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Kolumbien-Krise vorerst beigelegt - Uribe verspricht Besserung, setzt aber weiter auf das Militär

Nach dem Rio-Gipfel: Ringen um Geiselfreilassung - Interview mit Juan Carlos Lecompte, dem Mann von Ingrid Betancourt


Kolumbien-Krise beigelegt

Diplomatische Überraschung auf dem Rio-Gipfel

Von Tommy Ramm, Bogotá *


Nach der offiziellen Beilegung der diplomatischen Krise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela haben sich die Länder um weitere Entspannung bemüht. Venezuelas Präsident Hugo Chávez versprach am Samstag (8. März), die zur kolumbianischen Grenze verlegten Truppen abzuziehen. Zugleich forderte er die FARC-Führung auf, Ingrid Betancourt freizulassen. Bogota verpflichtete sich, künftig von Militäreinsätzen auf fremdem Staatsgebiet abzusehen.

»Der Gipfel war von Gott gesandt«, erklärte ein erleuchteter Hugo Chávez nach dem Ende des 20. Treffens der Rio-Gruppe, die sich am Freitag in der Dominikanischen Republik zusammenfand, und das - zumindest vorläufige - Ende der Grenzkrise zwischen Kolumbien und Ecuador besiegelte. Erstmals seit dem Ausbruch der schwersten Krise der letzten Jahre in Südamerika, die durch das Vordringen kolumbianischer Truppen auf ecuadorianisches Territorium im Kampf gegen die FARC-Guerilla am 29. Februar ausgelöst wurde, saßen sich die Staatschefs in Santo Domingo persönlich gegenüber. Und sie wetzten zunächst die Messer. Ecuadors Präsident Rafael Correa nannte Kolumbiens Staatschef Álvaro Uribe einen Lügner und Zyniker. Der wiederum warf seinem Nachbarn vor, die FARC-Guerilla zu unterstützen und in »kommunistische Nostalgie« zu verfallen. Doch wenig später wendete sich das Blatt.

Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner ergriff das Wort und erinnerte daran, dass ja eigentlich den Frauen der Ruf anhinge, gelegentlich in Hysterie zu verfallen - doch nun scheine man eines Besseren belehrt zu werden. Eine Lachsalve erfasste den Konferenzsaal, und die Stimmung schlug um. Uribe begann, sich mehrfach bei Correa zu entschuldigen, und dieser ließ durchblicken, dass er sie annehmen könne, wenn sich Kolumbien verpflichte, nie wieder ecuadorianisches Territorium zu verletzen. Auch Chávez stimmte ein: »Hören wir auf damit«.

Was folgte, könnte kein Drehbuch lateinamerikanischer Telenovelas besser vorschreiben. Der Präsident der Dominikanischen Republik Leonel Fernández forderte augenzwinkernd die Kontrahenten auf, sich zu umarmen und der Krise zwischen den »Bruderstaaten« ein Ende zu setzen. Nach kurzem Zögern bahnte sich Uribe unter stehenden Ovationen einen Weg auf die andere Seite des Saals und reichte dem weiterhin verbitterten Correa die Hand. Danach folgten Chávez und der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega, der zudem ankündigte, die kürzliche Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien rückgängig zu machen.

Millionen Menschen auf dem Kontinent verfolgten das Duell in Santo Domingo live im Fernsehen und wurden Zeugen eines historischen Gipfels, der wegweisend sein könnte für die Zukunft des Kontinents. »Was Lateinamerika braucht, ist eine Organisation ohne die Präsenz der USA«, erklärte Correa nach dem Gipfel und versetzte damit der »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS) einen Seitenhieb. Er wies darauf hin, dass ihm mehrere Staatschefs mitgeteilt hatten, sie seien von Washington vor der Konferenz unter Druck gesetzt worden, das Thema auszusparen, was nicht weniger als eine Blockade für die Lösung der Krise bedeutet hätte. »Lateinamerika beginnt eine neue Ära, in der Gerechtigkeit und internationales Recht an erster Stelle stehen und nicht die Macht«, so Correa mit Blick auf den Gipfelerfolg.

