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Unerwünschte, weil unbequeme Zeugen

Zuckerrohrarbeiter streiken für Grundrechte

Von Markus Plate *

Seit dem 15. September befinden sich mehr als 12 000 kolumbianische Zuckerrohrarbeiter in einem unbefristeten Streik. Brennpunkt der Proteste ist die westkolumbianische Provinz Valle del Cauca, in deren Hauptstadt Cali Anfang Oktober die deutsche Menschenrechtlerin Friederike Müller verhaftet und anschließend ausgewiesen wurde.

Die 28-jährige Friederike Müller, die vor kurzem ihr Studium in Publizistik und Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hat, war seit dem 1. September als Mitglied der Berliner Kolumbienkampagne im Lande. Die Kampagne ihrerseits gehört dem europäisch-kolumbianischen Netzwerk Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia (Netz der Brüderlichkeit und der Solidarität mit Kolumbien) an. Kurz nach ihrer Verhaftung und der Ausweisung am 2. Oktober kursierte eine E-Mail, in der kolumbianische Paramilitärs auch die Mitglieder der Kolumbienkampagne mit dem Tode bedrohten.

Eine Woche später wurden zwei Franzosen ebenfalls im Zusammenhang mit dem Streik des Landes verwiesen. Am 18. Oktober schließlich schockierte der kolumbianische Staatschef die internationale Öffentlichkeit mit einer Ansprache, in der er den Ausgewiesenen Verbindungen zur Guerilla vorwarf und sie bezichtigte, nach Kolumbien gekommen zu sein, um zur Gewalt aufzurufen.

Die kolumbianischen Behörden versuchten offensichtlich, internationale Beobachter von den Streiks fernzuhalten, gegen die Polizei und Armee äußerst brutal vorgingen, klagt der Vertreter der Berliner Kolumbienkampagne in Bogotá, Kris Lengert. Die Zuckerrohrarbeiter streiken für fundamentale Arbeitsrechte. Trotz eines 15-Stunden-Tages auf den Plantagen verdienen sie nicht einmal den kolumbianischen Mindestlohn von umgerechnet rund 150 Euro. Den Unternehmern dagegen beschert der Zucker seit dem Bioethanol-Boom riesige Profite. Seit sie in Kooperativen »ausgelagert« wurden, gelten die Arbeiter als Selbstständige ohne Anspruch auf jedwede Art von Sozialleistung. Sie werden nach »Marktpreisen« bezahlt, die von den Plantagenbesitzern diktiert werden. Für Kris Lengert ist das eine moderne Art der Sklaverei.

Der Streik hat inzwischen nahezu die gesamte Zuckerproduktion des Landes lahm gelegt. Dies ist für die Regierung besonders ärgerlich, da sie selbst die Produktion von Bioethanol massiv gefördert und die Zuckerindustrie zu einem wichtigen Wirtschaftszweig Kolumbiens ausgebaut hat. Dass nun internationale Beobachter ausgewiesen und unter Guerillaverdacht gestellt werden, sei eine neue Dimension, sagt Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Bisher hatte der Staat die Neutralität der Beobachter weitgehend anerkannt.

Die Kolumbienkampagne Berlin reagierte prompt auf die brisanten Entwicklungen der letzten Wochen. Nach ihrem Besuch bei der kolumbianischen Botschaft und einer umfassenden E-Mail-Aktion, die sich an die kolumbianischen Behörden richtete, erhält das Auswärtige Amt (AA) am heutigen Mittwoch einen von zahlreichen Personen und Organisationen unterzeichneten offenen Brief. Darin wird das AA aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Bogotá Garantien und Rechtssicherheiten für den Aufenthalt und die Arbeit von Ausländern in Kolumbien gibt und die Ausweisung Friederike Müllers zurücknimmt.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2008


Präsident Uribe kriminalisiert Solidarität **

Friederike Müller: Reaktion der Regierung zeigt, wie wichtig Beobachtung ist Mit Friederike Müller, die sich seit ihrer Ausweisung aus Kolumbien in Peru aufhält, sprach für ND (Neues Deutschland) Markus Plate.

ND: Wie kam es zu Ihrer Ausweisung?

Friederike Müller: Am 1. Oktober bin ich nach Cali gefahren. Ich hatte vor, dort zwei Wochen zu bleiben, um zwei Organisationen unseres Netzwerks zu begleiten. In der Region herrscht ein erbitterter Arbeitskampf der Zuckerplantagenarbeiter, die vom Netz unterstützt werden. Am Tag meiner Ankunft gab es einen Demonstrationszug der Zuckerarbeiter und ihrer Unterstützer und Unterstützerinnen. Ich habe Fotos gemacht und den Demonstrationszug die ganze Zeit beobachtet. Nach den Kundgebungen im Zentrum Calis hatten wir uns schon von der Demonstration entfernt, als ich von drei Männern in Zivil, die sich als Beamte der kolumbianischen Geheimpolizei DAS zu erkennen gaben, aufgefordert wurde mitzukommen. Gegen 17 Uhr kamen wir in der Einrichtung des DAS an, wo man mir gegen 20.30 Uhr eröffnete, dass ich die Nacht über bleiben müsse, ohne die Möglichkeit, einen Anwalt zu kontaktieren. Erst um 10.30 Uhr am nächsten Morgen hat mir mein Anwalt dann gesagt, dass der DAS dabei sei, meine Ausweisung vorzubereiten. Ich war schockiert, habe auch angefangen zu weinen, weil mir das einfach als eine wahnsinnig heftige Maßnahme erschien. Dann ging alles ganz schnell: Ich wurde von Beamten im Flugzeug nach Bogotá gebracht, dort traf ich noch Kollegen und Kolleginnen vom Netzwerk, die schnell meine Sachen zusammengepackt hatten, und dann saß ich schon im Flugzeug nach Peru.

Sie sehen einen Zusammenhang zwischen Ihrer Ausweisung und dem Streik der Zuckerarbeiter?

Meine Ausweisung hat in jedem Fall mit dem Streik zu tun. Denn eine Woche später wurden zwei Franzosen ausgewiesen, die einen Dokumentarfilm über die Situation der Zuckerarbeiter drehen wollten. Für die kolumbianische Regierung scheint der Zucker-Konflikt unheimlich kritisch zu sein, sie wollen da offenbar auf keinen Fall internationale Beobachter haben, die Informationen ins Ausland verbreiten.

Kurz nach Ihrer Ausweisung äußerte Präsident Uribe, Sie seien mit der Guerilla verbunden und hätten zur Gewalt aufgerufen...

... und dass man mich besser ins Gefängnis geworfen hätte. Das ist eine für den kolumbianischen Staat typische Reaktion, Menschenrechtsaktivisten und die sozialen Bewegungen in Verbindung mit der Guerilla zu stellen und sie damit zu kriminalisieren und zu illegalisieren. Das Gleiche machen sie auch mit den streikenden Zuckerarbeitern, um alle militärischen Maßnahmen gegen sie zu rechtfertigen. Dazu passt, dass das Red de Hermandad y Solidaridad ungefähr eine Woche nach meiner Ausweisung eine Morddrohung von Paramilitärs erhalten hat, in der alle Organisationen des Netzwerks, auch die Kolumbienkampagne Berlin, aufgeführt und zum militärischen Ziel erklärt wurden. All das gefährdet sehr die internationale wie auch die nationale Menschenrechtsarbeit.

Ich denke, dass sich die wiederholten Fälle von Ausweisungen in der Region Cali auf die Menschenrechtsarbeit im ganzen Land auswirken werden. Natürlich sind das Einschüchterungsversuche, vor allem wenn der Präsident dann auch noch im Fernsehen erklärt, diese Beobachter seien Kriminelle, die im Gefängnis sitzen sollten. Im Moment müssen wir alle sehr vorsichtig sein, was die Menschenrechts- und Beobachterarbeit fürchterlich behindert.

Und was bedeutet das für Sie persönlich?

Neulich bei einer nächtlichen Busfahrt hier in Peru hatte ich plötzlich Angst, der Mann neben mir könnte ein Geheimagent aus Kolumbien sein (lacht). Also, ein bisschen ist da wohl geblieben von der ganzen Geschichte in Kolumbien. Ansonsten hat meine Ausweisung eher das Gegenteil dessen bewirkt, was die kolumbianischen Behörden vielleicht damit erreichen wollten: nämlich meine Absicht zu erschüttern, Menschenrechtsbeobachtungen anzustellen. Im Grunde hat mir das noch viel mehr vor Augen geführt, wie schlecht es um die Respektierung der Menschenrechte in Kolumbien bestellt ist, aber wie wichtig diese Arbeit auch in allen anderen Ländern dieser Welt ist.

** Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2008


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