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Kolumbiens schießender Modezar

Schusssichere Haute Couture für Mensch und Tier geht in 22 Länder

Von Knut Henkel, Bogotá *

Aus Bogotá kommt der Yves Saint Laurent für schusssichere Haute Couture. Miguel Caballero heißt der umtriebige Mann. Zu seinen Kunden gehören nicht nur Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe sondern auch Schauspieler Steven Seagal und das spanische Königshaus.

Groß wie Taubeneier und weinrot wie eine Bischofsrobe sind die Hämatome, die den Rücken von Juan Carlos Riaño bedecken. Neun Mal wurde auf den Wachmann, der Geldtransporte begleitet, geschossen. Dank der schusssicheren Weste aus dem Caballero hat Juan Carlos heute noch gut lachen. Fotos und ein Dankesschreiben von ihm kleben in der dicken weißen Mappe, die auf dem Schreibtisch des 39-jährigen Textildesigners liegt. Miguel Caballero ist Kolumbiens bekanntester Schneider und stellt High Security Fashion her – nicht nur für Sicherheitsleute, Polizei und Armee des vom Bürgerkrieg geprägten lateinamerikanischen Landes, sondern immer öfter auch für die Reichen und Schönen aus aller Welt. Und den Jacken, Trenchcoats, Kostümen und Anzügen aus Caballeros Nähstube sieht man die Panzerung nicht an. »Schick und trotzdem sicher« ist ein Slogan des in Bogotá ansässigen Unternehmens. Kameras und Stacheldraht umgeben das weiße weitläufige Ge- bäude; innen prägen Sicherheitsschleusen, Panzerglas und Stahltüren das Ambiente. Über 130 Angestellte entwerfen, schneidern und testen hier die Kleidung, die in 22 Länder der Welt geliefert wird.

Die Guayabera, das mit Taschen besetzte traditionelle Sommerhemd, ist einer der Verkaufsschlager. Doch auch Sonderwünsche wie stichsichere Unterwäsche, schusssichere Leibchen für einen Schoßhund oder eine gepanzerte Soutane wurden bei Caballero schon gefertigt. »Mit jedem neuen Kundenwunsch lernen wir dazu«, betont der rundliche und überaus quirlige Mann. Die Guayabera wurde auf Wunsch des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe gefertigt und seine Kollegen in Caracas und Brasilia, Hugo Chávez und Luiz Inácio Lula da Silva, orderten wenig später das Modell. Lange Jahre hat der studierte Textildesigner und Betriebswirt in Bogotá für seine Produkte Klinken geputzt. Heute versorgt er nicht nur die Ordnungskräfte des Landes, sondern auch die Sicherheitsbeamten der US-Botschaft in Bogotá und die Polizei Madrids mit Panzerwesten und Co.

Auf die Idee kam er während des Studiums. »Dort tauchte die Tochter eines bekannten Politikers immer in Begleitung von zwei Bodyguards auf«, erinnert er sich. Die trugen jedoch keine Panzerwesten und Caballero, damals 25 Jahre alt, fragte weshalb. Zu schwer und zu sperrig lautete die Antwort – die brachte Caballero auf seine Geschäftsidee. Leichter, komfortabler und sicherer produziert er seitdem Panzerwesten und Haute Couture. Mittlerweile hat er nicht nur den US-Markt im Visier, wo auf der »Shot Show« in Orlando seine Kollektion im Januar vorgeführt wurde. Auch in Paris liefen Caballeros Models auf der »Milipol«, einer Sicherheitsmesse, über den Laufsteg.

»Ein bisschen Kolumbien gibt es schließlich überall«, meint der umtriebige Mann, der schon Steppjacken für das spanische Königshaus lieferte. Unbändigen Spaß hat der wieselflinke Caballero, seine Kollektion vorzuführen. Heute schiebt er lachend den verdutzten Andrés Aljure, einen 35-jährigen Marketingexperten, durch die Halle im Erdgeschoss in Richtung Schießstand. Die Frauen an den Nähmaschinen lachen verschmitzt, denn sie kennen das Procedere. Für Andrés ist es das erste Mal. Etwas bleich streift er die hellbraune Lederjacke, die für Bodyguards konzipiert ist, über. Flugs heftet Caballero einige Aufkleber auf die Lederjacke, um die Einschussstelle zu markieren. Dann stellt er den linkisch wirkenden Andrés in Position, stülpt ihm die Ohrschützer über und greift zum Trommelrevolver. »Jetzt kommt Deine Aufnahmeprüfung«, ruft Caballero feixend und schiebt die Patrone in die Trommel. »Uno, dos, trés« zählt der Schneider und drückt ab. Es blitzt und knallt, etwas Rauch steigt auf, aus dem sich das lächelnde Gesicht von Andrés schält. Schon steht Caballero vor ihm und pult mit dem Finger im Einschussloch. »Hier ist sie«, ruft er und hält die platt gedrückte Patrone zum Beweis hoch. An der im Futter eingenähten elastische Einlage aus Nylon, Aramid und Polyethylen ist sie abgeprallt. Für Andrés ein großes Glück, für Caballero die beste Werbung.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2007


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