Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kolumbien: Zweite Amtszeit für Präsident Álvaro Uribe Vélez - Was wurde aus der "Demobilisierung" der Paramilitärs?

Die von Uribe versprochene verbesserte öffentlichen Sicherheit lässt auf sich warten - Artikel und Interview mit Cecilia Naranjo Botero

Am 7. August 2006 trat der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez seine zweite Amtsperiode an. Lesen Sie dazu unseren ersten Artikel auf dieser Seite.
Im Anschluss daran dokumentieren wir ein Interview mit der Menschenrechtlerin und Ordensschwester Cecilia Naranjo Botero, geschäftsführende Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz. Thema: Ist mit der von der Regierung so angepriesenen Demobilisierung von rund 30.000 paramilitärischen Kämpfern tatsächlich ein bedeutender Schritt auf dem Weg zum Frieden erfolgt? Oder ist das bloße Propaganda?



Der kolumbianische Patient

Präsident Álvaro Uribe Vélez tritt seine zweite Amtszeit an

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Heute (7. August 2006) erlebt Bogotá die Feierlichkeiten zur Vereidigung des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez.

Nachdem in seiner ersten Amtsperiode die öffentliche Sicherheit an erster Stelle stand, will sich der rechtskonservative Präsident Kolumbiens nun mit neoliberalen Methoden um die Sanierung des Staatshaushalts kümmern.

Mehrere Bombenattentate in den letzten Tagen, verstärkte Straßenkontrollen und erhöhte Militärpräsenz in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá läuteten die neuerliche Amtseinführung des amtierenden Präsidenten Álvaro Uribe Vélez ein. Nicht nur ähnelt dieses Szenario den Geschehnissen im Jahre 2002, als durch mehrere Attacken der Guerilla mehr als 20 Menschen ums Leben kamen. Deutlich wird damit auch, dass es bis zu der damals von Uribe versprochenen verbesserten öffentlichen Sicherheit noch weit ist.

Vor vier Jahren katapultierte sich Uribe bereits im ersten Wahlgang in das höchste Staatsamt, nachdem er der Bevölkerung ein hartes, militärisches Durchgreifen gegen die linken Guerillagruppen versprochen und einen Frieden mit den rechten Paramilitärs in Aussicht gestellt hatte. Der Staat werde binnen weniger Jahre die Macht im ganzen Land zurückerobern, lautete Uribes Prognose. Er profitierte vom Verdruss der Bevölkerung über den kurz zuvor gescheiterten Friedensprozess mit der größten Guerilla des Landes, den Revolutionären Bewaffneten Streitkräften Kolumbiens (FARC). Nach der ersten Amtszeit fällt das Ergebnis jedoch nüchtern aus. Zwar militarisierte Uribe kostspielig weite Landesteile mit neuen Armeebataillonen, doch von einem Sieg gegen die Guerilla mag selbst er nicht mehr reden. Beobachter erklären, dass zwischen beiden Seiten in den letzten Jahren eine Pattsituation entstanden ist: Der Staat und die Armee seien an ihre Kapazitätsgrenze gelangt, bei der Guerilla setze sich dagegen mittlerweile die Gewissheit durch, dass sie militärisch nicht an die Macht gelangen kann. Der einzige Ausweg wären ernsthafte Friedensverhandlungen, die zwischen Uribe und der FARC-Guerilla allerdings unmöglich erscheinen. Begonnene Verhandlungen mit der kleineren Guerilla, dem Nationalen Befreiungsheer (ELN), auf Kuba sind über Absichtsbekundungen bisher nicht hinaus gekommen.

Stattdessen konzentrierte sich der Präsident auf einen Friedensschluss mit den rechten Paramilitärs der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC, der Anfang 2003 begann. Uribe versprach bis Ende 2005 eine vollständige Demobilisierung der Milizen, die im Kampf gegen die Guerilla eng mit der Armee zusammenarbeiten. Obwohl bisher mehr als 20 000 Kämpfer ihre Waffen abgegeben haben, sind nach wie vor mehrere AUC-Fraktionen im Land aktiv. Für harsche internationale Kritik sorgte der juristische Umgang mit den Paramilitärs, denen schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden. Sie haben trotz zahlloser Massaker nur mit geringen Haftstrafen von maximal acht Jahren zu rechnen, und die sollen die ehemaligen Kämpfer laut Regierungsplänen statt in normalen Gefängnissen auf Ländereien unter Bewachung absitzen dürfen. »Ein Beweis dafür, dass die Paras den Friedensprozess diktieren«, kritisierte José Miguel Vivanco von Human Rights Watch.

