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Ende des Bruderkrieges

Kolumbiens Guerillaorganisationen FARC und ELN veröffentlichen gemeinsame Erklärung nach Kämpfen in Arauca

Von Benjamin Beutler und André Scheer *

Kolumbiens Guerillaorganisationen reichen sich die Hand. In einem gemeinsamen Kommuniqué, das die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die Nationale Befreiungsarmee (ELN) am Mittwoch (15. Sep.) im Internet veröffentlichten, erklären die Führungen der bewaffneten Linksbewegungen einvernehmlich ein Ende »der tragischen Konfrontation«. Die Deklaration, als deren Unterzeichner die Regionalkommandos »Östliche Kriegsfront« der ELN und »Ostblock« der FARC firmieren, soll einen Schlußstrich unter die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den zerstrittenen Guerillas in der Provinz Arauca ziehen. Die seit Jahren in der Region schwelenden Konflikte zwischen den beiden Organisationen waren Ende Mai offen ausgebrochen. Während aus dem jetzt veröffentlichten Kommuniqué keine Details über die Ursachen der Auseinandersetzungen genannt werden, führt der kolumbianische Armeegeneral Rafael Alberto Neira Wiesner diese auf Konkurrenz um Gebietskontrolle und den Einfluß auf die Bevölkerung zurück. Einwohner der Region gerieten während der Gefechte immer wieder zwischen die Fronten, zahlreiche Familien flohen daraufhin aus dem Kampfgebiet. Das räumen FARC und ELN auch indirekt ein, wenn sie in ihrer Erklärung die Bauern zur Rückkehr auf ihre Ländereien ermutigen.

Kampf seit 50 Jahren

In der Region Arauca sind die beiden Organisationen seit ihrem Entstehen Mitte der 1960er Jahre präsent. Es sind die strategischen Vorteile vor Ort, die das dünn besiedelte Gebiet für die Guerilla so wertvoll machen. Gebirge, Täler und das Grenzgebiet zu Venezuela gelten als ideale Rückzugsgebiete, Ölunternehmen zahlen Schutzgelder.

Die FARC gingen aus Selbstverteidigungsgruppen entrechteter Kleinbauern hervor. Damit hatten diese auf den blutigen Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen von 1948 bis 1953 reagiert, der mit über 200000 Toten als »La Violencia« (Die Gewalt) in die Geschichtsbücher einging. Nachdem sich zu seiner Beendigung die beiden großen Parteien auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung geeinigt hatten, war Bogotá damals zunehmend gegen die Bauern vorgegangen, deren Gemeinschaften als »unabhängige Republiken« attackiert wurden. Nach einer Offensive der Armee mit Helikoptern und Napalm im Juni 1964 zogen sich die überlebenden Bauern unter Führung des legendären Comandante Manuel Marulanda nach Marquetalia im zentralen Andengebirge zurück. Dieses Ereignis wird von den FARC heute als ihr eigentliches Entstehungsdatum betrachtet. Demgegenüber war die ELN eine bewußte Gründung von 18 Bauern und Studenten, die am 4. Juli 1964 unter dem Eindruck der Erfolge der kubanischen Rebellenarmee Fidel Castros die erste Zelle der neuen Guerilla bildeten. Doch schon damals konnte die Regierung mit der Unterstützung US-amerikanischer Militärberater rechnen, die mitten im Kalten Krieg eine Linksentwicklung im süd­amerikanischen Land im Keim zu ersticken suchten. Die Großgrundbesitzer riefen paramilitärische Gruppen ins Leben, die in kaum verborgener Kooperation mit der Armee Massaker unter den Bauern anrichteten.

Gemeinsame Aktionen

Bereits im vergangenen Dezember hatten die zentralen Kommandostrukturen beider Guerillaorganisationen eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ihren untergeordneten Einheiten befahlen, sofort die gegenseitigen Auseinandersetzungen zu beenden und die Zivilbevölkerung zu respektieren. Trotzdem eskalierte der Konflikt zumindest in Arauca, während FARC und ELN in der südwestlichen Provinz Nariño offenbar sogar gemeinsam operieren. So erklärten Sprecher der kolumbianischen Polizei in der vergangenen Woche, beide Organisationen seien gemeinsam für einen Anschlag gegen das Hauptquartier des Geheimdienstes DAS in der Stadt Pasto verantwortlich.

Analysten werten deshalb das jüngste Kommuniqué als ein Zeichen des Erstarkens der linken Guerilla. »Triumphalismus« sei fehl am Platz. In der Tageszeitung El Tiempo warnte León Valencia am 7. September vor der von Regierung und Medien verbreiteten Annahme, die »aufständischen Banditen« seien besiegt. Noch immer seien sie eine Gefahr für »Demokratie und Sicherheit«. Doch die eigentliche Gefahr kommt von anderer Seite. Eine in dieser Woche veröffentlichte, bislang jedoch kaum beachtete Studie der Menschenrechtsorganisation Indepaz spricht von einer »neuen Generation« der rechtsextremen paramilitärischen Gruppen. Die »Schwarzen Adler« oder »Rastojos« seien in 29 der 32 Provinzen aktiv. Deren rund 13000 Kämpfer hätten die Guerilla als »Hauptverursacher der Gewalttaten im Land« längst abgelöst.

* Aus: junge Welt, 17. Sep. 2010


Dokumentiert:

Nie wieder Konfrontation zwischen Revolutionären

Gemeinsame Erklärung der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) **

Die Führung der Guerilla des kolumbianischen Ostens, der Arauca, Casanare, Boyacá und einen Teil der Santanders umfaßt, erklärt mit Unterstützung der obersten Kommandostrukturen des Nationalen Sekretariats und des Zentralkommandos, daß die tragische Konfrontation, die es zwischen den FARC-EP und der ELN im Departamento Arauca gegeben hat, endgültig beendet ist.

Wir haben uns im Departamento Arauca unter Genossen in einer Atmosphäre von großer Offenheit und Herzlichkeit getroffen, um die Ursachen zu diskutieren, die zu einer unglücklichen und absurden Konfrontation zwischen Bruderorganisationen geführt haben. Wir stützen und befolgen den Geist und die Festlegungen des Abkommens zwischen beiden nationalen Führungen vom Dezember 2009.

Wir haben eine tiefgreifende Reflexion über die Motive durchgeführt, die die Konfrontation verursacht haben, und werden vor allem an Lösungen arbeiten, um in Zukunft die Wiederholung eines solchen großen Fehlers zu verhindern.

Selbstkritisch erkennen wir an, daß wir die Bevölkerung geschädigt und in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Episoden sind schmerzhaft und die Konsequenzen bedauerlich. Deshalb sprechen wir allen Betroffenen unser Mitgefühl und unsere Entschuldigung aus.

Diese Einigung zwischen Bruderorganisationen ist eine wertvolle Ermutigung für den Widerstand Araucas und der Kolumbianer. Zweifellos wird sie Ziel von Provokationen und tendenziösen Versionen der Kampagne zur Aufstandsbekämpfung werden.

Wir sind zu der Schlußfolgerung gelangt, daß wir die Differenzen so lösen müssen, daß wir aus ihnen Stärke und konstruktive Entscheidungen ziehen und gemeinsame Wege schaffen können.

Wir verlassen dieses Treffen mit der Verpflichtung und beseelt davon, mit größtem Einsatz gerissene Wunden zu heilen, uns vollständig zu verbrüdern, die Rückkehr der Bauern auf ihre Ländereien zu fördern und das Vertrauen und die Hoffnung in die Aufständischen wiederaufzubauen, die vom Blute des heldenhaften araucanischen Volkes sind.

Wir bekräftigen, daß unsere Kämpfer und unsere Waffen nur der Verteidigung der Interessen unserer Völker dienen, indem sie die Schlacht für das neue Kolumbien führen, zu dem wir mit so vielen Kämpfen und Opfern beigetragen haben.

An diesem 200. Jahrestag des Rufs nach Unabhängigkeit wenden wir uns mit Würde und Größe gegen die nordamerikanische militärische Besatzung, die Ausplünderung durch die multinationalen Konzerne und die Kriecherei der Oligarchie, von der nur Privilegien für die Mächtigen und Unglück für die einfachen Menschen zu erwarten ist. Wir ermutigen unser Volk, darauf mit den größten und heldenhaftesten Kämpfen für die endgültige Unabhängigkeit, für den Frieden, die Gerechtigkeit und gesellschaftliches Glück zu antworten.

Abschließend umarmen wir die Kämpfer, Aktivisten und das araucanische Volk herzlich.

Östliche Kriegsfront der Nationalen Befreiungsarmee, ELN
Ostblock der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, Armee des Volkes, FARC-EP
Zentralkommando der ELN
Sekretariat der FARC-EP
Berge von Arauca, 14. September 2010

(Übersetzung: André Scheer)

** Aus: junge Welt, 17. Sep. 2010


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