Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Gewalt ist nur weniger sichtbar"

Kolumbianische Gewerkschaftsaktivisten über den Strategiewechsel der Paramilitärs


Guillermo Antonio Correa ist stellvertretender Direktor der Nationalen Gewerkschaftsschule ENS in Medellín. Miguel Enrique Morantes Sabogal ist Direktor für Kommunikation im Vorstand des Gewerkschaftsdachverbandes CTC. Sie waren bis vergange Woche gemeinsam in Europa unterwegs, um auf die anhaltend schwierige Situation von Gewerkschaftern in Kolumbien aufmerksam zu machen. Mit ihnen sprach für "neues deutschland" (nd) Knut Henkel.


nd: Guillermo Antonio Correa, Sie sind Autor der Studie »Mit Büchern gegen Gewehrkugeln«, die Sie nun in Europa vorstellen. Was kann ein Buch bewirken anlässlich der anhaltenden Verfolgung von Gewerkschaftlern in Kolumbien?

Correa: Uns ging es darum die Geschichte der Opfer am Beispiel einer spezifischen Gewerkschaft von Lehrern im einer bestimmten Region Kolumbiens, in Antioquia, aufzuzeigen. Zudem hat es uns interessiert, ob sich die Vorgehensweise von Paramilitärs und Killern gegen organisierte Lehrer von der gegen organisierte Arbeiter unterschiedet.

Ist dem so?

Guillermo Antonio Correa: Wir haben festgestellt, dass diese eine Gewerkschaft aus Antioquia in 30 Jahren nicht weniger als 350 Opfer, Lehrer, Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, zu beklagen hatte. Pädagogen sind in der Regel gut informiert, sie zählen zu den lesenden Gesellschaftsmitgliedern, die ein hohes Ansehen genießen und ihre Schüler und ihre Studenten informiert und verteidigt haben. Das war oft schon der zentrale Grund für ihre Ermordung durch Paramilitärs oder Guerilla und sie gingen kaum anders vor als bei der Verfolgung von Gewerkschaftler anderer Sektoren. Wir wollen die Strukturen hinter den Morden aufdecken und die Geschichte der Opfer.

Hat sich an den Strukturen etwas geändert? Die Zahl der Morde an Gewerkschaftlern ist in Kolumbien rückläufig.

Guillermo Antonio Correa: In diesem Jahr hat es bisher acht Morde an Gewerkschaftlern gegeben und alle sind hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre. Das Gros der Opfer stammt aus dem Verwaltungsdistrikt Valle de Cauca und da gibt es einen Unterschied, denn in den Jahren zuvor haben wir viele Morde in Santander und in Antioquia registriert.

Warum ist es in Valle de Cauca so riskant?`

Miguel Enrique Morantes: Wir als CTC sind in der Region sehr aktiv und viele der Opfer gehören unserem Gewerkschaftsdachverband an - wie der SintraXamundi. Das ist eine neue Organisation, die Arbeiter im öffentlichen Sektor vertritt und im Fokus der Verfolgung steht. Der lokale Bürgermeister der Stadt Jamundí weigert sich, Verhandlungen mit der Gewerkschaft, die erst im Januar gegründet wurde, aufzunehmen. Seitdem gibt es Terror und Grund dafür ist sicherlich die Korruption im öffentlichen Sektor, die ja wiederholt Schlagzeilen gemacht hat.

In Deutschland kommt dazu wenig an. Hier wird registriert, dass die Zahl der ermordeten Gewerkschaftler sinkt und das wird als positive Entwicklung wahrgenommen. Ist es so einfach?

Miguel Enrique Morantes: Nein, denn es gibt nicht mehr Sicherheit. Ein Beispiel: früher gab es 5000 gepanzerte Wagen für gefährdete Personen, heute sind es 3000.

Wie reagiert denn die Regierung auf die Situation im Valle de Cauca und in Jamundí?

Miguel Enrique Morantes: Wir haben mit dem Vizepräsident gesprochen, der hat einen Brief auf den Weg gebracht und die lokalen Verantwortlichen gebeten, sich zu kümmern.

Gibt es denn den politischen Willen, die Gewerkschaften zu schützen?

Miguel Enrique Morantes: Nein, den gibt es nicht und das beweist folgende Tatsache. Bei jeder neu gegründeten Gewerkschaft in Kolumbien werden am nächsten Tag die Leute entlassen, auch im öffentlichen Sektor und obwohl die Gesetze das verbieten. Sie werden schlicht nicht respektiert, obwohl es geltendes Recht ist. So versucht man in Kolumbien die Organisationsstrukturen von vorn herein zu unterbinden und die Zahlen der organisierten Arbeiter klein zu halten und zu reduzieren. Früher war die Strategie Leben auszulöschen, heute löscht man Organisationen aus, versucht die organisatorischen Grundlagen der Gewerkschaftsarbeit zu treffen.

Ein Strategiewechsel ...?

Miguel Enrique Morantes: Genau, das ist neu, viel schwieriger zu beweisen und zu bekämpfen. Es ist richtig, dass die Gewalt abgenommen hat, aber sie ist nicht verschwunden. Sie ist nur weniger sichtbar.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. Juli 2012


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage