Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Massenprotest gegen FARC

Kolumbiens Regierung versucht, Demonstrationen zu vereinnahmen

Von Tommy Ramm, Bogotá *

In Kolumbien und in 125 Städten in aller Welt gingen Hunderttausende Menschen auf die Straße, um gegen die Kriegspraktiken der Rebellen der FARC zu protestieren. Die Massendemonstrationen gegen die FARC werden als die größten Proteste in der Geschichte des Landes bezeichnet. Organisiert wurden sie per Internet von einer Handvoll Kolumbianer.

Hunderttausende Kolumbianer machten am Montag (4. Februar) gegen die Rebellengruppe Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) mobil und legten Dutzende Städte des Landes lahm. »Keine Entführungen mehr! Keine Lügen mehr! Keine FARC mehr!« riefen die Menschen, die sich über die Mittagszeit in den Zentren der Städte versammelten.

Offizielle Zählungen gab es nicht, doch geschätzt wird, dass allein in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá weit mehr als eine Million Menschen auf die Straße gingen, während weitere Hunderttausende Demonstranten in anderen Großstädten wie Cali, Medellin und Barranquilla ihrem Unmut Luft machten.

Den Demonstrationen in Kolumbien gingen Dutzende Proteste in der ganzen Welt voran. In Japan und Australien wurden die ersten Kundgebungen gemeldet, später folgten weitere in mehr als 120 Städten. In Berlin versammelten sich mehrere hundert Demonstranten an der Gedächtniskirche.

Ausschlaggebend für die Massenproteste war ein Internetaufruf einiger junger Kolumbianer, die Anfang Januar über das Portal Facebook die Kampagne »Eine Million Stimmen gegen die FARC« ins Leben riefen und Unterstützung für Demonstrationen suchten – ein leichtes Spiel, nachdem der Poker um die Freilassung von drei Entführten die Kolumbianer in Atem gehalten hatte und dabei die Lüge der FARC zu dem in der Gefangenschaft geborenen Jungen Emmanuel für Entrüstung sorgte. Der Vierjährige sollte zunächst gemeinsam mit seiner Mutter Clara Rojas freikommen, doch kurz zuvor wurde bekannt, dass er nach einer Odyssee und einer frühzeitigen Trennung von seiner Mutter jahrelang in einem Waisenheim unter anderem Namen lebte.

Mehr als 700 Personen sind nach wie vor von den FARC entführt, einige von ihnen befinden sich seit über zehn Jahren in Gefangenschaft. Praktiken wie diese, die tiefe Verstrickung in das lukrative Drogengeschäft und Gräueltaten an der Zivilbevölkerung haben die FARC in den letzten Jahren mehr und mehr in Verruf gebracht. Eine breite soziale Basis innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft, die mit den FARC sympathisiert, existiert längst nicht mehr.

Linke Politiker wie der ehemalige Rebell und jetzige Senator Gustavo Petro vom linken Alternativen Demokratischen Pol haben sich von den FARC distanziert und forderten, sich klarer von der Guerilla und ihren Methoden abzugrenzen. Das Bündnis ging am Montag ebenfalls auf die Straße, aber mit einer eigenen Demonstration. Denn »den organisierten Protesten haben sich paramilitärische Führer angeschlossen«, erklärte der Chef des Linksbündnisses, Carlos Gaviria, und kritisierte, dass die Demonstrationen sowohl politisch als auch medial von der Regierung unter Präsident Álvaro Uribe Vélez ausgenutzt wurden.

Zwar forderten die Organisatoren der Demonstrationen vehement, dass diese nicht von der Politik beeinflusst werden sollten, sondern einzig dem Zorn der einfachen Bevölkerung gegen die FARC und deren Absage an die Guerilla Ausdruck geben sollten. Doch an den Hauptverkehrsadern Bogotás war nicht zu übersehen, dass die Massenproteste von der Regierung instrumentalisiert wurden. Meterlange Spruchbänder wie »Kolumbien gegen die FARC – an der Seite von Uribe«, die an Brücken hingen, gaben den Bedenken, dass es eine Vereinnahmung gebe, Recht.

»Vielleicht werden die Entführten von den Protesten nichts haben, und sie werden nicht dem Gefangenenaustausch und dem Frieden dienen«, befürchtet deshalb Yolanda Pulecio, die Mutter der entführten Grünen-Politikerin Ingrid Betancourt. Sie geht davon aus, dass sich Präsident Uribe in seinen Plänen für eine militärischen Befreiung der Verschleppten nun bestärkt sieht, was die Gefangenen das Leben kosten könnte.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2008


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage