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Santos ist kein Friedensengel

Mit Entführungen stellt ELN-Guerilla Kolumbiens Präsidenten an den Pranger

Von Benjamin Beutler *

Vier Tage, nachdem die kolumbianische Rebellenorganisation Nationale Befreiungsarmee (ELN) bekanntgemacht hat, daß sie zwei Deutsche in ihrer Gewalt hat, geht das Rätselraten um die beiden Männer weiter. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Kommuniqués der Guerilla (jW berichtete) hatte die Bundesregierung in Berlin einen Krisenstab eingerichtet und erklärt, man sei um die Lösung des Falls bemüht und stehe mit allen relevanten Stellen in Verbindung. »Wir müssen davon ausgehen, daß zwei deutsche Staatsangehörige in Kolumbien gegen ihren Willen festgehalten werden«, erklärte eine Sprecherin von Minister Guido Westerwelle am Dienstag.

In ihrer auf der Homepage der Organisation veröffentlichten Erklärung hatte die ELN am Montag (Ortszeit) mitgeteilt, sie habe die beiden Männer schon seit mehreren Wochen festgesetzt. In der nordostkolumbianischen Region Catatumbo nahe der venezolanischen Grenze hatten ELN-Einheiten die Personen »festgenommen«. Da diese den Grund ihres Aufenthalts in dem Gebiet nicht hätten erklären können, würden sie als »Geheimdienstagenten« betrachtet, so die Erklärung des »Kommandos der Nordöstlichen Kriegsfront«. Der Rundfunksender Caracol berichtete inzwischen, bei den Männern handele es sich um den 69 Jahre alten Uwe B. und seinen 72 Jahre alten Bruder Günther Otto B. Die beiden Pensionäre hätten in dem Amazonasgebiet eine Ökotourismus­tour unternommen, berichtete der Sender unter Berufung auf die deutsche Botschaft in Bogotá. Die kolumbianischen Visa der beiden seien am 28. Januar abgelaufen.

Mit der Bekanntgabe der Entführung ist der einige tausend Kämpfer starken ELN ein kluger Schachzug gelungen. Wie sein Vorgänger und Hardliner Álvaro Uribe versucht auch Kolumbiens konservativer Präsident Juan Manuel Santos international ein Bild der Normalisierung im Bürgerkriegsland zu vermitteln. Hintergrund dafür ist auch das Ende 2012 vom EU-Parlament verabschiedete Freihandelsabkommen mit Kolumbien.

Doch der Schein trügt. Während in Havanna Friedensgespräche mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens – Armee des Volkes (FARC-EP) über die Bühne gehen, machen Spezialtruppen und Luftwaffe weiter Jagd auf alle »Narco-Terroristen«. Diese wiederum antworten mit Autobomben und Hinterhalten für Polizisten.

Vielleicht dringt durch die Entführung der beiden Männer nun auch nach Deutschland die Information, daß Santos – vor seiner Amtszeit Verteidigungsminister seines Vorgängers Uribe, gegen den die kolumbianische Staatsanwaltschaft wegen der Gründung rechter paramilitärischer Banden ermittelt – trotz flatternder Friedensfahne weiter auf Krieg setzt. So verweigert der 61jährige Verlegersohn und Harvard-Absolvent einen Waffenstillstand, wie ihn die FARC in den Verhandlungen in Havanna mehrfach gefordert haben. Im vergangenen Dezember starben bei einem Angriff der Luftwaffe auf ein Lager der FARC 20 Mitglieder der Organisation, mit der die Regierung gleichzeitig verhandelte. Außerdem weigert sich Santos beharrlich, auch mit der ELN einen Dialog aufzunehmen, den diese mehrfach angeboten hat.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Februar 2013


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