Dass die Probleme jetzt allerdings komplett vom Tisch seien, verneinte auch Correa. Um die diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien wieder aufzunehmen, sei die Zeit noch nicht reif, betonte er, will jedoch die Beziehungen »zum Wohle beider Völker« beibehalten. Allerdings sei das Vertrauen in den kolumbianischen Präsidenten Uribe nur schwer wiederzuerlangen, nachdem dieser ihm Allianzen mit der FARC vorgeworfen habe. Correa wolle nun zunächst mit Venezuela einen Zeitplan ausarbeiten, um die diplomatischen Beziehungen zu Bogota wieder langsam zu normalisieren.

Was von dem Gipfel bleibt, sind Kompromisse, die aber längst nicht die Differenzen zwischen den Kontrahenten begraben. Während Uribe sich neben einer klaren Entschuldigung gegenüber Ecuador auch verpflichtete, Hugo Chávez nicht wegen angeblicher finanzieller Unterstützung der Guerilla vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen, will der venezolanische Präsident im Gegenzug sein Säbelrasseln ebenfalls einstellen, was als Zeichen für den Abzug mehrerer aufmarschierter Armeebataillone an der gemeinsamen Grenze gelesen wurde. Gemeinsam mit Nicaragua wird Bogotá zudem auf die Gerichtsentscheidung Den Haags über eine umstrittene Grenzziehung in der Karibik abwarten, um die bisherigen Spannungen in dieser Frage abzubauen. Doch all das schließt künftige Konflikte nicht aus, nachdem in den vergangenen Tagen tiefstes Misstrauen gesät wurde.

Während Kolumbien der engste Verbündete Washingtons in der Region ist und auf millionenschwere Militärhilfe zählen kann, beschreiten die anderen Länder einen emanzipierten Weg. Der sichtbarste Scheidepunkt ist der Umgang mit den FARC-Rebellen: Während Washington und Bogotá diese als Terroristen einstufen, bezeichnen Venezuela, Nicaragua und Ecuador die Guerilla als Aufständische. Der Umgang aller mit den FARC, die gezeigt haben, dass sie sich nicht mehr nur auf kolumbianisches Territorium begrenzen, wird auch in Zukunft die Beziehungen zwischen Kolumbien und seinen Nachbarn bestimmen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2008


Uribe setzt auf das Militär

Ingrid Betancourts Ehemann über die Situation der Guerilla-Geiseln

Seit dem 23. Februar 2002 befindet sich die damalige kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt in den Händen der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Ihr Ehemann Juan Carlos Lecompte berichtet im ND-Interview über die letzten Nachrichten von der prominentesten FARC-Geisel und über seine Erfahrungen mit der Unterstützungsbereitschaft verschiedener Regierungen. Das Gespräch führte Gerhard Dilger.

ND: Bei der kolumbianischen Militäraktion in Ecuador kam auch der Kommandant der FARC-Guerilla, Raúl Reyes, ums Leben. Was bedeutet sein Tod für das Schicksal Ingrid Betancourts?

Juan Carlos Lecompte: Die Guerilla hat vor ein paar Tagen erklärt, dass die Entführten keine Repressalien zu befürchten hätten, dass sie weiterhin ein humanitäres Abkommen anstrebten, ein Abkommen, für das wir über fünf Jahre gekämpft haben. Hoffentlich ist der Tod von Raúl Reyes nicht ein weiteres Hindernis. Der Präsident Ecuadors, Rafael Correa, hat ja gesagt, sie hatten Kontakt zu Reyes, um die Freilassung von Ingrid und den anderen Entführten zu erreichen, ebenso wie Frankreich.

Welchen Kenntnisstand haben Sie über das Befinden Ihrer Frau?