Für seine zweite Amtszeit kündigte Uribe, der am 28. Mai mit über 60 Prozent wiedergewählt wurde, mehr Engagement in wirtschaftlichen Bereichen an. Eine umfangreiche Steuerreform soll den Staatshaushalt sanieren. Sie sieht unter anderem eine Mehrwertsteuererhöhung für nahezu alle Produkte vor, die zur Grundversorgung gehören. Die Preissteigerungen werden vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten zu spüren bekommen. Im Gegenzug sollen die Einkommensteuern gesenkt werden, wovon die Niedrigverdiener wiederum am wenigsten haben. Neben einer Teilprivatisierung der wichtigen staatlichen Erdölfirma Ecopetrol, die den neoliberalen Kurs Uribes unterstreicht, will der Präsident in den kommenden Monaten einen Freihandelsvertrag mit den USA vom Kongress absegnen lassen. Widerstand ist kaum zu erwarten: Zwei Drittel des Senats und des Abgeordnetenhauses gehören der Uribe-Koalition an, die diesem in den kommenden vier Jahren freie Hand gewähren dürfte. Dass der kolumbianische Patient in dieser Zeit und mit diesen Rezepten genesen wird, ist auszuschließen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Aug. 2006


Die Demobilisierung der Paramilitärs ist eine Farce **

Nur Regierung Uribe redet in Kolumbien von einem Friedensprozess

Aus Sicht der Regierung ist mit der Demobilisierung von rund 30.000 paramilitärischen Kämpfern ein zentraler Schritt auf dem Weg zum Frieden erfolgt. Mit der Menschenrechtlerin und Ordensschwester Cecilia Naranjo Botero, geschäftsführende Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz, sprach für das "Neue Deutschland" Knut Henkel.

ND: Sie reisen regelmäßig zu den Friedensgemeinden in den Departments Chocó und Cauca. Sind die Paramilitärs Vergangenheit?

Cecilia Naranjo Botero: Nein. Am Tag der Präsidentenwahlen Ende Mai war ich beispielsweise in einem Dorf einer indigenen Gemeinde im Grenzgebiet zu Panama, im Norden Kolumbiens. Einige Tage zuvor klingelte im Büro unserer Menschenrechtsorganisation, der Comisión Intereclesial de Justicia y Paz (Kirchenübergreifende Kommission für Gerechtigkeit und Frieden), das Telefon. Es waren Vertreter einer indigenen Gemeinde, die uns baten, zu kommen. Gemeinsam mit Vertretern des Dachverbandes der indigenen Völkern (ONIC) fuhren wir den Río Domingadó hoch. Nach einer halbe Stunde trafen wir auf die erste paramilitärische Basis und wurden kontrolliert. Insgesamt gab es damals drei Basen mit insgesamt rund 1000 Kämpfern dort, so die Bewohner der Region Das war Ende Mai und zu diesem Zeitpunkt waren offiziellen Quellen zufolge bereits alle paramilitärischen Verbände demobilisiert. Die Paramilitärs klauten den Leuten das Vieh, grillten die Hähnchen, schüchterten die Leute ein, so dass die sich kaum trauten, fischen zu gehen, auszusäen oder zu jagen, um ihre Familien zu ernähren. Eine verheerende Situation und viele Leute aus den Gemeinden sind geflohen, haben einen anderen Namen angenommen und verdingen sich auf den Palmöl-Plantagen der Region. Genau das bezwecken die Paramilitärs: Sie wollen, dass die Leute ihr Terrain aufgeben, um es selbst in Besitz zu nehmen.

Offiziellen Informationen zufolge hätten Sie dort keinen einzigen Paramilitär antreffen dürfen!

Das ist richtig, aber das glaubt hier niemand mehr. Am 9. April hat der »Block Cardenas« offiziell seine Waffen abgegeben. Doch am gleichen Tag geriet ein bekannter kolumbianischer Journalist in eine paramilitärische Straßensperre der gleichen Einheit, die offiziellen Angaben zufolge gerade demobilisiert wurde.

