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Der Friedensprozess wird kostspielig sein

Iván Cepeda über die Verhandlungen zwischen Regierung und FARC-Guerilla in Kolumbien *


Iván Cepeda ist Abgeordneter des linken Polo Democrático Alternativo im kolumbianischen Kongress und Sohn des 1994 ermordeten Senators Manuel Cepeda von der FARC-nahen Unión Patriótica. Der 50-jährige Menschenrechtsaktivist ist Anwalt und Sprecher der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen (MOVICE). Er kämpft seit Jahren für die Aufdeckung der Verbindungen zwischen staatlicher Politik und Paramilitärs. Mit ihm sprach Knut Henkel.


nd: Die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Juan Manuel Santos und der FARC-Guerilla laufen - ein Hoffnungsschimmer für Kolumbien?

Cepeda: Ja, das ist eine sehr ermutigende Nachricht. Wenn dieses Vorhaben Erfolg haben sollte, würden in unserem Land zum ersten Mal nach fünfzig Jahren die Waffen schweigen und man könnte grundlegende Reformen vornehmen. Diese Verhandlungen finden in einem sich wandelnden lateinamerikanischen Kontext statt. Es gibt einen Trend zu linksalternativen Gesellschaftsformen, zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr sozialer Entwicklung.

Auch in Kolumbien?

Kaum. Die Verhandlungen finden in einer ernsten Wirtschafts- und Finanzkrise statt und die geht auch nicht an Kolumbien vorbei. Wir sind zudem von einer grundlegender Krise der Institutionen betroffen. Es gibt in Kolumbien kaum eine staatliche Institution, die nicht von einer Glaubwürdigkeitskrise gekennzeichnet ist - vom Parlament bis zu den Sozialeinrichtungen. Kaum eine Institution hat nicht mit Korruptionsskandalen zu kämpfen und die soziale Krise hat sich verschärft.

Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter auseinandergegangen?

Genau, Kolumbiens Einkommensverteilung ist die ungerechteste in Lateinamerika und weltweit stehen nur zwei Länder vor uns, die eine noch ungleichere Einkommensverteilung haben. Ein einfacher Arbeiter verdient rund 250 US-Dollar im Monat, ein Funktionär in höheren Chargen rund 15 000 US-Dollar. Wir erleben ein soziales Desaster in Kolumbien und besonders betroffen sind die ländlichen Regionen, in die die transnationalen Konzerne drängen, um Ressourcen zu Tage zu fördern.

Auf der anderen Seite nehmen die Widerstände zu, es wird häufiger demonstriert, sich organisiert und davon profitiert auch meine Partei, der Polo Democrático Alternativo. Nach acht Jahren der autoritären Regierung von Álvaro Uribe, die auf den Krieg setzte, erhebt die Zivilgesellschaft wieder ihr Haupt.

Die internationalen Kritiken für die Regierung Santos sind im allgemeinen sehr positiv. Wie beurteilen Sie die Menschenrechtssituation, das Landgesetz und das Gesetz für die Opfer. Haben sie etwas bewirkt?

Diese Gesetze sind ein Erfolg jahrelangen Engagements und weniger eine politische Konzession. Diese Gesetze haben immerhin einige Mechanismen aufdecken können, aber sie werden durch die offene Straflosigkeit untergraben. Hinzu kommt eine subtile Politik von Wiedergutmachung und der Landrückgabe, die innerhalb der neoliberalen Parameter fixiert ist. Zwar soll es Wiedergutmachung geben, aber die Summen sind beschämend und konkrete Landrückgaben wird es nur dann geben, wenn die Flächen nicht von einem internationalen Investor beansprucht werden.

Die Verhandlungen mit der FARC-Guerilla finden ohne Waffenstillstand statt und die Paramilitärs dringen parallel in das FARC-Kernland ein. So richtig nach Friedenswillen klingt das nicht ...

Die Voraussetzungen der Verhandlungen sind nicht gut. Am liebsten würde die Regierung der FARC zwei, drei Zugeständnisse machen und ihnen dann sagen, demobilisiert euch endlich. Die FARC will jedoch über die gesellschaftliche Realität, die sozialen Herausforderungen sprechen. Positiv ist, dass beide Seiten wirklich verhandlungsbereit sind.

Ex-Präsident Álvaro Uribe hat »Verhandlungen mit Terroristen« abgelehnt, zieht hinter den Kulissen an den Fäden - ein Risiko für den Friedensprozess?

Uribe hat Macht und er spricht für einen Sektor, der erzkonservativ ist. Es sind die Viehzüchter, die auf großen Mengen Brachland sitzen, die Plantagenbesitzer von Ölpalmen und Zuckerrohr, die er vertritt und Uribe selbst ist ein Großgrundbesitzer. Dieser Sektor kann Probleme bereiten und derzeit wird abgewartet ...

Aufgrund der Verurteilungen und Ermittlungen scheint Uribe aber angeschlagen ...

Ich glaube, dass Uribe mit den Verurteilungen und Auslieferungen zentraler Figuren aus seinem Umfeld an Macht verloren hat, aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Sein Image im Ausland hat gelitten, es ist immer offensichtlicher, wer Álvaro Uribe ist und die Auslieferung seines Sicherheitschefs spricht Bände.

Ein Friedensprozess ist kostspielig. Gibt es Fonds dafür?

Es gibt einen politischen Willen, aber man wird sehen müssen, wie es aussieht, wenn es um konkrete Entschädigungszahlungen geht, denn es wird einiges auf Kolumbien zukommen. Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass sich die Guerilla dann politisch in den Städten artikuliert. Der Friedensprozess wird kostspielig sein und dafür hat die Regierung keine Vorbereitungen getroffen, so weit ich weiß.

Inwiefern konterkariert die Straflosigkeit den Friedensprozess?

Es gibt heute in Kolumbien weniger Straflosigkeit, die Ermittlungen gegen die Vertrauten Álvaro Uribes zeigen das und auch der ganze Parapolitica-Skandal, der bereits zahlreiche Parlamentarier wegen ihrer Verbindungen zu den Paramilitärs ins Gefängnis gebrachte hat, zeigt das. Es hat lange gedauert bis gegen die Paramilitärs und ihre Hintermänner ermittelt wurde. Gegen die Guerilla wurde hingegen immer ermittelt, es wurde verurteilt, wenn auch manchmal in Abwesenheit. Viele Guerilleros sitzen schließlich auch im Gefängnis. Auf der linken Seite gibt es sozusagen deutlich weniger Straflosigkeit als auf der rechten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. November 2012


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