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Pazifistisch inmitten des Krieges

Im Cauca in Südkolumbien arbeitet die indigene Bevölkerung an einer friedlichen Zukunft

Von Knut Henkel, Toribío *

Cauca heißt einer der hart umkämpfen Verwaltungsbezirke im Süden Kolumbiens. Mitten im Krieg haben indigene Organisationen in den letzten Jahren wichtige Initiativen für den Frieden angestoßen. Mit Erfolg, denn die Regierung verhandelt seit ein paar Monaten mit ihnen.

CECIDIC steht in dicken Lettern auf dem Transparent, das die ganze Länge des zweistöckigen Backsteinbaus oberhalb von Toribío einnimmt. Toribío ist eine Kleinstadt im Verwaltungsbezirk Cauca und hat in den letzten Jahren traurige Berühmtheit erlangt. »In kaum einem anderen Ort Kolumbiens hat es so viele Anschläge und Gefechte gegeben wie hier«, sagt Ezequiel Vitonas Tálag, der Bürgermeister der Kleinstadt. Hohe Wangenknochen und bronzefarbene Haut deuten darauf hin, dass er der indigenen Minderheit Kolumbiens angehört. Die stellt rund um Toribío die Bevölkerungsmehrheit und hat in der Region, wo die FARC-Guerilla mit der kolumbianischen Armee um die Vorherrschaft kämpft, Bildungszentren wie CECIDIC aufgebaut.

Dort lernt der indigene Nachwuchs, wie eine friedliche Zukunft in der Region aussehen könnte. Das Zentrum, das aus mehreren Gebäuden besteht, ist eine »Fortbildung- und Forschungseinrichtung für die integrale Entwicklung der Gemeinde«. Einen Kontrapunkt zum gewalttätigen Alltag in der Region will man hier setzen, und Bürgermeister Tálag ist froh, dass es so etwas gibt. »Die Kinder wachsen doch mit Straßenkontrollen, verdächtigende Blicken, vorgehaltenen Waffen und immer wieder auch mit Gefechten auf«, klagt der Mann von Mitte Fünfzig. »Schauen sie sich doch einmal in Toribío um, Soldaten und zerbombte Häuser gibt es zuhauf.«

Auf dem Marktplatz der Stadt patrouillieren schwer bewaffnete Polizisten, die anders als in anderen Ländern auch mit Granatwerfern ausgestattet sind. An der Landwirtschaftsbank am unterem rechten Ende des Platzes werkeln Bauarbeiter, um die Schäden einer Explosion zu beseitigen.

Zerbombte Häuser gibt es quasi in jeder Ecke des Platzes. Besonders schlimm wird es rund um die Polizeiwache der 4000-Einwohner- Stadt. Die gleicht einer Festung und ist umgeben von einem runden Dutzend skelettierter Gebäude. Teilweise stehen nur noch die Eckpfeiler – die Wände hat die Druckwelle der aus Gasflaschen fabrizierten Bomben der Guerilla weggesprengt. Alltag in Toribío, wo der Krieg seit Jahren kaum Pause macht.

»Die Stadt hat strategische Bedeutung und die FARC ist hier seit 1964 präsent, die Armee erst wieder seit 2005«, erklärt der Bürgermeister die Situation. Beide Seiten belauern sich. Vor der Polizeistation sind Hindernisse aufgebaut und Wachposten beobachten in mit Sandsäcken geschützten Unterständen die weiter oben liegenden Waldstreifen. Dort werden die Kämpfer der Guerilla vermutet, die schon ganze mit Sprengzylindern gefüllte Busse auf die Polizeistation gelenkt haben. Die steht immer noch und der diensthabende Offizier, Capitán Cañon, tüftelt an Plänen, um neuen Angriffen der Guerilla Paroli zu bieten.

Davon hält man oben im Bildungszentrum CECIDIC wenig. »Die Militarisierung hat nur mehr Kämpfe und noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung gebracht«, kritisiert Marcos Yule Yatacue. Er ist der Gouverneur des indigenen Schutzgebiets von Toribío, das kurz hinter der Stadtgrenze beginnt. Dessen Grenzen werden allerdings weder von den staatlichen Ordnungskräften noch der Guerilla akzeptiert, obwohl die Rechte der indigenen Minderheit in der Verfassung verankert sind. »Es ist nicht unser Krieg, wir wollen, dass unsere Neutralität akzeptiert wird, aber das ist bis heute nicht der Fall«, erklärt der kleingewachsene Mann und lässt – um seinem Protest Nachdruck zu verleihen – den Stock auf den Holzboden poltern. Die mit Silber beschlagenen und mit roten, gelben und grünen Bändern verzierten Stöcke erhalten nur die Führer des Volkes und die treten seit Jahren für den Frieden ein.

