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Havanna bittet zu Tisch

Konkrete Friedensverhandlungen zwischen FARC-Guerilla und Bogotá starten in Kuba

Von David Graaff, Bogota *

Am heutigen Montag beginnen in Havanna die ersten inhaltlichen Gespräche zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung, die zu einer Beendigung des fast 40 Jahre andauernden Konflikts führen sollen.

Als reibungslos können die Gespräche nicht bezeichnet werden, aber sie gehen voran: Seit dem 5. November verhandeln Vertreter der kolumbianischen Konfliktparteien über technische Fragen. Zuvor hatten die Regierung in Bogotá und die linksgerichtete FARCGuerilla am 18. Oktober in Norwegen einen neuen Friedensprozess eröffnet. Nun geht es ans Eingemachte: Mit ein paar Tagen Verzögerung soll heute in Havanna das erste Arbeitstreffen der beiden Verhandlungsdelegationen über die Bühne gehen. Es war ursprünglich für Donnerstag vergangener Woche geplant gewesen. Die Verschiebung erfolgte, um – wie es in einer kurzen gemeinsamen Stellungnahme hieß – »letzte Details zu den Beteiligungsmechanismen der Zivilbevölkerung zu klären«. Die Regierung lehnt die direkte Präsenz von Vertretern der Zivilgesellschaft am Verhandlungstisch weiterhin ab. Daher geht es nun um die verschiedenen Wege, auf denen die Bevölkerung Vorschläge an den Verhandlungstisch in Kuba herantragen kann.

Die Guerilla fordert die Einrichtung eines Büros in Bogotá, in dem die Bevölkerung Themen- und Lösungsvorschläge abgeben kann. Eine Maßnahme, die die Regierungsseite bis jetzt ablehnt. Sie bevorzugt, dass die Verhandlungsdelegationen über eine Internetseite zu erreichen sind. Ebenso soll das kostenlose Versenden von Briefen über die Stadtund Gemeindeverwaltungen im ganzen Land möglich sein.

Die weitreichendste Beteiligung der Gesellschaft findet seit mehreren Wochen im Rahmen der »Regionalen Friedenstische« statt. Unter Federführung der aus dem Senat hervorgehenden Nationalen Friedenskommission treffen sich Politiker und Organisationen in den verschiedenen Regionen des Landes. In Arbeitsgruppen werden Vorschläge zu den auf Kuba debattierten Themen erarbeitet, die später gebündelt und nach Havanna weitergeleitet werden sollen. Gloria Ramírez, Senatorin der Kommunistischen Partei Kolumbiens und Mitglied der Friedenskommission, lobte zwar gegenüber »nd« die Initiative, machte aber auch auf Probleme aufmerksam: »In Regionen, wo viel Militär stationiert ist, ist es für soziale Organisationen schwierig, sich frei zu artikulieren. Es kommt zu Einschüchterungen und in Florencia wurden den Teilnehmern beim Einlass Fingerabdrücke abgenommen «, berichtete Ramírez von einem Treffen in der Region Caquetá. Sie unterstützt die Forderung der Guerilla nach einer Anlaufstelle in Bogotá und kritisiert die Regierungslinie, die Öffentlichkeit nur spärlich in die Verhandlungen einzubinden. »Der Frieden muss endlich aus der Quarantäne gelassen werden, damit sich die Gesellschaft aktiv an diesem Prozess beteiligen kann.«

Die Delegation der FARC setzt auf Kommunikation. In mehreren Mitteilungen und Interviews hat sich die Guerilla zur vereinbarten Verhandlungsagenda geäußert. Darüber hinaus ist ihr mit der Berufung von Tanja Nijmeier in den Kreis der auf Kuba vertretenen FARC-Mitglieder ein medialer Coup gelungen. Die internationale Presse berichtete ausführlich über die Niederländerin. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung »VOZ« widersprach der Verhandlungsführer der Guerilla, Iván Márquez, unterdessen Berichten kolumbianischer Medien, wonach der militärisch und wirtschaftliche starke »Bloque Sur« die Friedensverhandlungen nicht mittragen würde. »In ihrem Bestreben falsche Informationen zu verbreiten, suchen die Medien interne Streitigkeiten und Probleme in unseren Reihen, aber unsere gesamte Organisation steht ohne Zweifel hinter dem Prozess«, sagte Márquez.

Kritik an den etablierten Medien übte auch eine vergangene Woche gegründete Plattform alternativer Medien. In einer Erklärung hieß es, die von Unternehmen kontrollierten Medienhäuser würden durch einseitige und propagandistische Praktiken verhindern, dass das Publikum eine kritische Haltung gegenüber der Regierungspolitik einnehmen könne. Insbesondere die beiden einzigen landesweit empfangbaren Fernsehsender Caracol und RCN fallen durch unausgewogene Berichterstattung auf. So gab es kaum Berichte zu den »Regionalen Friedenstischen « und den dort artikulierten Forderungen der sozialen Organisationen. Angesichts der aufgebauschten Nachrichtenbeiträge über Kampfhandlungen zwischen der Guerilla und dem Militär forderte die Senatorin Ramírez, die Medien sollten sich hinter den Friedensprozess stellen. »Sie müssen die aggressive Sprache gegen eine unbewaffnete und respektvolle eintauschen und sich bewusst werden, dass sie derzeit dazu beitragen, dass der Friedensprozess keine Fortschritte macht«, sagte Ramírez.

Unterdessen wurde bekannt, dass die FARC-Guerilla intern über eine mögliche Feuerpause zur Weihnachtszeit diskutiert. Einen Vorschlag, den Präsident Santos umgehend ablehnte: »Die Antwort des Staates ist klar: Es wird keinen Waffenstillstand geben.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. November 2012


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