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Drama um Geiselfreilassung in Kolumbien: Ein politisches Possenspiel?

FARC verschob Übergabe von Geiseln - Verwirrung um den dreijährigen Emmanuel

Im Folgenden dokumentieren wir - in chronologischer Folge - ein paar Artikel zur zwischen den Jahren angekündigten, dann aber wieder abgesagten Geiselfreilassung aus der Hand der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC.



"Operación Transparencia" ist angelaufen

Die Freilassung erster Geiseln in Kolumbien scheint bevorzustehen / Wann folgt Ingrid Betancourt?

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *


Eine internationale Aktion zur Freilassung von drei Geiseln der kolumbianischen Guerilla FARC möglicherweise schon an diesem Freitag (28. Dez. 2007) ist angelaufen.

Die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner hat ihren Amtsvorgänger und Ehemann auf Auslandseinsatz geschickt. Am Donnerstag (27. Dez.) flog Néstor Kirchner gemeinsam mit Außenminister Jorge Taiana von Buenos Aires nach Caracas. Wenn alles klappt, wird die Landung in der venezolanischen Hauptstadt nur ein Zwischenstopp sein. Weiter geht der Flug nach Kolumbien, wo Kirchner und andere »Garanten« drei Geiseln der linken Guerillaorganisation FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) in Empfang nehmen sollen.

Die kolumbianische Regierung hatte am Mittwoch dem Plan Venezuelas zugestimmt, die drei Entführten mit venezolanischen Flugzeugen und Hubschraubern abzuholen. Die notwendige Landeerlaubnis wurde zugesichert. In einer Fernsehrede versprach Kolumbiens Außenminister Fernando Araújo die Unterstützung seiner Regierung für die »bedingungslose Freilassung« der Geiseln. Einzige Bedingung der Regierung in Bogotá ist, dass die Maschinen das Zeichen des Internationalen Roten Kreuzes tragen.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte seinen Plan für die »Operación Transparencia« zuvor ausführlich auf einer von allen wichtigen Nachrichtenkanälen Lateinamerikas ausgestrahlten Pressekonferenz vorgestellt. »Kleine, aber schnelle Flugzeuge und Hubschrauber stehen startbereit«, sagte Chávez. Sie könnten von einem Flugplatz im Südwesten Venezuelas zu der rund 100 Kilometer von Bogotá entfernten Stadt Villavicencio fliegen. Von dort sollten die Hubschrauber an den von den FARC bestimmten, noch geheimen Ort der Übergabe geleitet werden. Mit den Geiseln an Bord könnten sie nach Venezuela zurückkehren. Chávez’ Fazit: Es fehle nur noch die Landeerlaubnis aus Kolumbien. Da der venezolanische Präsident zuvor seine Amtskollegen in Frankreich, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Kuba und Argentinien um Unterstützung gebeten hatte, blieb dem kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe nur die Wahl zwischen Isolation und Zustimmung.

Bei den drei Geiseln handelt es sich um zwei Frauen und ein dreijähriges Kind. Dessen Mutter, Clara Rojas, war am 23. Februar 2001 entführt worden. Rojas leitete den Wahlkampf der ebenfalls entführten ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Seit einem Jahr ist bekannt, dass Rojas in der Geiselhaft einen Jungen zur Welt gebracht hat. Vater soll einer der Guerilleros sein. Der jetzt etwa drei Jahre alte Emmanuel soll gemeinsam mit seiner Mutter freikommen. Die dritte Person ist die 57-jährige ehemalige liberale Parlamentsabgeordnete Consuelo González, die am 10. September 2001 entführt worden war.

In Caracas wartete man am Donnerstag auf die Ankunft der ausländischen »Garanten«, wie sie offiziell genannt werden. Außer Néstor Kirchner und Jorge Taiana waren Frankreichs Botschafter in Caracas und ein Berater des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva im Gespräch, darüber hinaus Vertreter Ecuadors, Boliviens, Kubas und des Internationalen Roten Kreuzes.

Hugo Chávez selbst wollte nicht nach Kolumbien fliegen. Dessen Präsident Álvaro Uribe hatte ihm vor gut fünf Wochen das Mandat für Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln aus der Hand der Guerilla entzogen. Die venezolanische Regierung hatte daraufhin die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland auf Eis gelegt. Chávez schimpfte Uribe einen »Verräter« und »Lakaien des USA-Imperiums«.

