Gebilde faktisch nur noch im geographischen Sinne existiert. Da gibt es die von der Realität des 40-Millionen-Volkes, das mindestens zur Hälfte in Armut lebt, ziemlich abgehobene politische Klasse, die sich ihre Hahnenkämpfe nicht zuletzt von der Kokain-Mafia finanzieren lässt. Da gibt es die Kaste der Uniformträger, die nur bedingt auf die politische Führung hört, aber stets für Zuwendungen aus der Drogen-Szene empfänglich ist. Und da gibt es die marodierenden rechtsradikalen Paras, die weithin mit der Armee auf bestem Fuß stehen und als rabiateste Feinde der Guerilla vom Latifundismus und der Drogen-Mafia finanziert werden. In Kolumbien überrascht es niemanden, wenn sich nun die DEA - die Anti-Drogen-Behörde der Amerikaner - der »guten Dienste« dieser Todesschwadronen bedienen will.

Um die begonnene Aufzählung zu komplettieren, sei schließlich noch auf das nach dem Tod von Pablo Escobar - dem Drogen-Tycoon von Medellin - in eher kleine Strukturen zersplitterte Kokain-Kartell verwiesen, das freilich beachtlichen Einfluss auf den Staatsapparat besitzt. Und da wäre die Guerilla, die an vielen illegalen Geschäften partizipiert, aber als einziges reales Machtelement im Grunde nicht käuflich ist.

Nicht zuletzt aus diesem Grund suchte der konservative Staatspräsident Andrčs Pastrana nach einem Friedensschluss. Die Guerilla sollte ins offizielle politische Leben eingebunden werden und als Gegenleistung in den von ihr beherrschten Zonen - etwa 40 Prozent des Staatsgebietes - dafür sorgen, dass der Koka-Anbau von alternativen agrarischen Erwerbszweigen abgelöst wird. Doch dieser Strategie des Präsidenten passte weder den Militärs, die mit Aufständischen nur über Kimme und Korn verhandeln, noch der US-Administration, die darin einen für die gesamte Dritte Welt gefährlichen Präzedenzfall sieht. Also wurden statt einer teilweise marxistisch intendierten Guerilla nun die Drogen zum Hauptfeind der Menschheit ausgerufen -, wurde Kolumbiens Präsident unter Hinweis auf die Staatsräson in die Pflicht genommen.

Biologischer Krieg

Seit 1992 werden die Koka-Anbaugebiete Kolumbiens aus der Luft mit dem Herbizid Glyphosat besprüht. Bis 1999 gingen dabei 2,5 Millionen Liter dieser Substanz auf Koka- und Mohn-Felder nieder. Bei Kosten von 55 Millionen Dollar (teilweise von den USA getragen) war der Effekt dieser Aktion - abgesehen von den ökologischen Schäden im verletzlichen Öko-System des kolumbianischen Regenwaldes - mehr als peinlich. Im gleichen Zeitraum hatte sich die Koka-Anbaufläche nahezu verdreifacht.

Geplant ist nun im Rahmen des »Plans Colombia« der Einsatz des Pilzes Fusarium oxysporum, der bereits in Peru bei einer bewusst hervorgerufenen Infizierung ernsthafte Schäden auf Koka-Feldern ausgelöst hat. Die Hoffnung, durch die Erzeugung »künstlicher Epidemien« Pflanzungen vollständig zu vernichten, stützen sich nicht zuletzt auf Feldversuche mit Pilzen gegen Mohn-Felder in Usbekistan und gegen Cannabis im US-Bundesstaat Florida.

Allerdings wollten die USA ihren »Plan Colombia« als kollektive Inszenierung beider amerikanischer Subkontinente zur Aufführung bringen - mit symbolischer Beteiligung von Truppen auch anderer südamerikanischer Staaten. Doch die winkten - angeführt von Brasilien, das sich solcherart als regionale Führungsmacht profiliert - entschieden ab. Dort erinnert man sich noch recht gut an den Umstand, dass seinerzeit schon der Vietnam-Krieg nicht auf Vietnam beschränkt blieb, sondern ganz Indochina in seinen Sog riss. Es gibt noch weitere Gründe für derartige Erinnerungen. So wie seinerzeit US-Militärs Vietnam »zerstörten, um es zu retten«, vernichten die nunmehrigen Drogenbekämpfer mit der großen chemischen Keule nicht bloß die Koka-Pflanzungen. Sie sorgen für einen Kahlschlag - über die absehbare Umweltkatastrophe kann vorderhand nur spekuliert werden.
Aus: Freitag, 08.09.2000

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