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Tod statt versprochener Landtitel

Bogotá wirft Indigenen eine Zusammenarbeit mit FARC-Guerilla vor

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Tausende Indigene halten seit Anfang letzter Woche den Südwesten Kolumbiens mit Blockaden wichtiger Straßenverbindungen und Landbesetzungen in Atem, worauf die Regierung die Armee und Polizei gegen die Protestierenden mobilisiert hat. Zwei Tote und dutzende Verletzte gehen bisher auf das Konto der Zusammenstöße.

Die Proteste der indigenen Gemeinden in der südwestkolumbianischen Provinz Cauca sind so alt wie die nicht eingelösten Versprechen des kolumbianischen Staates. In regelmäßigen Abständen haben die Indígenas von den Völkern der Paez und Guambianos so ihrem Anspruch auf Land Nachdruck verliehen, dem der Staat nur zögerlich oder gar nicht nachgeht. Mehr als 7000 Indígenas blockieren deshalb wieder seit Anfang letzter Woche die wirtschaftlich wichtige Landstraße Panamericana und halten Ländereien besetzt. Die Regierung in Bogotá schickte daraufhin Soldaten und Polizisten zu den Brennpunkten, um den Protesten ein Ende zu bereiten. Bei schweren Zusammenstößen kamen bisher zwei Demonstranten ums Leben, nachdem die Sicherheitskräfte laut Berichten der Indígenas das Feuer eröffnet hätten und mit äußerster Brutalität gegen die Demonstranten vorgingen. Mehr als 80 Menschen wurden auf beiden Seiten verletzt.

Anlass der jüngsten Proteste waren neben der ungelösten Landrückgabe zahlreiche Morde an Vertretern der indigenen Gemeinden. Der indigene Dachverband ONIC fordert Aufklärung über 57 Hinrichtungen, von denen 22 allein dieses Jahr registriert wurden und die auf das Konto rechter Paramilitärs, der Guerilla und der Streitkräfte gleichermaßen gehen. »Wir kämpfen gegen den Genozid gegenüber den indigenen Völkern in unserem Land«, erklärte der ONIC-Vorsitzende Luis Fernando Arias, der die Proteste als unbefristet erklärte, solange die Regierung nicht Lösungen bereitstelle.

Zu einer Verschärfung des Tones führte am Freitag (17. Okt.) die Anschuldigung der kolumbianischen Polizei, wonach die Proteste der Indígenas von der FARC-Guerilla unterstützt würden. Demnach seien die Reihen der Demonstranten von Rebellen infiltriert, welche die Gewaltwelle angefacht hätten. »Es gibt weder Infiltrierungen noch dunkle Absichten«, verteidigten sich die Indígenas, die sich nachdrücklich als neutral im bewaffneten Konflikt erklären und deren Vertreter selbst regelmäßig Opfer der Guerilla geworden sind.

Am vergangenen Samstag (18. Okt.) versprach Präsident Uribe, dass die Regierung auf eine zügige Umsetzung der Landrückgabe hinarbeiten wolle. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die Übergabe von 240 Quadratkilometer Land, zu der sich der Staat nach zwei Massakern an Indígena-Gemeinden im Cauca im Jahr 1991 und 2001 verpflichtet hatte. Laut der Regierung stünde die Überschreibung von etwa 40 Quadratkilometern Land aus, um die staatlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Doch laut den Indigenen sind dagegen erst fünf Prozent des Landes zurückgegeben worden, was die Regierung nicht akzeptiert. »27 Prozent Kolumbiens sind in den Händen der Indígenas«, erklärte Uribe am Samstag, der damit die aktuellen Proteste als grundlos hinstellte. Zwar wird diese Zahl selbst von der ONIC anerkannt, welche die rund 1,3 Millionen Ureinwohner Kolumbiens vertritt, doch habe der Staat seit 1961 erst 2000 Quadratkilometer den Indígenas formell überschrieben, während der große Teil besonders im Einzugsgebiet des Amazonas von den ansässigen indigenen Völkern geschützt würde. Dort wurden diese in den letzten Jahren immer häufiger Opfer von Vertreibungen und Morden durch bewaffnete Gruppen. »Allein mit dem Kauf von Land ist nichts gelöst«, erklärte deshalb die ONIC, die vom kolumbianischen Staat neben mehr Respekt indigener Rechte die Unterschrift des Landes unter die UN-Deklaration zum Schutze indigener Völker einfordert.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Oktober 2008


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