Die FARC demonstrierten dagegen ihre Unterstützung für Chávez’ Vermittlungsbemühungen: Am 9. Dezember kündigten sie in einem Kommuniqué die Freilassung der drei Geiseln an – gleichsam als Vorleistung.

Sollte die Operation erfolgreich verlaufen, könnte auch die Freilassung Ingrid Betancourts näher rücken, gab Hugo Chávez sich zuversichtlich. »Ihr Gesundheitszustand ist nicht ernst. Wir glauben, es geht ihr gut«, sagte der venezolanische Präsident. Die ehemalige kolumbianische Präsidentschaftskandidatin, die auch französische Staatsbürgerin ist, war am 23. Februar 2002 entführt worden und befindet sich seither in der Hand der FARC. Die Guerilla hatte sich grundsätzlich bereit erklärt, 45 Geiseln freizulassen. Im Gegenzug sollte die kolumbianische Regierung mehr als 400 inhaftierte Rebellen entlassen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2007


Humanitäre Operation im Urwald

Bogotá/Caracas: Kolumbien stimmt Chávez-Plan zur Freilassung von Gefangenen der FARC-Guerilla zu

Von Timo Berger **


Am heutigen Freitag (28. Dez.), spätestens aber am Wochenende, kommen – wenn alles nach Plan verläuft – drei Gefangene der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) frei. Die Regierung in Bogotá stimmte am Mittwoch einer Initiative von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez zu, die die Übergabe der drei Zivilisten im Rahmen einer internationalen »humanitären Operation« vorsieht. Chávez erklärte, Vertreter von acht Ländern, darunter Frankreich, Kuba, Brasilien und Argentinien, und des Internationalen Roten Kreuzes würden mit venezolanischen Flugzeugen in die kolumbianische Stadt Villavicencio, etwa hundert Kilometer von Bogotá entfernt, gebracht werden. Von dort aus sollen Hubschrauber zum – von der FARC bestimmten – noch geheimen Übergabeort im Urwaldgebiet starten. Nach der Freilassung würden die Gefangenen nach Caracas gebracht und ihren Familie übergeben, so Chávez weiter. Unter den »Garanten«, die vor Ort den Erfolg der Aktion sichern sollen, wird auch der frühere argentinische Präsident Néstor Kirchner sein.

Man bedanke sich bei der Regierung Venezuelas für die Vermittlung, erklärte der kolumbianische Außenminister Fernando Araujo am Mittwoch. Chávez hatte Bogotá zuvor um Erlaubnis zur Ausführung der Operation gebeten. Kolumbiens rechtsgerichteter Präsident Álvaro Uribe hatte Chávez erst Mitte November das Mandat für Bemühungen um die Freilassung von FARC-Gefangenen entzogen. Die Guerilla teilte aber wenig später mit, sie wollte aus Solidarität mit Chávez drei langjährige Gefangene freilassen. Dabei handelt es sich um die Wahlkampfchefin der vor sechs Jahren entführten damaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, Clara Rojas. Freikommen soll auch Rojas dreijähriger Sohn Emmanuel, sowie die ehemalige Senatorin Consuelo González.

Chávez äußerte die Hoffnung, daß er zu einem späteren Zeitpunkt auch die Freilassung von Ingrid Betancourt werde erreichen können: »Wir werden versuchen, auch den Rest (der Gefangenen) freizubekommen und den Friedensprozeß voranzubringen.« Allerdings sei dies »eine Frage des Willens«, erklärte er und bemängelte, daß derzeit in Kolumbien »auf seiten der Regierung« kein Willen dazu bestehe. Die FARC hatte kürzlich mitgeteilt, sie sei bereit, bis zu 50 Gefangenen freizulassen – darunter neben Betancourt auch drei US-Bürger. Im Austausch müßten rund 500 FARC-Mitglieder auf freien Fuß gesetzt werden.

** Aus: junge Welt, 28. Dezember 2007


Prestigeerfolg für Chávez

Von Martin Ling ***

Der Vollzug steht noch aus, doch die Zweifel sind minimal: Die Freilassung der ersten drei Geiseln durch die kolumbianische Guerilla FARC steht unmittelbar bevor. Es wäre ein großer diplomatischer Erfolg für Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez .

Dabei standen Chávez' Vermittlungsbemühungen zuletzt unter keinem guten Stern. Erst Ende November hatte ihm sein kolumbianischer Amtskollege Álvaro Uribe Vélez das Mandat entzogen, weil sich Chávez nicht an Absprachen gehalten habe. Nun war Uribe gezwungen, der Geiselfreilassung seine Zustimmung zu geben, obwohl Chávez offensichtlich auch ohne Verhandlungsmandat sich weiter um einen Geiselaustausch bemüht hatte. Ein klarer Sieg für Chávez gegen Uribe, den er nach dessen Vertrauensentzug als »Lügner« und »Handlanger des Imperialismus« gebrandmarkt hatte. Nun bat er im Wissen um seine guten Karten höflich um Uribes Plazet und dem blieb nichts anderes übrig, als nicht den Spielverderber zu markieren.

Auf dem Spiel steht einiges: Mit der Freilassung würde die FARC ein deutliches Zeichen ihrer Verhandlungsbereitschaft abgeben. Doch der seit 40 Jahren andauernde Bürgerkrieg hat seine Wurzeln in extremer sozialer Ungleichheit und lässt sich ohne grundlegende gesellschaftliche Reformen nicht beenden. Wenn sich Uribe und Kolumbiens Elite nicht bewegen, wird die Geiselfreilassung perspektivisch verpuffen.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. Dezember 2007 (Kommentar)


Kolumbiens Armee blockiert Geisel-Freilassung

FARC-Guerilla verschob Übergabe nach Militäraktionen / USA-Interesse an Destabilisierung

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires ****


Die geplante Freilassung von drei Geiseln in Kolumbien ist offenbar gescheitert. Die linksgerichtete Guerillaorganisation FARC (»Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens«) hatte eine Verschiebung der Geiselübergabe angekündigt.

»Herr Präsident, die intensiven und sich ausbreitenden Militäroperationen in dem Gebiet (der möglichen Übergabe) machen es uns unmöglich, ihnen Clara Rojas, Emmanuel und Consuelo González zu übergeben«, zitierte der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Montag aus dem Schreiben der Guerilla mit Datum des 30. Dezembers 2007. Chávez hatte bereits tags zuvor vor »Störaktionen« der kolumbianischen Streitkräfte gewarnt, die die Übergabe hinausschieben oder gar zum Scheitern bringen könnten. Vor allem die USA seien daran interessiert, dass die Aktion nicht gelinge. »Sie haben Spione, Flugzeuge. Sie wollen die Destabilisierung und den Krieg«, so der venezolanische Präsident.

Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe war am Montag überraschend nach Villavicencio gereist. Hier wartete die internationale Kommission mit Vertretern aus Argentinien, Brasilien, Frankreich, Ecuador, Bolivien, Kuba und der Schweiz auf eine Weiterführung der Aktion. »Es gab keine Kampfhandlungen in dieser Region«, versicherte Uribe bei seiner Ankunft in dem Ort, der rund 90 Kilometer südöstlich von Bogotá liegt. Zudem erklärte er sich bereit, einen »strategischen Korridor« für die Geiselfreilassung einzurichten. Zuvor hatte er sich mit US-Präsidenten George W. Bush abgesprochen, den er auf dessen texanischen Ranch per Telefon über den neuesten Stand der Freilassungsaktion informierte.

Für zusätzliche Verwirrung sorgte Uribe, als er erklärte, der dreijährige Emmanuel sei nicht mehr in der Gewalt der Guerilla, sondern halte sich wahrscheinlich in einem staatlichen Waisenhaus in Kolumbien auf. Die FARC sind auf der Suche nach dem dreijährigen Emmanuel, so Uribe. Uribe forderte die Großmutter des Jungen auf, sich einem DNA-Test zur Verfügung zu stellen.

Bei den Entführten, die freikommen sollen, handelt es sich um die 2002 verschleppte Clara Rojas und ihren in der Geiselhaft geborenen Sohn Emmanuel (3). Die heute 44-jährige Rojas war Wahlkampfleiterin der ebenfalls entführten ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Die 57-jährige Parlamentarierin Consuelo González soll ebenfalls freigelassen werden. Die Politikerin wurde 2001 verschleppt.

Für Hugo Chávez diente der Auftritt Uribes nur zur Zündung einer »Rauchbombe«. Warum kommt er erst am Montag mit dieser Geschichte nach Villavicencio, fragte Chávez von Caracas aus seinen Amtskollegen. Die Vertreter der internationalen Kommission haben jedoch ihre Abreise aus Villavicencio angekündigt. Argentiniens ehemaliger Präsident Néstor Kirchner gab seine Heimreise nach Buenos Aires bekannt.

Das Verhältnis zwischen Álvaro Uribe und Hugo Chávez hat sich durch die jetzige Situation weiter verschlechtert. Uribe hatte sich noch Ende August mit den Vermittlungsbemühungen seines Amtskollegen zur Freilassung von Geiseln aus der Hand der Guerilla einverstanden erklärt, ihm aber am 21. November weitere Verhandlungen mit der FARC verboten.

Die venezolanische Regierung hatte daraufhin die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland auf Eis gelegt. »Ich lege die Beziehungen zu Kolumbien in eine Tiefkühltruhe«, so Chávez. Er schimpfte Uribe einen »Verräter« und »Lakaien des US-Imperiums«. Die FARC demonstrierten dagegen ihre Unterstützung für die Vermittlungsbemühungen von Chávez: Am 9. Dezember kündigten sie in einem Kommuniqué die Freilassung der drei Geiseln an – gleichsam als Vorleistung.

**** Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2008

Kind von Geisel nicht in Händen von Guerilleros

Freitag, 4. Januar

Ein DNA-Test in Kolumbien hat ergeben, dass der dreijährige Emmanuel Roja nicht in der Gewalt linksgerichteter Guerilleros ist, sondern sich unter einem anderen Namen in der Obhut von Pflegereinrichtungen in Bogota befindet. Das Ergebnis des Tests, das die Behörden am Freitag (4. Januar 2008) bekanntgaben, stützt die Behauptung von Präsident Alvaro Uribe, dass die Guerilleros die Öffentlichkeit an der Nase herumführen wollten, als sie die Freilassung des Jungen versprachen. Anzeige

Der Vater des kleinen Emmanuel soll ein Guerillero sein, seine Mutter Clara Rojas war als Beraterin der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt tätig und wurde mit dieser gefangen genommen. Bei der dritten Geisel, die freigelassen werden sollte, handelt es sich um die ehemalige Abgeordnete Consuelo Gonzalez. Die geplante Freilassung unter Vermittlung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez war aber an Silvester nicht zustande gekommen.

Die Guerilleros beschuldigten die kolumbianischen Streitkräfte, die vorgesehene Übergabe zu sabotieren. Uribe wies dies als Lüge zurück. Seine Regierung habe Venezuela und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz jede Garantie gegeben, dass die Übergabe nicht behindert werde.

Quelle: Nachrichtenagentur AP, 4. Januar 2008

Kind von Geisel nicht in Händen der Guerilla

FARC bestätigt nach DNA-Test, dass sich der dreijährige Sohn der entführten Clara Rojas in einem Waisenhaus befindet

Bogota - Die kolumbianische Rebellenorganisation FARC hat bestätigt, dass der Sohn der Geisel Clara Rojas sich in einem Waisenhaus in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota befindet. Emmanuel sei in ein Waisenhaus gebracht worden, um ihn vor möglichen Angriffen zu schützen, hieß es am Freitag (Ortszeit) in einer Mitteilung der FARC, wie die Nachrichtenagentur Bolivariana de Prensa berichtete.

Generalstaatsanwalt Mario Iguaran hatte bereits zuvor mitgeteilt, dass DNA-Tests bei dem Dreijährigen sowie der Mutter und dem Bruder von Rojas eine große Übereinstimmung ergeben hätten.

Der Vater des kleinen Emmanuel soll ein Guerillero sein, seine Mutter Clara Rojas war als Beraterin der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt tätig und wurde mit dieser gefangen genommen. Bei der dritten Geisel, die freigelassen werden sollte, handelt es sich um die ehemalige Abgeordnete Consuelo Gonzalez. Die geplante Freilassung unter Vermittlung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez war aber an Silvester nicht zustande gekommen. (...)

Quelle: Der Standard (Wien), 5. Januar 2008 (online-Ausgabe)




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