Ewiger Widerstand kann nicht gewinnen
Konfliktforscher hofft auf Erfolg der innerkolumbianischen Friedensverhandlungen
Yezid Arteta (Mitte) war 13 Jahre lang ein führendes Mitglied der FARC. 1996 wurde er in einer Militäroperation verletzt, festgenommen und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er lebt heute in Barcelona und hat Abstand von der FARC genommen. Als Gastwissenschaftler am Institut für Friedenskultur der Autonomen
Universität Barcelona beschäftigt er sich mit der Lösung von Konflikten. Mit ihm sprachen für »nd« Nicole Jullian und Carlos Hainsfurth.
Kolumbianische Regierung und
FARC führen in Havanna Friedensgespräche.
Dazu sagen Sie,
dass Widerstand leisten nicht mit
Siegen gleichgesetzt werden kann.
Steht die Guerilla also unter Zugzwang?
Die Lage des Kolumbienkonflikts
hat sich dermaßen verändert, dass
es heute schwer vorstellbar ist, die
FARC könnte mit Waffengewalt
wesentliche politische Maßnahmen
forcieren oder sogar an die
Macht kommen. Um so unvorstellbarer
ist ein Wandel der militärischen
Kräfteverhältnisse zugunsten
der FARC. Wenn sie sich
mit der Regierung über die Beendigung
des Konflikts nicht einigt,
bleibt der FARC nichts anderes
übrig, als ewig Widerstand zu leisten.
Politisch betrachtet ist dieser
Widerstand aber nicht gleichbedeutend
mit Siegen. Siegen bedeutet,
gesellschaftspolitische und
sozio-ökonomische Transformationen
in die Wege leiten zu können.
Die FARC ist sich jedenfalls bewusst,
dass es sich bei den Gesprächen
in Havanna um eine historische
Gelegenheit handelt, dem
bewaffneten Konflikt in Kolumbien
ein Ende zu setzen.
Aus diesen Friedensgesprächen
könnte ein neues Land entstehen.
Aber nach knapp fünf Dekaden eines
bewaffneten Konflikts hat sich
das Land an Gewalt gewöhnt. Woher
soll nun die kolumbianische
Gesellschaft die Kraft für diesen
Wandel nehmen? Können hier die
Basisorganisationen und die sozialen
Bewegungen eine wesentliche
Rolle spielen?
Der kolumbianische Staat könnte
durch diese Verhandlungen einen
Veränderungsprozess beginnen,
da er selbst eine politisch-strukturelle
Schwäche aufweist. Diese
Schwäche verhindert, dass Kolumbien
die auf dem Land zum Teil
noch vorhandenen semi-feudalen
Verhältnisse überwinden und so
zu einer modernen Gesellschaft
werden kann. Der Staat hat durch
eine Einigung mit den Rebellen der
FARC in Havanna die Chance, jene
politische Transformationen
durchzuführen, die für eine Modernisierung
des Landes vonnöten
sind. Die FARC kann ihrerseits
mittels dieser Verhandlungen
wichtige Punkte erreichen, die den
Basisorganisationen und den linken
Oppositionsgruppen ermöglichen,
sich neu zu strukturieren,
damit sie sich am politischen Leben
unter besseren Bedingungen
beteiligen können. Das heißt
gleichberechtigter Zugang zu den
öffentlichen Massenmedien und
vollständige Garantien, politische
Opposition ausüben zu können.
Zusammengefasst: Die Karten
müssen neu gemischt werden.
Wo sollen die Karten neu gemischt
werden? In Havanna oder
im Rahmen einer verfassungsgebenden
Versammlung?
Die Karten werden in Havanna
unter Berücksichtigung tausender
Vorschläge der Zivilgesellschaft
neu gemischt. So gab es bereits
Mitte Dezember 2012 ein Treffen
zum Thema ländliche Entwicklung,
das von den Vereinten Nationen
und der Nationalen Universität
Kolumbiens organisiert wurde.
Die FARC schlägt eine verfassungsgebende
Versammlung vor,
die vom Volk direkt gewählt werden
soll. Diese Versammlung soll
die Vereinbarungen von Havanna
in einem neuen Verfassungstext
niederschreiben. Es ist äußerst
wichtig, dass die kolumbianische
Gesellschaft die Möglichkeit erhält,
diesen Text zu ratifizieren. Ideal
hierfür wäre eine verfassunggebende
Versammlung, die zweite
Option eine Volksabstimmung. Die
gesellschaftliche Ratifizierung ist
nötig, damit die Vereinbarungen
nicht Gefahr laufen, bei einem Regierungswechsel
für ungültig erklärt
zu werden.
Ist es nicht die oberste Priorität
der kolumbianischen Gesellschaft,
über eine Agrarreform und eine
verfassunggebende Versammlung
hinaus die Kultur der Gewalt zu
überwinden?
Am Verhandlungstisch in Havanna
sitzen keine Götter, die von
heute auf morgen das Land verändern
können. Was Regierung
und FARC machen können, ist, eine
Art von Wegweiser zu formulieren,
allgemeine Richtlinien vorzugeben,
um ein Land im Sinne
von Gerechtigkeit und Demokratie
zu entwerfen. Bisher haben wir in
Kolumbien eine rückschrittliche
politische Klasse, die politische
Transformationen auf einem
friedlichen Weg nicht zulässt. Ein
Friedensabkommen muss jene
Politik beenden, die die Waffengewalt
als Mittel der politischen Auseinandersetzung
legitimiert. So könnte man in Kolumbien ermöglichen,
dass eine neue politische
Kultur entsteht, bei der der Gegner
sich frei äußern kann, ohne dabei
Angst zu haben, vernichtet zu
werden.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Mai 2013
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