Bei Zusammenkünften, den Mingas, Märschen und eben auch mit der Räumung von Militärposten wie jenem auf dem »Alto de Berlín« wurde die Demilitarisierung der Region gefordert. Der »Alto de Berlín«, ein Berg nur wenige hundert Meter vor Toribío, wo die Armee ihre Sendemasten montiert hat, ist ein heiliger Ort. Und so haben die Nasa den dortigen Militärposten vor ein paar Monaten aus Protest gegen die hemmungslose Militarisierung der Region demontiert. Daraufhin hat die Regierung in Bogotá Verhandlungen mit deren Vertretern zugestimmt. Ein Fortschritt für Marcos Yule Yatacue, denn erstmals sind es Minister, die seit August 2012 mit den Vertretern der CRIC und der ACIN, der beiden wichtigsten indigenen Organisationen der Region, verhandeln. Dabei geht es um die Rechte der Minderheit, denn in deren Territorien spielt sich der Krieg ab, sagt Gouverneur Yatacue.

Bei Protestmärschen haben die Nasa gemeinsam mit anderen indigenen Ethnien immer wieder auf die verzweifelte Lage in den Resguardos, den Reservaten, aufmerksam gemacht. Auch gegen bewaffnete Kräften, seien es Soldaten oder Guerilleros, sind die Guardias Indigenas, die indigenen Wächter, vorgegangen, um Unrecht zu verhindern. Erfolgreich, wie viele Aktionen zeigen. Längst sind die Mingas, die Zusammenkünfte und gemeinsamen Märsche, um den Widerstand gegen den Krieg auf die Straße zu bringen, landesweit bekannt. Dabei gilt der Cauca und vor allem der nördliche Teil des Bezirks als Laboratorium des Friedens, wie der Vizedirektor der Organisation Tierra de Paz, Fidel Martínez, betont. Die gute Organisation, die klaren Konzepte und die Hartnäckigkeit, mit der die Minderheit gegen den Krieg agiert, trotz Dutzender von Toten binnen weniger Monate, hat ihnen landesweit Respekt verschafft, bestätigt der populäre Menschenrechtsaktivist Iván Cepeda Castro, der als Abgeordneter im Parlament in Bogotá arbeitet.

Die Grundlagen für die friedfertigen Aktivitäten werden in Zentren wie dem CECIDIC bei Toribío gelegt. Einer der geistigen Väter für die Rückbesinnung auf das Eigene war Alberto Ulcué, der erste indigene Priester in der Region. Bei ihm sind viele der Wortführer von CRIC und ACIN in die Schule gegangen und haben sich mit dem Virus des friedlichen Widerstands infiziert, wie es Yatacue formuliert. Ulcué gilt als treibende Kraft des Organisationsprozesses der Nasa, der Anfang der 70er begann. Seitdem haben sich CRIC und ACIN zu wichtigen Sprachrohren der indigenen Minderheit in Kolumbien entwickelt und ihre Aktivitäten systematisch ausgeweitet. Allerdings ohne den charismatischen Priester, der wie viele andere 1984 ermordet wurde.

Gleichwohl hat Ulcué viel dazu beigetragen, die Identität der Nasa zu erhalten. Eigene Landwirtschaftsprogramme gehören genauso dazu wie ein Internetradio und -fernsehen, das in Popayán, der Hauptstadt der Region, produziert wird. In den Sendungen, die auch am CECIDIC zu empfangen sind, wird regelmäßig über die Verhandlungen zwischen der Regierung und den indigenen Organisationen berichtet, die mit dem Besuch von Präsident Juan Manuel Santos am 15. August in einem Reservat nahe Popayán begannen. Damals hat der Präsident Kolumbiens sich bei der Minderheit öffentlich für das Unrecht entschuldigt und sie eindringlich aufgefordert, bei der Befriedung des Konflikts mitzuwirken. Doch eine Einladung nach Havanna hat es für die indigenen Vertreter noch nicht gegeben, kritisiert Marcos Yule Yatacue. »Man muss die Opfer hören und endlich Konzepte für das Leben entwickeln und nicht für den Krieg.« In den weitläufigen Backsteingebäuden des CECIDIC stehen derartige Konzepte seit der Gründung auf dem Stundenplan.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. Februar 2013


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