Millionenprotest gegen Entführungen
Regierung Kolumbiens lehnt trotz Massendemonstrationen einen Dialog mit der Guerilla ab
Von Tommy Ramm, Bogotá *
Seit Jahren haben in Kolumbien nicht mehr so viele Menschen demonstriert wie am vergangenen
Donnerstag. Hunderttausende säumten die Straßen der größten kolumbianischen Städte, um sich
für die Freilassung Tausender Entführter einzusetzen.
Pünktlich um zwölf Uhr mittags stand die kolumbianische Hauptstadt Bogotá für eine viertel Stunde
still. Während Tausende Menschen ihre Häuser oder ihren Arbeitsplatz verließen, um auf der Straße
weiße Tücher zu schwingen, tauchten die Autofahrer die Stadt in ein gellendes Hupkonzert. Im
Stadtzentrum versammelten sich Zehntausende Demonstranten, um eine mehrere Kilometer lange
Menschenkette zu bilden oder um an den vielen Demonstrationszügen teilzunehmen. Ähnlich
organisierten sich die Menschen in anderen Städten des Landes. Geschätzt wird, dass mehrere
Millionen Kolumbianer an den Protesten teilgenommen haben.
Zu den Demonstrationen aufgerufen hatten Provinzgouverneure, Bürgermeister, Medien und
Organisationen, die eine politische Lösung für die Freilassung Entführter fordern. Zwar ging die Zahl
der Verschleppungen in den letzten Jahren offiziell deutlich zurück. Aber nach wie vor befinden sich
mehr als 3000 Menschen in der Gewalt ihrer Entführer, viele von diesen länger als acht Jahre.
In den letzten zehn Jahren sollen mehr als 1200 Menschen unter den extremen Bedingungen der
Gefangenschaft oder durch Befreiungsaktionen der Armee ums Leben gekommen sein. Besonders
die Guerillagruppe der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) greift auf dieses Mittel
zurück, um entweder Lösegeld zu erpressen oder politischen Druck auszuüben. Auf das Konto der
FARC für politisch Verschleppte geht neben Dutzenden Politikern und Soldaten die Entführung der
ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, um deren Freilassung sich besonders die
französische Regierung bemüht.
Ausschlaggebend für die Massenproteste war der Tod von elf Provinzabgeordneten, die sich seit
mehr als fünf Jahren in den Händen der FARC befunden hatten. Ende Juni veröffentlichte die
Guerilla ein Kommuniqué, in dem sie den Tod der Politiker im Kreuzfeuer »nach Gefechten mit einer
unbekannten Gruppe« meldete.
Allerdings lässt die bisher ausgebliebene Übergabe der Leichen vermuten, dass die Politiker gezielt
durch die Guerilla ermordet wurden, die sich damit möglicherweise in ihrer Haltung radikalisiert hat.
Denn über mehrere Jahre bemühten sich die Familien der Entführten um eine Annäherung zwischen
der Regierung und der Guerilla, wobei die Rebellen von Bogotá eine entmilitarisierte Zone
verlangten. Dort sollte zumindest über einen Gefangenenaustausch zwischen beiden Seiten
verhandelt werden, da formelle Friedensverhandlungen zwischen dem rechtsorientierten
Präsidenten Alvaro Uribe Vélez und der FARC völlig aussichtslos erscheinen. Durch die einseitige
Freilassung von knapp 300 Rebellen Anfang Juni machte Uribe einmal mehr deutlich, dass
Gespräche mit der FARC für ihn nicht infrage kämen.
Um weitere Opfer zu verhindern, forderten nun Millionen eine Lösung für die Entführten. Während
sich einige nur für ein Ende der Verschleppungen einsetzten, drangen andere auf Verhandlungen
zwischen Regierung und Guerilla. »Die Demonstrationen sollen nicht gegen die FARC gerichtet
sein, sondern gegen diejenigen, die einen Gefangenenaustausch verhindern wollen«, erklärte
Yolanda Pulecio, Mutter von Ingrid Betancourt, die Uribe mehrfach wegen dessen sturer Haltung
kritisierte. »Uribe kann nicht taub gegen die Forderungen der Menschen regieren«, so Pulecio. Uribe
schloss sich zwar den Protesten an, forderte aber, dass diese ihren Schwerpunkt auf eine
Verurteilung der FARC zu legen hätten. Einer Annäherung mit der Guerilla erteilte er eine klare
Absage: »Die Regierung wird eine entmilitarisierte Zone suchen, im ganzen Land, entmilitarisiert und
befreit von den Terroristen.«
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2007
Machtlose Demonstranten
Von Martin Ling **
Es war ein eindrucksvolles Zeichen: Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer gingen am Donnerstag in allen Landesteilen auf die Straße, um gegen Entführungen zu protestieren und ein Ende des seit Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkrieges zu fordern. Ob diese machtvolle Demonstration Bewegung in den festgefahrenen Konflikt bringt, ist dennoch mehr als fraglich. Sicher, die Regierung und der Präsident Álvaro Uribe Vélez höchstselbst nahmen am Protesttag teil. Doch ihr Ziel war und ist es, die Rebellenbewegung FARC einseitig für Entführungen und Bürgerkrieg verantwortlich zu machen, um so den eigenen militärischen Feldzug legitimieren zu können.
Nur: Trotz großzügiger Militärhilfe der USA dürfte dieser Krieg nicht zu gewinnen sein. Der Bürgerkrieg hat seine Wurzeln in extremer sozialer Ungleichheit und lässt sich ohne grundlegende gesellschaftliche Reformen nicht beenden – schon gar nicht militärisch. Präsident Uribe leugnet diese Zusammenhänge komplett. Er leugnet auch, dass nur ein kleinerer Teil der 3000 derzeit Entführten auf das Konto der FARC geht, die damit ihren Krieg mitfinanziert und politische Verhandlungsmasse zu gewinnen trachtet. Doch Verhandlungen lehnt Uribe kategorisch ab. Seine Vorstellung eines befriedeten Kolumbiens ist das eines Kolumbiens der Friedhofsruhe, »befreit von den Terroristen«.
Ein Gutteil der Demonstranten teilt Uribes Auffassung, dass seine Sicherheitspolitik Investitionen und Wachstum fördert. Dabei wird die konfliktverschärfende Wirkung einschließlich zunehmender Entführungen übersehen. Schlechte Aussichten für ein friedliches Kolumbien.
** Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2007 (Kommentar)
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