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"Vor Anschlägen ist niemand gefeit"

Menschenrechtsanwältin Yenly Angélica Méndez über die Kultur der Gewalt in Kolumbien

Yenly Angélica Méndez ist 34 Jahre alt und Menschenrechtsanwältin in Kolumbien. Vor zwölf Jahren hat sie mit einigen Kollegen das Anwaltskollektiv »Humanidad Vigente«, zu deutsch so viel wie »Rechtskräftige Menschlichkeit« gegründet, um Menschenrechtsverletzungen - vor allem an Kindern - vor die Justiz zu bringen. Über die Situation in Kolumbien sprach mit ihr für Neues Deutschland (ND) Knut Henkel.



ND: Das Anwaltskollektiv, das Sie 1996 gründeten, begleitet und unterstützt unter anderem Organisationen in ländlichen Regionen. Mit welchen Problemen haben Sie zu kämpfen?

Yenly Angélica Méndez: Generell hat es die Opposition in Kolumbien ausgesprochen schwer. Die Bedingungen, unter denen gearbeitet werden muss, sind alles andere als vorteilhaft. Der Druck auf Parteien, Gewerkschaften und soziale Organisationen hat stetig zugenommen und selbst die Bewegung der Opfer ist vor Anschlägen nicht gefeit. Mehrere Vertreter von Organisationen, die sich für die Aufklärung von Verbrechen einsetzen, denen Angehörige zum Opfer fielen, wurden ermordet. Es gibt eine Welle der Einschüchterung und die ist auch mit internationalen Organisationen verbal hart ins Gericht gegangen. Mehrfach sind nationale wie internationale Menschenrechtsorganisationen bereits als fünfte Kolonne der Guerilla bezeichnet worden und einzelne Beobachter sind auch schon ausgewiesen worden. Darüber hinaus ist die ökonomische Situation in Kolumbien alles andere als einfach. Arbeitslosigkeit und Unsicherheit prägen das Leben vieler Familien.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Befriedung des Landes?

Wir müssen unser Bildungssystem verbessern und die sozialen Organisationen in Kolumbien weiterqualifizieren. Die Menschen müssen lernen, ihre Situation und jene des Landes zu analysieren, um eigene Initiativen und Alternativen zu entwickeln. Dazu gehört es auch, der Jugend des Landes andere Inhalte zu vermitteln. Und genau deshalb sind wir der Meinung, dass Bildung eine zentrale Herausforderung ist, um zukunftsfähig zu werden.

Warum setzen Sie gerade in dem Land an, wo die Situation oftmals ausgesprochen schwierig ist?

Wir versuchen die Organisationen in ländlichen Regionen zu unterstützen, weil sie versuchen Alternativen aufzubauen. Nehmen Sie das Beispiel der Friedensdörfer wie San José de Apartadó oder die Bauernorganisationen aus dem Cimitarra-Tal. Sie versuchen - teilweise sogar mit Unterstützung durch EU-Mittel - friedliche Alternativen zum bewaffneten Kampf aufzubauen. Ein wesentlicher Grund für diesen pazifistischen Kampf ist die Tatsache, dass die Leute zumindest etwas Land haben, das sie ernähren kann. Das lohnt es schon zu verteidigen, statt in die Städte zu wandern und dort ein Leben ohne Perspektive zu führen. In den Zuwandererstadtvierteln von Bogotá, Cali oder Medellín ist die Situation oft vollkommen trostlos.

Gleichwohl soll der Präsident Álvaro Uribe über großen Rückhalt in den Städten und auf dem Land verfügen. Von siebzig Prozent der Wähler wird er angeblich unterstützt -- wie kann das sein?

Kolumbien hat zwei Gesichter. Neben dem urbanen Gesicht, wo es eine halbwegs funktionierende Infrastruktur gibt und wo man sich zumindest tagsüber halbwegs sicher bewegen kann, gibt es das ländliche Kolumbien. Dahin reichen die Mikrofone der Umfrageinstitute nicht. Und deshalb halte ich diese Umfragen, die nahezu komplett in den Städten erhoben werden, für recht zweifelhaft.

Allerdings scheint die sogenannte militärische Lösung nach wie vor die Option, die vom Ausland und einer realen oder halbrealen Öffentlichkeit in Kolumbien unterstützt wird.

Das ist richtig. Die Regierung genießt großen internationalen Rückhalt, gleichwohl haben nun mehr sechs Jahre Krieg keine Lösung gebracht und Kolumbien ist das Land, welches -- gemessen am Bruttosozialprodukt -- die höchsten Militärausgaben weltweit verzeichnet. Eine militärische Lösung ist unrealistisch, denn selbst wenn die Guerilla der FARC aufgeben sollte, würde vermutlich sehr schnell eine neue Guerilla entstehen. Denn an den sozialen Verhältnissen, die einst zur Gründung der FARC und der ELN führten, hat sich nichts geändert. Aus meiner Sicht gibt es nur eine Option - verhandeln.

Dafür fehlt doch allem Anschein nach der politische Wille?

Ja, es ist richtig, dass Verhandlungen auf der Agenda der Uribe-Regierung anscheinend nicht vorkommen. Doch auch bei der FARC ist die Bereitschaft alles andere als ausgeprägt. In der Vergangenheit hat sie schließlich schlechte Erfahrungen bei dem Versuch gemacht den Übergang von der Guerilla in eine politische Bewegung vorzubereiten. Damals, ab Mitte der 80er Jahre, sind doch nahezu alle politischen Vertreter der Union Patriotica ermordet wurden.

In den vergangenen zwölf Monaten sind etliche Abgeordnete wegen enger Beziehungen und Verstrickungen mit den Paramilitärs in Untersuchungshaft gelandet - darunter auch Familienangehörige des Präsidenten. Hat dieser Skandal dem Rückhalt des Präsidenten nicht geschadet?

Im Ausland scheint die Meinung weit verbreitet, dass dies der Preis der angestrebten militärischen Lösung ist. Und wirtschaftlich ist Kolumbien nicht nur für Deutschland, sondern für viele Länder ausgesprochen interessant. Kolumbien ist ein rohstoffreiches Land und da werden anscheinend beide Augen zugedrückt.

Könnte das nicht ein weiterer Schub sein für die Straflosigkeit, die in Kolumbien ohnehin schon weit verbreitetes Übel ist?

Fast hundert Prozent der Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden in Kolumbien nicht geahndet. Wenn die Täter nichts zu befürchten haben, dann bildet sich ein Kreislauf der Gewalt. In dem drehen wir uns in Kolumbien und die Verstrickungen zwischen Paramilitärs und Regierungsparteien sind dafür nur ein Beispiel - wenn auch ein sehr prominentes.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Februar 2009


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