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"Uribe hat die kriminellen Banden legalisiert"

In Kolumbien versucht eine "Bewegung der Opfer", Widerstand gegen das Regime aufzubauen. Ein Gespräch mit Alfonso Castillo

Alfonso Castillo> ist Mitglied der »Bewegung der Opfer von staatlichen Verbrechen« in Kolumbien. Im Parteivorstand der Kommunistischen Partei Kolumbiens ist er zuständig für Genozidfragen.



Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe ist der engste Verbündete der USA in Lateinamerika. Nun feiern ihn aber international auch einige Liberale dafür, daß er angeblich die Paramilitärs unter Kontrolle gebracht und das Land einigermaßen befriedet hat. Sehen Sie das auch so?

Keineswegs – Uribe hat die Paramilitärs nämlich nicht abgeschafft, sondern er hat diese kriminellen Banden mehr oder weniger legalisiert. Außerdem hat er ihre Verbrecher straffrei gestellt. Das Schlimmste ist aber, daß es nie eine wirkliche Entwaffnung dieser Gruppen gegeben hat. Sie wurden von der Regierung einfach umbenannt in »Drogenbanden«. Das hört sich zwar abwertend an – sie können aber weiterhin machen, was sie wollen. Die Morde an Zivilisten gehen also weiter.

Man sollte nicht vergessen, daß die Paramilitärs nicht etwa der Bekämpfung der FARC-Guerilla dienen. Ihre Aufgabe in den zwei Jahrzehnten ihrer Existenz war es immer, die Bevölkerung einzuschüchtern und die soziale Bewegung zu zerschlagen. Sie sind verantwortlich für ungezählte Massaker, die sie immer dort begingen, wo sich Widerstand gegen das Regime regte. Leider ist es diesen gut bewaffneten Gruppen gelungen, die sozialen Organisationen und die Gewerkschaften in Kolumbien weitgehend zu zerschlagen und zu isolieren. Die Paramilitärs sind ausgezeichnet ausgebildet und werden von den Drogenkartellen unterstützt. Natürlich auch vom Staat. In den vergangenen 15 Jahren haben sie 3 500 Gewerkschaftsführer ermordet, etwa ebenso viele mußten ins Ausland fliehen.

Versuchen Sie mit der »Bewegung der Opfer von staatlichen Verbrechen«, den sozialen Widerstand in Kolumbien neu aufzubauen?

So kann man es sehen. Es ist uns gelungen, einige politische Initiativen auf den Weg zu bringen. Die zielen auf Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und eine Garantie ab, daß sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Wir treten für die Rechte der Opfer von staatlichen Verbrechen ein.

International wird Uribe vielfach gelobt. Wie stehen Sie dazu?

Diese Regierung ist kriminell. Sie ist mit dem Drogenhandel verbandelt und bereit, weiterhin Menschenrechte zu mißachten, um die Interessen der herrschenden Klasse der Landbesitzer und der transnationalen Konzern zu verteidigen.

Welche Resonanz hat Ihre Bewegung in der Bevölkerung Kolumbiens?

Wir haben eine Strategie zur Verteidigung der Interessen der Opfer staatlicher Verbrechen entwickelt. Im März 2008 sind Millionen Menschen unserem Aufruf zu Protesten gefolgt – sowohl in Kolumbien selbst als auch im Ausland.

Will sich die Bewegung an den Wahlen im kommenden Jahr beteiligen?

Erst einmal ist das anstehende Referendum wichtig. Uribe ruft dazu auf, für eine Verfassungsänderung zu stimmen, damit er zum dritten Mal Präsident werden kann. Unsere Bewegung, soziale Organisationen und die politische Linke hingegen fordern die Bevölkerung zum Boykott dieser Abstimmung auf. Wir wollen das Referendum boykottieren, weil seine Ergebnisse mit Sicherheit manipuliert werden.

Davon unabhängig unterstützen wir bei den Parlamentswahlen im März die Kandidatur des »Demokratischen Pols«. Dabei ist uns aber auch klar, daß es unter der gegenwärtigen Regierung Kolumbiens keine fairen demokratischen Wahlen geben kann. Sie enthält uns die grundlegenden demokratischen Garantien vor.

Interview: Torge Löding (San José)

* Aus: junge Welt, 16. Oktober 2009


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