Was halten Sie denn von der Entwaffnung und Reintegration der paramilitärischen Kämpfer?

Die Wiedereingliederung läuft in Bogotá so ab: Es wurden Häuser angemietet oder auch gebaut, in denen die demobilisierten Paramilitärs für drei Monate unterkommen und dort versorgt werden. Doch nach drei Monaten ist Schluss mit der Unterstützung, dann müssen die ehemaligen Paramilitärs sehen, wo sie bleiben und da es in Kolumbien kaum Arbeitsplätze gibt, ist der Übergang in die Kriminalität oder die Neugründung von paramilitärischen Banden nicht unwahrscheinlich. Andere haben mehr Glück, werden in die Polizei aufgenommen, in den Wachschutz von Flughäfen oder Häfen – das ist eine echte Option. Wieder andere integrieren sich in das Spitzelnetzwerk und verkaufen fadenscheinige Informationen, andere verdingen sich als Arbeiter auf den Haciendas der Comandantes der Paramilitärs. Es wird nur wenige Paramilitärs geben, die wirklich die Waffe aus der Hand legen und sich vom Paramilitarismus lösen. Das Ganze ist eine Farce.

Und die höheren Chargen, wo landen die?

Auf lokaler Ebene ziehen die Comandantes der Paras in die Bürgermeistereien, die Staatsanwaltschaft, das Gesundheitssystem oder die Universitäten ein und bekleiden dort Posten. Auch nach der Wiederwahl des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez schreitet dieser Prozess der Institutionalisierung des Paramilitarismus weiter voran. Sie beginnen die Einrichtungen zu lenken, an Einfluss zu gewinnen. Dadurch verschärft sich die Situation der Bevölkerung: Es wird schwieriger, weil gefährlicher, die eigene Meinung zu äußern. Und die Linke in Kolumbien ist nach wie vor geschwächt – immerhin hat sie im Laufe der achtziger und neunziger Jahre 4000 ihre Repräsentanten verloren. Ich spreche vom immensen Blutzoll der Unión Patriótica, der patriotischen Union. Die wurde systematisch massakriert.

Und wie steht es um die Friedensgemeinden? Sind Sie noch bedroht?

Es ist nur einige Wochen her, da wurde im Flussdelta des Curvaradó ein Dorf überfallen und zerstört, selbst den Friedhof verschonte man nicht und wenig später entstand auf dieser und weiteren Flächen eine Ölpalm-Plantage. Heute kommen die »Besitzer« der Plantagen und bieten den Vertriebenen Arbeit auf den Plantagen an. So werden aus Landbesitzern Landlose und Arbeiter gemacht. Die Bevölkerung weigert sich, aber sie leben unter sehr schwierigen Lebensbedingungen und die Plantagenbesitzer versprechen ihnen das Paradies, wenn sie für sie arbeiten. Eine große Verlockung, der sie bisher widerstanden haben, denn sie haben ihre Landtitel und sie hoffen, dass diese Titel auch einen Wert haben.

Welche Bedeutung haben die Friedensgemeinden für die Gesellschaft – wird über sie diskutiert?

Wir begleiten diese Gemeinden. Sie wehren sich dagegen, zum Spielball in diesem Krieg zu werden und haben sich für einen anderen Weg entschieden. Auf ihrem Territorium sind bewaffnete Akteure unerwünscht; sie wollen in Frieden selbstbestimmt leben, versuchen eine friedliche gesellschaftliche Alternative aufzubauen. Dazu gehört ökologischer Landbau, der internationale Austausch mit Gemeinden in Chiapas, den Mapuche in Chile, der Landlosenbewegung in Chile, Gemeinden in Guatemala und den USA. Es geht darum die Träume zu vereinen und die Basis für eine andere Gesellschaft zu schaffen. Ziel der Gemeinden ist es ein nachhaltiges Gesellschaftskonzept zu entwickeln, Nahrungsmittelsicherheit zu schaffen, das natürliche Saatgut gegen transgenetische Einflüsse zu schützen und zu signalisieren, dass eine andere Welt möglich ist.

** Aus: Neues Deutschland, 8. August 2006


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage