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Warnung vor Krieg

Venezuelas Staatschef alarmiert vor möglichem Konflikt mit Kolumbien

Von Harald Neuber *

Die anhaltenden Spannungen zwischen Venezuela und Kolumbien könnten in eine militärische Auseinandersetzung münden. Das erklärte Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Samstag (26. Januar) am Rande des Gipfeltreffens der »Bolivarischen Alternative für Amerika« (ALBA) in Caracas. Zugleich warf er den Regierungen Kolumbiens und der USA vor, eine solche Entwicklung zu provozieren: »Das nordamerikanische Imperium schafft die Grundlagen für einen bewaffneten Konflikt zwischen Kolum­bien und Venezuela«. Die Beziehungen zwischen den beiden südamerikanischen Staaten haben einen Tiefpunkt erreicht, seit Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe seinem Amtskollegen Chávez Ende vergangenen Jahres das Mandat für Vermittlungen mit linksgerichteten Guerillaorganisationen in seinem Land entzogen hat. Uribe wirft Chávez eine ideologische Nähe zu den Gruppen vor. Venezuelas Staatschef beschuldigt die Regierung Uribe indes, mit ihrer aggressiven Kriegspolitik gegen die Rebellen den Frieden in der gesamten Region zu gefährden.

Die Warnung aus Caracas vor einer Eskalation der Krise folgte, nachdem in der vergangenen Woche mehrere ranghohe Vertreter von Armee und Regierung der USA nach Bogotá gereist sind, um von dort aus schwere Vorwürfe gegen Venezuela zu erheben. Zunächst war zu Beginn der Woche der Chef des US-Generalstabs, ­Michael Mullen, in Bogotá eingetroffen, um die venezolanischen Regierung als »Gefahr für die Stabilität in der Region« zu bezeichnen. Dann bezichtigte John Walters, der Chef der US-Antidrogenbehörde DEA, Chávez von der kolumbianischen Hauptstadt aus, den Drogenhandel in Südamerika zu begünstigen. Der Oberkommandierende der US-Truppen in Südamerika, Jim Stavridis, warf Venezuela vor, Waffen an die kolumbianische Guerilla zu liefern. Und schließlich reiste US-Außenministerin Condoleezza Rice nach Bogotá, um Präsident Uribe »den Rücken zu stärken«, wie sie gegenüber Pressevertretern erklärte.

Die auffällige Häufung der Angriffe provozierte in Caracas entsprechende Reaktionen. Während Venezuelas Vertreter in der Organisation Amerikanischer Staaten, Jorge Valero, bei der Regionalorganisation formell Protest gegen die »haltlosen Anschuldigungen« einlegte, merkte Präsident Chávez an, daß für die Anwürfe kein einziger Beweis vorgelegt wurde. »Es geht offenar nur darum, etwaige Aktionen von Kolumbien aus gegen Venezuela zu rechtfertigen«, sagte er, um auf die hohe Präsenz US-amerikanischer Militärs im Nachbarland zu verweisen. Auch der Chef der venezolanischen Antidrogenbehörde, Néstor Reverol, wies die Anschuldigungen seines US-Amtskollegen Walters zurück. Venezuela sei seit Jahren eines der Länder, in denen die meisten erfolgreichen Aktionen gegen Drogenschmuggel durchgeführt werden, sagte er. Die USA forderte er auf, das Thema nicht weiter politisch zu mißbrauchen. Venezuela hatte im vergangenen Jahr die Zusammenarbeit mit der US-Antidrogenbehörde aufgekündigt. DEA-Mitarbeiter hätten ihre Arbeit in Venezuela als Vorwand genutzt, um geheimdienstliche Strukturen aufzubauen, hieß es damals.

* Aus: junge Welt, 28. Januar 2008

Kritik an Kolumbiens Kriegstreiberei

Schwere Vorwürfe aus Venezuela gegen Bogota und Washington

Von Tommy Ramm, Bogotá **


Die politischen Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela scheinen trotz der kürzlichen Geiselfreilassung nicht zur Normalität zurückzukehren. Im Gegenteil: Hugo Chávez wirft dem Nachbarland nun Kriegstreiberei vor.

»Ich beschuldige die kolumbianische Regierung, eine Konspiration und einen bewaffneten Zwischenfall im Auftrag des Imperiums gegen Venezuela anzetteln zu wollen«, erklärte der venezolanische Präsident Hugo Chávez am Freitag in Begleitung des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega in Caracas. Dabei bezog sich Chávez auf Geheimdienstinformationen und auf die zahlreichen Besuche, die hochrangige Vertreter der USA-Regierung in den letzten Tagen Kolumbien abstatteten. So warf dort Washingtons Antidrogen-Zar John Walters Venezuela vor, nichts gegen den Drogenhandel zu unternehmen, vielmehr das illegale Geschäft zu unterstützen. Walters folgten der Generalstabschef der US-Streitkräfte Michael Mullen und am Donnerstag schließlich Außenministerin Condoleezza Rice, die der kolumbianischen Regierung die volle Unterstützung für ein Freihandelsabkommen zusagte. Alles kein Zufall, meinte Chávez am Samstag. Er warnte davor, dass das »nordamerikanische Imperium die Bedingungen für einen bewaffneten Konflikt zwischen den beiden südamerikanischen Ländern schafft« und Kolumbien als »Flugzeugträger« für militärische Aktionen gegen die Bolivarianische Revolution nutzen wolle.

Dem Nachbarland warf Chávez vor, deshalb eine Kampagne gegen ihn gestartet zu haben. Während Verteidigungsminister Manuel Santos erklärte, dass sich drei hochrangige Kommandeure der kolumbianischen FARC-Guerilla in Venezuela aufhielten, warf Vizepräsident Francisco Santos letzte Woche dem Bürgermeister der venezolanischen Stadt Maracaibo vor, die ebenfalls kolumbianische ELN-Guerilla materiell und logistisch zu unterstützen. Chávez wies die Beschuldigungen als Lüge zurück und warnte Santos davor, dass die angedeutete Bemühung um eine Verschleppung des Bürgermeisters vor die kolumbianische Justiz einer Kriegserklärung gleich käme. Schon Anfang 2005 hatte der kolumbianische Geheimdienst den damaligen »Außenminister« der FARC, Rodrigo Granda, ohne Wissen der Regierung in Caracas auf venezolanischem Territorium festgenommen, was zu einer diplomatischen Krise führte.

Nach der Freilassung von zwei entführten Politikerinnen in den Händen der FARC-Guerilla, die durch die Vermittlungen Venezuelas zustande kam, hatte Chávez kürzlich die internationale Gemeinschaft aufgefordert, den kolumbianischen Guerillagruppen wieder den politischen Status zuzugestehen und sie von der internationalen Terrorliste zu streichen. Doch nachdem die kolumbianische Regierung unter Präsident Uribe Vélez Widerstand gegen diese Initiative leistete und damit vor allem bei der EU punktete, riss Chávez abermals der Geduldsfaden. In seinem wöchentlichen Fernsehprogramm »Aló Presidente« nannte er Uribe einen »Feigling, Lügner und Mafioso«, der enge Verbindungen zu den Paramilitärs unterhalte. Eine Verbesserung der Beziehungen sei für ihn nicht abzusehen, solange Uribe an der Macht sei.

Bogotá reagierte zurückhaltend. Das hat seinen Grund: Seit den provokativen Äußerungen von Chávez macht sich in Kolumbien ein Patriotismus breit, dessen Gewinner zweifelsohne Uribe ist. Umfragen billigen ihm rekordverdächtige 80 Prozent Unterstützung zu, die Skandale um die Verwicklung politischer Anhänger und Familienangehöriger in den Paramilitarismus sind in den Hintergrund gerückt. Erste Folgen sind jedoch wirtschaftlich zu spüren. So hat Venezuela die Einfuhr von in Kolumbien montierten Autos gedrosselt, wodurch tausende Arbeitsplätze in Gefahr sind.

** Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2008




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