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Kolumbiens Friedensschiff in schwerer See

Verhandlungen zwischen Regierung und FARC-Guerilla offenbar an totem Punkt / Präsident Santos macht Druck

Von Harald Neuber *

Ein Jahr nach Beginn der Gespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) ist der Friedensprozess ins Stocken geraten.

Am vergangenen Sonntag trennten sich Vertreter beider Seiten in der kubanischen Hauptstadt Havanna, ohne – wie in den vergangenen elf Monaten üblich – eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. Dissens herrscht bei dem Thema der politischen Beteiligung, dem zweiten von insgesamt fünf großen Themenblöcken der Friedensgespräche. Trotz gegenseitiger Anschuldigungen sollen die Verhandlungen am 23. Oktober weitergeführt werden. Dann steht weiterhin die Frage im Raum, wie die linksgerichtete Guerilla und die Opposition im Allgemeinen in das politisch-parlamentarische System des südamerikanischen Landes eingegliedert werden kann.

Der bewaffnete und soziale Konflikt in Kolumbien dauert seit 1964 an. Damals hatten bäuerliche Selbstverteidigungsgruppen die FARC gegründet, um sich gegen Angriffe der Armee und von Milizen im Dienst von Großgrundbesitzern zu wehren. Hintergrund des Konflikts war eine für die postkolonialen Gesellschaften Lateinamerikas typische Ungleichverteilung des Ackerlandes. Während Großgrundbesitzer ausgedehnte Flächen besitzen, haben Kleinbauern kaum Land – bis heute.

In den ersten Monaten der Friedensgespräche konnte das daher wichtigste Thema einer Agrarreform geklärt werden. Nach dem 23. Oktober wird sich zeigen, ob die politisch mächtige Oberschicht Kolumbiens, der auch der amtierende Präsident Juan Manuel Santos angehört, gleichermaßen bereit ist, die Macht mit der Opposition zu teilen. Ein erster entsprechender Versuch war Mitte der 80er Jahre in einem Blutbad geendet: Über 4000 Mitglieder der Linkspartei Unión Patriótica waren damals von rechten Paramilitärs ermordet worden.

Noch am Sonntag machte der Verhandlungsführer der Regierung, Humberto de la Calle, die FARC für die Stagnation der Gespräche verantwortlich. Die Rebellen verzögerten den Fortgang der Gespräche, sagte De la Calle. »Bei diesen Verhandlungen geht es nicht um das politische Programm der FARC, sondern um die vorab festgelegten Themen«, fügte der Politiker hinzu.

Die Replik der Guerillaorganisation ließ nicht auf sich warten. Es sei nicht erstaunlich, dass die Regierung der Gegenseite die Schuld für die Stagnation gebe, sagte FARC-Vizechef Iván Márquez. Tatsächlich aber hätten die Rebellen einen 100-Punkte-Katalog zum Thema der politischen Teilhabe in Kolumbien vorgelegt. Dass der FARC dies nun negativ ausgelegt wird, wies Márquez entschieden zurück: »Es gab keinen Tag, an dem wir keine Vorschläge und Lösungsideen vorgebracht haben, keinen Tag, an dem wir uns nicht für einen Fortschritt eingesetzt haben.«

Wenn die Verhandlungen in der kubanischen Hauptstadt am 23. Oktober wieder aufgenommen werden, ist der Druck auf alle Beteiligten groß. Präsident Santos forderte bereits »konkrete Ergebnisse« bis zum 19. November, dem ersten Jahrestag der Friedensgespräche. Die Rebellen wiesen solche Ultimaten zurück. Für die Erreichung des Friedens »müssen wir uns alle dafür notwendige Zeit nehmen«, hieß es seitens der FARC. Die Realität sieht indes anders aus. In der Region La Guarjira verübte die 59. Armee der FARC einen schweren Anschlag auf einen Güterzug eines privaten Bergbauunternehmens. Nach Angaben kolumbianischer Medien entgleisten bei dem Sprengstoffanschlag 43 der 124 Waggons, die Kohle aus der Mine El Cerrejón transportierte. Der groß angelegte Tagebau war wegen Vertreibungen von Anwohnern und Umweltverschmutzung immer wieder in die Kritik sozialer Organisationen geraten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. Oktober 2013


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