Vergangenen Montag habe ich mit Luis Eladio Pérez geredet, der gerade freigelassen wurde. Die Lage Ingrids ist verzweifelt. Alle sind auf der Flucht vor der Armee, und die Guerilla behandelt sie am schlechtesten, weil sie keinerlei Annäherung der Guerilleros zugelassen und sich nicht verkauft hat. Zudem hat sie mehrere Fluchtversuche unternommen. Deshalb wird sie oft bestraft. Im Juli 2005 z.B. ist sie mit Pérez geflohen. Nach fünf Tagen hatten sie kein Essen mehr, Ingrid wollte weiter, doch er hatte keine Kraft mehr. Sein Leben stand auf dem Spiel, also sind sie zurückgegangen. Sie wurde in Ketten gelegt. Wegen ihres gesundheitlichen Zustands kann sie nicht viel länger dort bleiben. Wenn sie nicht bald befreit wird, kann sie sterben.

Waren Sie über das Vorgehen Ecuadors im Bilde?

Ich hatte schon gehört, dass mehrere Länder mithalfen, darunter auch Ecuador, aber sicher war ich nicht. Ich finde es sehr gut, dass sie wie Frankreich und Venezuela an dieser humanitären Arbeit beteiligt sind. Ich bin den Präsidenten Correa und Chávez sehr dankbar. Chávez kann mit der Freilassung von sechs Entführten in zwei Monaten konkrete Ergebnisse vorweisen. Frankreich war auch immer auf unserer Seite. Unter Chirac hat Frankreich 16 oder 17 Geheimmissionen geschickt, sie haben mehrmals mit Reyes geredet, aber es kam zu keiner Lösung. Jetzt ist zum Glück Sarkozy mit mehr Kraft dabei, und wir hoffen, dass es zusammen mit anderen Ländern weitergeht.

Welche Rolle sollte die EU spielen? Sie steht auf der Seite des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe und beschränkt sich auf die Aufforderung zu bedingungsloser Freilassung.

Die EU sollte entschlossener für das Humanitäre eintreten, mit effektiveren Maßnahmen. Mit ihrer bisherigen Haltung trägt sie dazu bei, dass die Entführten ewig im Urwald bleiben. Ich wünsche mir, dass die EU so wie Frankreich handelt. Ingrid ist Kolumbianerin und Französin und damit auch Europäerin. Auch Deutschland mit seiner Bundeskanzlerin sollte aktiver werden.

Gibt es von Kolumbiens Regierung Unterstützung?

Nein, da gibt es keinerlei Unterstützung oder Solidarität. Sie setzen auf den Krieg, auf die militärische Befreiung der Geiseln, obwohl sie wissen, dass das einem Todesurteil gleichkommt. Im Urwald ist der Überraschungsfaktor gleich Null, denn die Guerilleros kontrollieren den Urwald, sie haben Informanten in den kleinen Siedlungen. Sie haben Sicherheitsringe, verminte Felder, sie merken, wenn das Heer kommt. Für diesen Fall haben sie den Befehl, die Entführten erbarmungslos zu töten, wie das schon öfters geschehen ist. Hoffentlich begeht die kolumbianische Regierung keine Verrücktheit.

Könnten sich die FARC zu weiteren Freilassungen bewegen lassen, oder glauben Sie, dass Ihre Frau ein zu wichtiges Pfand für sie ist?

Die letzten Freilassungen waren auch nicht mit Uribe abgesprochen. Auch ohne seine Erlaubnis hat sich Chávez seit dem 21. November engagiert für humanitäre Lösungen eingesetzt und Freilassungen erreicht. Schon damals fielen starke Worte auf beiden Seiten. Wenn die FARC einen guten politischen Schachzug machen wollten, wäre jetzt ein guter Moment: Sie sollten Ingrid freilassen als Zeichen des guten Willens und des Rückhalts für Chávez. Darauf hoffe ich.

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2008


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