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FARC-Guerilla bringt sich in Stellung

Streit um Waffenruhe belastet kolumbianische Friedensverhandlungen in Havanna

Von David Graaff, Bogotá *

Im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla in Havanna zeichnen sich erste kleine Fortschritte ab. Die auslaufende Waffenruhe der FARC sorgt allerdings für Dissonanzen.

Kolumbiens Regierung misst mit zweierlei Maß. Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat die Rebellen der FARC-Guerilla vor der Wiederaufnahme des Guerillakampfes gewarnt. Armee und Polizei seien darauf vorbereitet, sagte Santos am Samstag - einen Tag vor Auslaufen der von der FARC-Guerilla am 19. November ausgerufenen einseitigen Waffenruhe. Die FARC-Rebellen verlangen, dass die Regierung ihrerseits eine Waffenruhe erklärt. Sonst werde die Feuerpause nicht verlängert.

Einen »neuen Rhythmus und höhere Effizienz« hatte der Verhandlungsführer der Regierung, Humberto de la Calle, bei der Wiederaufnahme der Gespräche mit der FARC am vergangenen Montag gefordert. Während sich die Regierung allerdings zu ihren Verhandlungspositionen in Schweigen hüllt, präsentierte die Guerilla erstmals konkrete Vorschläge zur ländlichen Entwicklung. Ein im Internet veröffentlichtes Positionspapier basiert laut der FARC auf den von der Zivilbevölkerung eingereichten Vorschlägen. Ende 2012 hatten zahlreiche Foren mit mehreren Tausend Teilnehmern stattgefunden, bei denen über die ländliche Entwicklung debattiert und deren Ergebnisse den Verhandlungsdelegationen übergeben worden waren.

Zentraler Punkt des Positionspapiers der FARC ist die Forderung nach einer umfassenden Agrarreform, um der ungleichen Landverteilung entgegenzutreten, die einen zentralen Grund für Armut und Gewalt im ländlichen Kolumbien darstellt. Mit dieser Forderung vertritt die Guerilla keineswegs eine radikale Position: Nationale und internationale Organisationen fordern seit Langem ein Umdenken in der Agrarpolitik, die Vereinten Nationen sprechen angesichts der Landkonzentration von einer »alarmierenden Situation«. Bisherige Versuche, den Landbesitz gerechter zu gestalten, sind in der kolumbianischen Geschichte bisher stets am Unwillen der Regierungen oder dem Widerstand regionaler Eliten gescheitert.

Sollten sich Guerilla und Regierung für einen neuen Anlauf entscheiden, wäre allerdings zunächst eine Aktualisierung des Katasters notwendig, das sich, wie Beamte des Landwirtschaftsministeriums bestätigen, in unzureichendem Zustand befindet und Reformen praktisch unmöglich macht.

In anderen Punkten des Positionspapiers scheint unterdessen Kompromissbereitschaft durch. Zwar fordert die Guerilla nach wie vor die Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen und deren Lebensmittelproduktion, toleriert aber auch industrielle Agrarproduktion, wenn sie von der »friedlichen Koexistenz der verschiedenen Produktionsmodelle« spricht.

Auch in der Debatte um eine Beschränkung des Landbesitzes ausländischer Investoren zeichnet sich eine realistischere Position ab. Zwar kritisierte die Guerilla die entsprechende Politik der Regierung am Freitag noch einmal scharf, doch spricht sie nicht mehr ausschließlich von einem Verbot, sondern auch von der Möglichkeit einer »strikten Begrenzung« ausländischer Investitionen im Agrarsektor.

Generell dürfte die Forderung der Guerilla nach Sicherstellung der Ernährungssouveränität angesichts der herrschenden Machtstrukturen jedoch schwierig zu erfüllen sein. Zu einer Revision und möglichen Neuverhandlung der Freihandelsabkommen, unter anderem mit der Europäischen Union, dürfte Bogotá ebenso wie die Vertragspartner kaum bereit sein. Auch beim Stopp der Ausbeutung von Rohstoffen im Bergbau und der Einschränkung der Viehwirtschaft ist mit erheblichem Widerstand zu rechnen. Die sogenannte »Lokomotive Bergbau« ist eine der wichtigsten Wirtschaftspfeiler des Landes und die Viehwirtschaft, die für die hohe Landkonzentration verantwortlich gemacht wird, hat eine mächtige Lobby im Rücken. Der Präsident des Viehzüchterverbandes FEDEGAN, José Felix Lafaurie, hatte im Dezember die Teilnahme an einem Agrarforum mit dem Hinweis auf fehlenden Nutzen boykottiert. Wahrend Lafaurie dafür auch Kritik von Regierungsseite einstecken musste, feierte ihn die extreme Rechte um den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe für diese Entscheidung. Nun wird er gar als möglicher Kandidat des Uribismo für die Präsidentschaftswahlen 2014 gehandelt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 21. Januar 2013


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